Szene aus Anderswo. Allein in Afrika
Filmplakat von Anderswo. Allein in Afrika

Anderswo. Allein in Afrika

103 min | Dokumentarfilm | FSK 0
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Szene 1 aus Anderswo. Allein in Afrika
Szene 2 aus Anderswo. Allein in Afrika
Szene 3 aus Anderswo. Allein in Afrika
414 Tage, 15.000 Kilometer, 15 Länder. Plötzlich getrennt von seinen zwei Weggefährten wagt sich Anselm allein in die südafrikanische Kalahari-Wüste - auf dem Fahrrad. Tritt für Tritt entwickelt sich sein atemberaubender Weg durch den afrikanischen Kontinent, stets hautnah an den Menschen und der Natur. Kein Wasser kaufen, nur aus eigener Kraft reisen, trotz wilder Tiere in der Natur zelten - Afrika ist unberechenbar und herausfordernd. Doch selbst nach schweren Krankheiten und 3.000 Kilometern durch die Sahara ist klar: Afrika ist auch kraftvoll, farbenfroh und voller Leben. Es wächst in ihm eine tiefe Liebe zu diesem riesigen Kontinent, ein tiefes Vertrauen in seine Mitmenschen und sich selbst, sowie die Einsicht, dass man alleine nicht einsam sein muss.
  • RegieAnselm Nathanael Pahnke, Janco Christiansen
  • Dauer103 Minuten
  • GenreDokumentarfilm
  • AltersfreigabeFSK 0

Filmkritik

Zu einem der großen Überraschungserfolge des Kinojahres mauserte sich der Film „Weit. Die Geschichte von einem Weg um die Welt“ von Patrick Allgaier und Gwendolin Weisser. Die Selbstdokumentation einer dreijährigen Weltumrundung faszinierte das Publikum und reihte sich in eine neue Form der Reisedokumentation ein, die durch Unterstützung von Crowdfunding-Projekten und einer extrem mobilen Kameratechnik möglich geworden ist.
Auch Anselm Nathanael Pahnke hat seine Afrika-Durchquerung auf dem Fahrrad medial dokumentiert und fürs Kino aufbereitet. Ursprünglich wollte Pahnke mit zwei Freunden vom Südkap bis ans Mittelmeer radeln, doch seine beiden Begleiter brachen den Trip schon bald ab, weshalb Pahnke seinen Weg allein fortsetzte, 15.000 Kilometer lang kreuz und quer durch den ganzen Kontinent. Das ist für sich genommen sehr beeindruckend, obwohl man sich schnell fragt, warum dieses Unterfangen, das größtenteils einer Art Selbstfindung zu dienen scheint, ein größeres Publikum ansprechen soll – und mit welchen Mitteln das versucht wird.

Naives „Eintauchen“ ins Exotisch-Fremde

Wenn Pahnke nicht gerade selbst in eine der vielen Kameras spricht, die er mit sich führt, kommentiert er seine Gedanken und Empfindungen nochmals über Voice-Over, was das Publikum in seine Perspektive einbindet. Dieses erzählerische Verfahren ist allerdings nicht unproblematisch. Auch wenn der Radfahrer aus Leidenschaft sympathisch wirkt, stört man sich doch an einer ziemlich naiven Sichtweise auf die eigene Position. So möchte er „eintauchen“ in die Fremde, die sich ihm „öffnen“ soll, um dort endlich die Freiheit zu finden, die man in Europa durch den Druck der Zivilisation angeblich nicht hat. Aus dem Hamsterrad des modernen Menschen soll endlich ausgebrochen werden, wenn sich die Leere der Kalahari-Wüste bis zum Horizont ausbreitet. Das ist keine neue Fantasie, wenn man die Kolonialgeschichte Europas betrachtet, die für Pahnke allerdings kein Thema zu sein scheint, obwohl er sie reproduziert.
Selbst wenn er die „Wunder der Natur“ in höchsten Tönen preist und freundlich-kollegial jeden Passanten mit Handzeichen grüßt, wirkt sein Weg wie eine Suche nach Exotik und Entgrenzung, bar jeden historischen oder politischen Bewusstseins. Sich von den stereotypen Bildern reinen Elends abzugrenzen, die fälschlicherweise so oft mit dem afrikanischen Kontinent assoziiert werden, ist zwar positiv – doch durch Ruanda zu fahren und nur die Tierwelt und die Teeplantagen zu thematisieren, grenzt an Ignoranz.
Dabei kommt es zu den üblichen Verdopplungen, die man aus Urlaubsvideos von Hobbyfilmern kennt. Wenn eine Frucht zu sehen ist, wird das nochmals ausgesprochen; schließlich ist alles, was zu sehen ist, eine unglaubliche Entdeckung. Der Exotismus spiegelt sich auch musikalisch in folkloristischen Einlagen wider, die eine authentische Stimmung vermitteln sollen.

Das Authentische wird mit viel Bedacht in Szene gesetzt

Das Gefühl von Authentizität ist ohnehin das wichtigste Element der Reisedokumentation und wird von Pahnke mit sehr viel Bedacht in Szene gesetzt. Wie oft muss er eine Stecke mehrfach gefahren sein, um sich selbst aus einem anderen Winkel vom Stativ aus zu filmen?
Natürlich ist die Reise auch gefährlich und verdichtet die obligatorischen Hindernisse zu kleinen Plot-Points. Ein schlecht gelauntes Nilpferd greift beinahe an, und natürlich bleibt Pahnke nicht von den üblichen Infektionskrankheiten verschont, die allen Touristen blühen.
Wenn man zum Vergleich an „Untitled“ denkt, den letzten Film des großartigen Michael Glawogger, der während dieses Reisefilms auf tragische Weise an Malaria verstarb, wird der ästhetische und erzählerische Unterschied zu „Anderswo“ deutlich. Anstatt zuzuhören, die Bilder sprechen zu lassen und vorschnelle Gewissheiten zu hinterfragen, kann Pahnke in seinem ununterbrochenen Redefluss es gar nicht fassen, dass nicht alles schon auf ihn wartet, dort, „im Herzen Afrikas“. Was er vorfindet, scheint nur mit ihm zu tun zu haben, seinem Streben nach Selbstverwirklichung, mit dem, was er schon kennt oder wiedererkennen möchte. Dass es zu den Privilegien seines Weißseins gehört, sich frei bewegen zu können und aus seinem Abenteuer symbolisches wie reales Kapital zu schöpfen – auf diese Idee kommt Pahnke nicht. Insofern unterscheidet sich „Anderswo“ nicht von den Selbstdokumentationen der meisten Backpacker und Abenteuertouristen, die sich als besonders interkulturell verstehen – aber außer körperlichen Strapazen kaum eine echte Fremdheitserfahrung machen.

Das Bedürfnis nach sensationellen Abenteuern

Andere Menschen daran teilhaben zu lassen, was man gerade erlebt, mag ein Vorzug der sozialen Medien sein, doch der Drang zur permanenten Selbstbespiegelung kippt durch sie in neue, teilweise extrem unschöne Formen. Ob man Pahnke wirklich dabei zusehen möchte, wie er sich vor laufender Kamera mit einem improvisierten Schlauch einen Einlauf legt, um der Verstopfung zu entgehen, hängt vom Bedürfnis des Zuschauers nach sensationellen Abenteuern ab. Am Ende des Films hat man auf jeden Fall mehr über Anselm Nathanael Pahnke als über „Afrika“ gelernt.

Erschienen auf filmdienst.deAnderswo. Allein in AfrikaVon: Silvia Bahl (14.11.2023)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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