Szene aus Freaks Out
Filmplakat von Freaks Out

Freaks Out

141 min | Drama, Abenteuer, Fantasy
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Der neue Film vom THEY CALL ME JEEG Regisseur ist ein bezauberndes, vor Fantasie überbordendes Meisterwerk mit einer fantastischen Darstellerriege, darunter Franz Rogowski in einer ganz besonderen Rolle.

Filmkritik

Wenn man mit einem ungewöhnlichen Äußeren und rätselhaften Fähigkeiten begabt ist, bringt einen das gerne ins Visier derer, die sich für normal halten. Superhelden-Fans wissen das etwa aus der „X-Men“-Reihe. Und die vier Hauptfiguren in Gabriele Mainettis „Freaks Out“, die im Italien der Faschismus-Ära leben, bekommen es auf besonders üble Weise zu spüren: Als „Freaks“ hatten sie im von den Nationalsozialisten besetzten Rom des Jahres 1943 bisher als Attraktionen im Zirkus des engagierten Direktors Israel einen Schutzraum, bis es eines Tages zu einem verheerenden Bombenangriff der Nazis auf die Stadt kommt, der auch das vollbesetzte Zirkuszelt trifft.

Inmitten dieses Terrors lernen wir Zuschauer die Protagonist:innen kennen, die während des Angriffs ihren Mentor Israel verlieren: Da wäre etwa das elektrische Mädchen Mathilde (Aurora Giovinazzo). Bei Aufregung pulsiert und leuchtet ihr Körper in lichtintensiven Strömen. Es zeigt sich dabei auch ihr großes, goldenes Herz, das sie aber lieber vor Scham verbergen möchte. Denn ihre geheimnisvollen Kräfte, mit denen sie später den Bösewichten mit ihren Parteiabzeichen zu Leibe rücken wird, haben einst zum Tod einer ihr sehr nahestehenden Person geführt. Flankiert wird sie von einem magisch begabten Albino, einem übermenschlich starken Wolfsmenschen und einem Kleinwüchsigen mit Magnet-Eigenschaft.

Klassische Superhelden-Motive & ein Schuss Naziploitation

Gabriele Mainettis Fantasy-Märchen „Freaks Out“ spielt mit klassischen Motiven der Superheldenmythen, wendet sie aber in einen übersteigerten, idiosynkratischen Stil, den das Genre in der Form noch nicht gesehen hat. Die Ästhetik des Films zieht unter anderem eigenwillige Register des B-Movies und Exploitation- beziehungsweise „Naziploitation“-Kinos. Ein extremer Stilmix, der durchaus reizvoll ist, bisweilen aber auch für Irritation sorgt. Schon die ersten Eindrücke nach dem Bombenhagel auf das Zirkuszelt wirken in ihrer grafischen Drastik fast wie die Bilder eines Splatterfilms. Aus den Nationalsozialisten macht der Film comichaft übersteigerte Superschurken, die ihre Zuspitzung im Charakter des Zirkusdirektors Franz finden, Leiter des „Zirkus Berlin“. Der von Franz Rogowski herrlich überspannt verkörperte (Größen-)Wahnsinnige besitzt ebenfalls eine Superkraft. In Visionen, die den Mann, der sechs Finger statt fünf an den Händen hat, heimsuchen, offenbart sich ihm die Zukunft. Darunter auch der Niedergang des Dritten Reiches. Diesen will er natürlich abwenden.

Eine seiner Zukunftsoffenbarungen beinhaltet auch unsere vier Helden. Und so legt er es darauf an, Mathilde, den kraftvoll-haarigen Chewbacca-Verschnitt Wolfman (Emilio De Marchi), den zauberischen Insekten-Dompteur Cencio (Pietro Castellitto) sowie den zwergenhaften Mario mit seinen beeindruckenden Magnetkräften und gewöhnungsbedürftigen sexuellen Ticks (Giancarlo Martini) in die Hände zu bekommen. Mithilfe ihrer Kräfte will Franz seinen Zirkus Berlin zur Keimzelle des Überlebens der Bewegung machen. Doch das Mädchen Mathilde kann er so schnell nicht fassen: Sie macht sich auf die Suche nach dem jüdischen Israel, der nach dem Anschlag auf seinen Zirkus verschwunden ist. Er ist Mathilde Freund, Arbeitgeber und Vaterfigur in einem. Die drei anderen Begabten aber spielt das Schicksal direkt in die Hände des sadistischen Bösewichts Franz. Nach der Zerstörung ihres Zirkus werden die drei, ohne Schlimmes zu ahnen, bei ihm vorstellig. Schnell landen sie in den entsetzlichen experimentellen Mühlen, denen Franz die sogenannten Freaks aussetzt.

Genre-Trash reibt sich am historischen Drama

Rogowskis Bösewicht klimpert virtuos am Klavier, während er sich an den schaurigen Versuchen an seinen Gefangenen berauscht, Melodien der Zukunft, die ihm seine Visionen zutragen. Darunter „Creep“ von Radiohead oder „Sweet Child O’ Mine“ von Guns n’Roses. Er ist sich seiner Sache sehr sicher, da ihm auch das Eintreffen Mathildes prophezeit wurde. Seine Kräfte-Klaviatur und eine Abwandlung der Geschichte wäre mit der Ankunft des Mädchens komplettiert. Doch so einfach, wie Franz sich die Aneignung ihrer Fähigkeiten vorstellt, macht es ihm die weibliche Hauptfigur, die sich derweil einer Partisanengruppe im Widerstandskampf angeschlossen hat, nicht. Alles läuft auf einen großen, an Spezialeffekten reichen und ausufernden Endkampf hinaus.

Gabriele Mainettis Superheldeneskapade verliert sich dabei ein wenig in der Unvereinbarkeit seiner filmischen Tonalitäten. Die frivolen und wilden (Gewalt-)Bilder seiner überschwänglich und hyperstilisiert inszenierten Bad-Taste-Party wollen nicht recht zu den ernsthaften, an der Realität orientierten Aufnahmen jüdischer Deportierter in Zügen passen, die der Regisseur als ultimativen Einsatz im Kampf Gut gegen Böse in seinem Film präsentiert. Sein erzählerischer und visueller Exzess gelingt in Momenten, in denen er seinen Außenseiter-Heldinnen und -Helden näherkommt, als das im Superheldenkino gewöhnlich der Fall ist. Gabriele Mainetti stattet seine Figuren auch mit Begabungen aus, die sich dem unmittelbaren Nutzen der Weltenrettung augenscheinlich entziehen. Besonders angesichts der – mitunter erotischen – Triumphe seines behaarten Heroen Wolfman wünscht man sich als Zuschauer, der Regisseur hätte den Mut besessen, seinen Film noch etwas konsequenter gegen den Strich der Genrekonventionen und Sehgewohnheiten zu bürsten.

Erschienen auf filmdienst.deFreaks OutVon: Chris Schinke (28.1.2024)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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