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Tata - Vater

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Eine junge Journalistin verlässt ihre Heimat Moldawien, um auf Distanz zu ihrem Vater zu gehen, der für Missbrauch und Trauma in ihrem frühen Leben verantwortlich ist. Als sie später zu ihm zurückkehrt, um ihn mit seinem Verhalten zu konfrontieren, stellt sie fest: Auch ihr Vater ist missbraucht worden – von seinem Arbeitgeber in Italien. Die darauffolgenden Recherchen der Journalistin zeigen, wie Verhaltensmuster wie emotionale Erpressung oder häusliche Gewalt oftmals von Generation zu Generation weitergegeben werden.
  • Veröffentlichung04.12.2025
  • Radu Ciorniciuc, Lina Vdovîi
  • Deutschland (2025)
  • 82 Minuten
  • Dokumentarfilm

Zunächst lächeln Lina und ihre kleine Schwester auf einem Familienvideo in die Kamera; sie singen für ihren Vater Pavel, der weit weg von zuhause lebt, ein Lied und führen ein selbsterdachtes Theaterstück über ein kleines Kätzchen auf. Doch man ahnt, dass da irgendwas nicht stimmt: zu erzwungen wirkt die Familienidylle, zu einstudiert die oberflächliche Anrede an den Papa. Über seine Abwesenheit war die Familie damals froh. Denn dann gab es keine lautstarken Streitereien mit der Mutter und auch keine Schläge mit dem Ledergürtel, wenn die Schulnote nicht gut genug war.

„Du musst mir helfen!“

Ein paar Jahre später kehrte Lina Vdovîi ihrer moldawischen Heimat dann den Rücken und machte als Journalistin Karriere. Sie recherchierte in Krisenregionen, schickte Reportagen aus Kriegsgebieten, arbeitete unter anderem für den „Guardian“ und den „EUObserver“. Doch ihre schwierigste Investigativ-Arbeit begann 25 Jahre später, mit einem Hilferuf ihres Vaters aus Norditalien. In der Videobotschaft übermittelte er Bilder mit Hämatomen an den Armen und Abschürfungen am Oberkörper – und die inständige Bitte: „Du musst mir helfen.“ Gemeinsam mit ihrem Partner, dem Filmemacher Radu Ciorniciuc, machte sich Vdovîi auf den Weg.

Mit ihrem Film „Acasă – My Home“ (2020) über eine rumänische Roma-Familie, die einem Naturpark weichen musste und in die Stadt umgesiedelt wurde, haben Ciorniciuc und Vdovîi viele Preise gewonnen. Mit der dabei entwickelten sehr direkten und zugleich doch behutsamen Annäherung spüren sie nun auch dem Schicksal von Vdovîis Vater nach. Sie treffen ihn an seinem Arbeitsplatz, einem Weingut in Italien, müssen sich und ihre Kamera aber vor dem „Boss“ verstecken. Sie rüsten den Vater mit einer Digitalkamera aus, mit der er seinen Arbeitgeber bei Übergriffen filmt: wie der ihn mit „I kill you“ anschreit, ihm eine leere Weinflasche ins Gesicht zu stoßen droht und Pavel körperlich misshandelt.

Pavel zeigt ihnen seine Aufzeichnungen über seine sozialversicherungspflichtig abgeleisteten Arbeitsstunden und die zusätzlichen Überstunden – fast die gleiche Anzahl – sowie die Wohnung, die er gegen weitere Arbeitsstunden „umsonst“ nutzen darf. Bella Italia von unten; ein Fall von so krasser Ausbeutung, dass sie in einem Spielfilm wahrscheinlich als platte Kapitalismus-Metapher kritisiert würde. Hier aber ist alles echt im falschen Paradies. Das Filmemacher-Duo hilft Pavel Vdovîi, die Angelegenheit vor Gericht zu bringen und auf Schadenersatz zu klagen.

Die Geschichte hinter der Geschichte

Doch hinter dieser Geschichte gibt es noch die Geschichte vom falschen Zuhause und der Gewalt in der Familie Vdovîi. Beim ersten Wiedersehen mit dem Vater versteift sich Linas Körper, beim Glas Wein kommt es zum Streit. Sie erinnert ihn an die Schläge, mit denen er sie malträtiert hat. An den Tag, an dem er die Mutter durch die geschlossene Balkontür gestoßen hatte. Im Gegenzug wirft er ihr vor, dass sie nie zur Kenntnis genommen habe, wie schwer es ist, mit vier Jobs die Familie über Wasser halten zu müssen: „Da bleibt keine Zeit für die Kinder.“

Für Schläge aber schon. Lina bohrt weiter in der Familiengeschichte. Sie erfährt von einem Onkel, der von einem Lehrer zu Tode geprügelt wurde, als er wieder einmal zu spät zur Schule kam. Ihre Großmutter erinnert sich, dass sie ein Gespür dafür entwickelte, wann sie lieber die Klappe halten sollte, um ihren Ehemann nicht zu Schlägen zu provozieren. Mit der Kamera blicken Vdovîi und Ciorniciuc hinter die verschlossenen Türen ganzer Generationen. Wie nebenbei erzählen die Frauen von häuslicher Gewalt und der Angst davor. Ihre Männer stehen immer noch daneben. Auch Linas Vater beginnt nach seiner Rückkehr nach Moldawien gleich wieder seine Ehefrau abzuwatschen, wenn sie ihn beim Reden unterbricht. Im Korridor herrscht erneut der gleiche lautstarke Streit wie früher.

Dabei sollte „Tata“ ein Heilungsprozess werden. Mit der digitalen Kamera, mit der Pavel Vdovîi die Misshandlungen durch seinen Arbeitgeber filmte, hat er auch ein paar Worte an seine Tochter aufgezeichnet und Reue gezeigt. Worte, auf die Lina viele Jahre gewartet hat. Er sucht auch Rat beim rumänisch-orthodoxen Priester. Der aber antwortet, dass es falsch sei, sich „vor seinen Kindern als schuldig“ zu bekennen. Schließlich sei aus ihnen etwas geworden, also habe er nichts falsch gemacht. Damit scheint der Kreislauf aus Despotismus und Wegducken, Schlägen und Geschlagenwerden sich wieder zu schließen. Doch diesmal ist die Kamera dabei. Keine Gottesfurcht, keine „Psychologie“ und kein Arbeitgeber-Gastarbeiter-Verhältnis helfen, die tradierte häusliche Gewalt zu verdecken. Für Vdovîi und Ciorniciuc ist es schmerzhaft, diese Türen zu öffnen, aber auch für das Publikum, sich der Wirklichkeit zu stellen, sei es in ländlichen Regionen Moldawiens oder im industrialisierten Italien.

Schlagen und Geschlagenwerden

Die persönliche Erfahrung, die hinter dieser Langzeitbeobachtung steht, hebt „Tata“ von stereotypen Draufsichten ab. Hier geht es ans Eingemachte, wozu auch die schwierige Liebe zwischen Tochter und Vater gehört. Während der Arbeit an „Tata“ wurde Lina Vdovîi schwanger. Ob sie es endlich schafft, diese traumatischen Gewalterfahrungen von Schlagen und Geschlagenwerden nicht mehr weiterzugeben?

Veröffentlicht auf filmdienst.deTata - VaterVon: Bernd Buder (3.12.2025)
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