Szene aus Free Guy
Filmplakat von Free Guy

Free Guy

115 min | Komödie, Abenteuer, Science Fiction | FSK 12
Tickets
Szene 1 aus Free Guy
Szene 2 aus Free Guy
Szene 3 aus Free Guy
Guy führt ein Leben als Kassierer in einer Bank, das vor allem von der täglichen Routine und dem Chaos und der Gewalt um ihn herum geprägt ist. Jeden Tag wird seine Bank aufs Neue überfallen, aber damit hat sich Guy abgefunden. Eines Tages findet er dann jedoch heraus, dass er in Wahrheit in einem brutalen Open-World-Videospiel namens "Free City" lebt und ein sogenannter NPC ist – eine Videospielfigur, die nicht von einem menschlichen Spieler gesteuert wird. Verantwortlich für diese Erkenntnis sind die Programmierer Milly und Keys, die "Free City" gehackt haben. Guy verliebt sich in Millys Avatar Molotovgirl, doch die Tatsache, dass sich ein NPC merkwürdig verhält, bleibt den Köpfen hinter dem Spiel natürlich nicht verborgen. Der Publisher Antwan möchte "Free City" abschalten und nun ist es an Guy, sich und die anderen Videospielfiguren zu retten.

Filmkritik

Guy (Ryan Reynolds) hat keinen großen Anteil an seinem Leben. Er durchläuft es so unbeirrt und selbstverständlich, dass er darin quasi verschwindet. Zum Aufstehen begrüßt er den Goldfisch, holt eines von Dutzenden identischen Hemden aus dem Schrank, nimmt sich einen Kaffee, stempelt Schecks an seinem Bankschalter und hebt die Hände beim Überfall. Guy ist ein NPC, ein Non-Player-Character, ein kleines algorithmisches Rad in der komplexen Maschinerie des Online-Multiplayer-Spiels „Free City“. Er wurde programmiert, um eine virtuelle Welt lebendig erscheinen zu lassen, ohne selbst lebendig zu sein.

Dass Guys Anteil an den schier endlosen Checklisten, Nebenmissionen und Selbstoptimierungsanforderungen eines klassischen Videospiel-Blockbusters der Erfahrung von modernen Arbeits- und Lebenswelten gleicht, nimmt das Drehbuch von Matt Liebermann und Zak Penn als eine von vielen Pointen aus der modernen Gaming-Welt quasi im Autopilot mit. Es steckt viel in „Free Guy“, und damit sind, anders als bei retro-verliebten Videospielfilmen wie „Pixels“, „Ralph reicht's“ oder „Ready Player One“ nicht die ostentativ ins Bild gerückten Artefakte der Videospiel-Geschichte gemeint. Von den obligatorischen Witzen über Nerds abgesehen, die im Keller ihren Eltern leben, ist der zitierte Videospiel-Kanon (von „Grand Theft Auto“ und „Fortnite“, über „Red Dead Redemption“ und „Portal“) das Fundament einer aufrichtigen, mit viel hektischer Digitalästhetik aufgedonnerten Liebeskomödie zwischen zwei Welten.

Der Horizont öffnet sich

Zwei Welten, die in dem Moment sichtbar werden, als Guys bis dato ruckelfrei auf den Schienen des Programmcodes dahinziehendes Dasein ins Schleudern gerät; als er plötzlich Lust auf einen neuen Kaffee, ein neues Outfit, kurzum: ein neues Leben bekommt.

Der Horizont öffnet sich hier nicht nur für die bisher in Guy schlummernde künstliche Intelligenz, die fortan vom passiven digitalen Durchschnittsbürger zum aktiven Spieleteilnehmer aufsteigt, sondern auch für die Menschen, die diese Welt über die Bildschirme ihrer Rechner erleben. Die Gesichter hinter den digitalen Avataren werden mit Guys Erwachen sichtbar.

Auslöser ist eine Spielfigur namens Molotov Girl, die eigentlich Millie (Jodie Comer) heißt und im Gegensatz zu den anderen Spielerinnen weniger am Spiel als an dessen verborgener Struktur interessiert ist. Als Programmiererin sucht sie innerhalb der digitalen Welt von „Free City“ nach Beweisen dafür, dass der Chefentwickler Antoine (Taika Waititi) den ursprünglich von ihr und ihrem damaligen Partner Keys (Joe Keery) geschriebenen Code geklaut hat. Keys hat seine Karriere als Gamedesigner inzwischen aufgegeben und arbeitet für Antoines Unternehmen im Qualitätsmanagement, wo er als Erster auf den zum Leben erwachten NPC Guy aufmerksam wird.

Wo der Code unweigerlich endet

Als Anomalie in der Welt, die der Film konstruiert, taugt Guy letztlich nicht deshalb, weil er seinen Posten am Bankschalter und damit seine gesamte Programmierung hinter sich lässt, sondern weil er, der nicht über Gefühle verfügt, all das scheinbar aus Liebe tut. Jedes Level, in das er aufsteigt, und jeder Überfall, den er verhindert, folgen dem Ziel, Millie näher zu kommen. Ein Unterfangen, dass in der Welt des Online-Gamings deswegen ungewöhnlich erscheint, weil Guy nicht wie der Durchschnittsspieler seine Mit-NPCs ausraubt und abknallt, sondern sie beschützt. Wie eine digital aufpolierte und dadurch unkorrumpierbare Version von Dostojewskis Idiot sammelt die künstliche Intelligenz Erfahrungspunkte, während ihr Digitalkörper mit jedem neuen Level attraktiver wird.

Die Tragik dahinter allerdings, dass Guys digitales Abbild nie zu Fleisch werden kann, lässt der Film jedoch nie zu. Die Grenze zwischen Code und Bewusstsein bleibt unangetastet. Das offenbart sich nicht nur im schön inszenierten Wechselspiel der Actionszenen, die in „Free City“ nicht von der Physik, sondern höchstens von der Vorstellungskraft in Zaum gehalten werden, im realweltlichen Geschehen aber schnell auf hektisches Tippen und geradezu irritierend zivilisierte Konfliktgespräche herunterkühlen.

Ein pixeliger Kuss

Am schönsten illustriert dies der erste Kuss des Films. Die künstlich verliebte Intelligenz muss eine neue Animation erfinden, um diesen Kuss zu vollziehen, der in Pixeln tatsächlich wie ein Kuss wirkt, in der wirklichen Welt, die in diesem Moment wieder sichtbar wird, aber eben nicht ohne Körperkontakt existieren kann. Allein eine verdutzte Spielerin ist zu sehen, die perplex auf das Ende der Kuss-Animation wartet. In der Liebe – und das macht das Happy End aus – bleibt Guy ein Non-Player-Character.

Erschienen auf filmdienst.deFree GuyVon: Karsten Munt (16.3.2023)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
Über Filmdienst.de Filmdienst.de, seit 1947 aktiv, bietet Filmkritiken, Hintergrundartikel und ein Filmlexikon zu neuen Kinofilmen aber auch Heimkino und Filmkultur. Ursprünglich eine Zeitschrift, ist es seit 2018 digital und wird von der Katholischen Filmkommission für Deutschland betrieben. filmdienst.de