Szene aus MARIA BY CALLAS
Filmplakat von MARIA BY CALLAS

MARIA BY CALLAS

118 min | Dokumentarfilm | FSK 0
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"Da sind zwei Menschen in mir, Maria und die Callas ..." - Eine Künstlerin auf der Suche nach Vollkommenheit, eine globale Ikone - und zugleich eine Frau, die liebt und der ein unvergleichliches Schicksal beschieden ist: "Maria by Callas" erzählt dieses außergewöhnliche Leben aus der Perspektive der Ausnahme-Sopranistin des 20. Jahrhunderts. "Die Callas" selbst zieht den Schleier von Maria, und zum Vorschein kommt eine Frau, die ebenso leidenschaftlich wie verwundbar ist. Dabei entstehen Momente intimster Annäherung an eine Legende, und ein Kosmos von Gefühlen erschließt sich hinter dieser Stimme, die in der Welt einzigartig war. (Quelle: Verleih)

Filmkritik

Die Frau singt um ihr Leben. London, Covent Garden Opera, im Februar 1964: Maria Callas verkörpert die Titelrolle der in politische Intrigen verwickelten Sängerin Floria Tosca in Puccinis gleichnamiger Oper, inszeniert von Franco Zeffirelli. Callas, längst über ihren stimmlichen Zenit hinaus, intoniert das verzweifelte Gebet „Vissi d’Arte“ („Ich lebte für die Kunst, für die Liebe“) aus dem zweiten Akt mit Hingabe und flackernden Spitzentönen. Ihre Performance ist grandios. Tosca fleht Gott an, sie aus den Fängen des sexgierigen Polizeichefs Scarpia zu befreien. Callas richtet sich „in dieser Stunde des Schmerzes“ gleichzeitig ans Publikum. Zur musikalischen Klimax breitet sie die Arme aus, erhebt sich vom Stuhl, tut einen Schritt zur Rampe und faltet schließlich, synchron zum verzweifelten Arienausklang, die Hände. Der zweite Akt dieser Operninszenierung wurde damals von der BBC im Fernsehen übertragen. Es ist das längste Videodokument einer Weltkarriere, die keine zwei Jahrzehnte dauerte, aber einen Nachhall wie kaum eine andere in der Opernwelt erzeugte. Von einem „Tosca“-Filmprojekt, das Zeffirelli drehen wollte, blieb nur der Soundtrack: eine komplette Studio-„Tosca“, eingespielt 1965 in Paris. Die Geschichte von Zeffirellis verunglücktem Spielfilm „Callas Forever“ (2002), in dem Fanny Ardant als Maria Callas in deren Todesjahr 1977 die Dreharbeiten einer „Carmen“-Playback-Verfilmung abbricht, ist frei erfunden. Wahr ist, dass die einst gewaltige Singstimme Ende der 1960er-Jahre bereits erloschen war. Schon in der Titelrolle von Pier Paolo Pasolinis „Medea“ (fd 16 848) aus dem Jahr 1969 spricht Callas, anstatt zu singen; der Film hatte nichts mit der „Medea“-Oper von Cherubini zu tun, in der die Sängerin große Triumphe feierte. „Maria by Callas“, ein Dokumentarfilm von Tom Volf, „sollte ein Kinofilm werden, und die Callas eine Schauspielerin“, so der Filmemacher. „Das war mein geheimer Ehrgeiz: dass dieser Film dem Zuschauer das Gefühl gibt, er sehe nach ‚Medea‘ von Pasolini den zweiten Kinofilm von Maria Callas“. Volf, der erst 2013 (!) im Internet auf ihre Aufnahmen stieß und seither drei Bücher um den Mythos Callas veröffentlicht hat und eine Pariser Ausstellung organisierte, ist offenbar kein Opern-Experte. Seine sehr liebevoll montierte und oft bewegende Collage krankt ein wenig daran, dass der Unterschied zwischen Schauspiel und klassischem Gesang ignoriert wird. Was damit zusammenhängen mag, dass Callas eben beides beherrschte und idealtypisch miteinander verband. Sie sang zwischen Koloratur-, Wagner- und Verismo-Partien praktisch alles, was das 19. Jahrhundert hergab. Und spätestens seit der Zusammenarbeit mit Luchino Visconti entfaltete sich auch ihr Bühnentalent. Akustische Mitschnitte und Studioproduktionen mit Maria Callas existieren reichlich, doch die filmischen Zeugnisse der „einzige(n) Kreatur, die je eine Opernbühne betreten hat“, wie Ingeborg Bachmann schrieb, sind rar gesät. Eine filmische Callas-Dokumentation muss dabei mit dem Problem umgehen, dass aus den Glanzjahren der Sängerin, etwa zwischen 1949 und 1958, praktisch nur Tonaufnahmen existieren, die allerdings dank Callas’ „Acting Voice“ großes Kopfkino sind. Da Volf auf diese Dokumente verzichtet und überhaupt die frühen Callas-Jahre eher knapp behandelt, reduziert er das Gesamtbild. „Maria by Callas“ ist, zurückhaltend formuliert, kein Callas-Film für Anfänger, keiner, der die Ohren für ihren einst so orphischen Gesang öffnen würde. Allerdings ist es Volf hoch anzurechnen, dass er sämtliche Soli, etwa eine „Carmen“-Habanera von 1962 oder die erstaunliche Bellini-Arie aus „La Sonnambula“ aus Callas’ Bühnenabschiedsjahr 1965, ungekürzt bringt. Dazu hat er viele Sequenzen und Clips aufwändig kolorieren lassen, was ein anfechtbarer Umgang mit historischem Schwarzweiß-Material ist, das dadurch aber zugänglicher wird und unmittelbarer wirkt. Und die biografischen Stationen? Im Vergleich mit der gelungenen Fernsehdokumentation „Maria Callas: Life and Art“ (1987) verfügt „Maria by Callas“ über keine grundlegend neuen Erkenntnisse. Hier wie dort wird das Leben einer Künstlerin skizziert, die 1923 in New York als Tochter griechischer Einwanderer geboren wurde, unter dem Einfluss ihrer ehrgeizigen Mutter in Athen ab 1938 Gesang studierte und 1949 den italienischen Industriellen Meneghini heiratete, was ihrem kometenhaften Aufstieg in den frühen 1950er-Jahren sicher förderlich war; 1952 schloss sie einen Exklusivvertrag mit der Plattenfirma EMI ab. Allzu breit widmet sich der Film den sattsam bekannten Skandalgeschichten: Callas’ Affäre mit dem griechischen Milliardär Aristoteles Onassis, der Scheidung von Meneghini, dem jähen Ende der Liebesbeziehung, als Onassis Jacqueline Kennedy heiratete, was Callas erst aus der Zeitung erfuhr. Weniger geläufig ist das Nachspiel: Callas und Onassis waren bis zu seinem Tod 1975 freundschaftlich miteinander verbunden. Dieser Komplex und andere Ereignisse werden in Callas Briefen reflektiert, deren von Fanny Ardant (in der deutschen Fassung: Eva Mattes) empfindsam gelesene Auszüge den Titel „Maria by Callas“ durchaus rechtfertigen. „Ich hatte doch nur eine Bronchitis“, schreibt die Sängerin an ihre Gesangslehrerin Elvira de Hidalgo, als 1958 in Rom ein Abbruch einer Aufführung von Bellinis „Norma“ in der Presse zur Staatsaffäre aufgebauscht wurde, weil ihr der italienische Präsident beiwohnte. Dieser und andere „Skandale“ werden zu Recht ausführlich behandelt, weil sie den unmenschlichen Druck spürbar machen, dem die Künstlerin ausgesetzt war. 1965 wiederholt sich der „Walkout“, als Callas ihre Paradepartie der „Norma“ nicht zu Ende singen kann. Diesmal aber wird im Publikum nicht gebuht, sondern respektvoll applaudiert. Sie gibt dann noch einmal die „Tosca“ in London – und tritt nie wieder in der Oper auf. Neben den Briefen dient ein Fernsehinterview von 1970 mit David Frost als zweiter roter Faden des Films. Darin werden sehr persönliche Dinge verhandelt; so spricht Callas einmal über das Eheglück, dass ihr verwehrt blieb, und für das sie ihre Karriere aufgegeben hätte. Die Aussagekraft solcher Bekenntnisse ist allerdings fragwürdig. Dass der Sängerberuf einen Konflikt zwischen privaten und beruflichen Interessen mit sich bringt, liegt auf der Hand. Überhaupt ist Vorsicht geboten, wo die Inszenierung insinuiert, dass die Star-Biografie eine „intimste Annäherung an eine Legende“ gewährleisten könne. Ganz bei Callas ist man nur, wenn man ihren Gesangsrollen lauscht, auch wenn das paradox klingen mag. Insofern könnte „Maria by Callas“ eine Anregung zum Weiterhören sein, zu einer Entdeckung des Archipels Maria Callas.

Erschienen auf filmdienst.deMARIA BY CALLASVon: Jens Hinrichsen (24.11.2023)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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