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Amsterdam

134 min | Komödie, Thriller, Krimi | FSK 12
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In the 1930s, three friends—a doctor, a nurse, and an attorney—witness a murder, become suspects themselves and uncover one of the most outrageous plots in North American history.

Filmkritik

Der US-amerikanische Regisseur David O. Russell ist so ziemlich das Gegenteil eines soliden Filmemachers. In seinem Werk wechseln sich das Famose und das Uninspirierte, das Absurde und das Herzerwärmende, das Stumpfsinnige und das Nachhallende quasi im Sekundentakt ab. Wie man englischsprachigen Medien entnehmen kann, gilt das auch für seine Person. Sein neuer, mal wieder von diversen Gegenwinden begleiteter Film „Amsterdam“ macht da keine Ausnahme. Man irrt wohl nicht, wenn man den geradezu dekadent bis in die kleinsten Nebenrollen mit Stars besetzten Film als tonale Katastrophe bezeichnete.

Zwischen Groteske, Historienfilm, Thriller und Buddy-Film verliert sich die Erzählung rund um zwei Kriegsveteranen (Christian Bale, John David Washington) und ihre Mitwirkung an der Verhinderung eines auf realen Geschehnissen beruhenden Putschversuchs im Jahre 1933, bei dem finanzstarke Verbindungen einen faschistischen Führer in den USA zu etablieren versuchten, in einer geradezu surrealen Unentschiedenheit. Mal wird verspielt getanzt und geliebt, mal werden geheime faschistische Bünde aufgedeckt, dann wieder tauchen merkwürdig unzufriedene Polizisten auf oder rollt ein Glasauge auf dem Boden (nach „The Big Short“ der zweite Film, in dem Christian Bale eine Figur mit Glasauge spielt), dann plötzlich folgt eine wilde Sequenz, die sich nur im Kopf einer Figur abspielt und so weiter.

So bizarr wie schön

Kurz und etwas hilflos zusammengefasst, geht es um jene beiden Freunde, die sich als Doktor (Bale) und Soldat (Washington) im Ersten Weltkrieg kennenlernen und beide schwer verwundet in einer Klinik landen, in der sie die Krankenschwester Valerie (Margot Robbie) kennenlernen, die bizarre und doch schöne Werke aus den Metallsplittern formt, die sie aus den verletzten Körpern zieht. Über Zufälle und Verbindungen landen die beiden nach einem paradies-ähnlichem Leben zu dritt in Amsterdam zurück in New York und werden dort in dubiose Machenschaften rund um den Tod des US-Generals Bill Meekins verstrickt. Die Verschwörung decken sie dabei nur auf, weil sie beweisen wollen, dass sie nicht den Tod von Meekins Tochter (Taylor Swift) herbeigeführt haben.

Der historische Hintergrund und die durchaus ernsten, auf die USA unter Trump zielenden Themen des Films vertragen sich kaum mit dem Slapstick und den mit Nonsense spielenden, entlang mehrfacher Nervenzusammenbrüche schlitternden Einlagen. Aber kann man das so einfach feststellen oder gibt es einen Weg in diese etwas querstehende Welt des Regisseurs? Immerhin waren bereits Filme wie „I Heart Huckabees“ und „American Hustle“ von manchen Unausgeglichenheiten und einer geradezu provokanten Form des Laissez-faire geprägt. Die Frage könnte sein: Was hat es mit dieser Unausgeglichenheit auf sich?

Wie so viele Arbeiten im Werk von David O. Russell ist auch dieser Film ein großer Flop. Man rechnet mit Verlusten von bis zu 100 Millionen Dollar. In Österreich hat Disney dem Film vorerst sogar einen Kinostart versagt. Viele Kritiken lesen sich vernichtend. Was alles durchaus nachvollziehbar ist. Dennoch kann man gerade der Unberechenbarkeit, die von der in seltsamen Winkeln und weichen Farben operierenden Kamera Emmanuel Lubezkis und dem karikaturesken Spiel der Darsteller Christan Bale, Michael Shannon, Anya Taylor-Joy oder Alessandro Nivola einiges abgewinnen. Anders formuliert: „Amsterdam“ schaut ein bisschen so aus, als würden Wohlfühltabletten den ganzen Irrsinn, die beständige Paranoia des (politischen) Alltags in einen verformten Traum verwandeln, in dem alles aus den Fugen geraten ist, aber noch gerade so zusammenhält, dass eine Fassade erhalten bleibt.

Ein rastloser, höchst interessanter Trip

Man wähnt sich in Harmonie, lebt aber in der Hölle. „Amsterdam“ ist der Film eines Filmemachers, der unbedingt ein Happy End will und an der Wirklichkeit zu Grunde geht. Die tonalen Brüche sind den Nerven und Eigenarten der Figuren geschuldet (plötzliche Schwindelattacken, Abschweifungen über das Nistverhalten des Kuckucks oder ein seltsam erotischer Händedruck), und so ließe sich durchaus argumentieren, dass Russell hier lediglich eine Welt zeigt, die von seinen Figuren exakt so wahrgenommen wird. Seltsam, schmerzend, ein rastloser Trip des kaum Greifbaren. Gleichzeitig aber entspricht diese Instabilität einem quasi subversiven Akt gegen den modus operandi Hollywoods. Statt der Klarheit, Würde und Stärke einer Message wird dieser Film von der schieren Freude am Schauspiel und der geradezu spitzbübischen Manier einer Störung der gewohnten Abläufe angetrieben. „Amsterdam“ ist so diffus, dass es bereits wieder interessant ist.

Alle Figuren haben Ticks oder aus ihrem Gebaren sprechende Defekte und Neurosen. Selbst der integre General Gil Dillenbeck (Robert De Niro) erscheint extravagant in seiner Aufrichtigkeit. Wenn auf ihn geschossen wird, spricht er einfach weiter für die Gerechtigkeit, als wäre nichts geschehen. Einer von vielen abstrusen Augenblicken, die einen allerdings nie ganz zum Lachen bringen. „Amsterdam“ ist Kopfwehkino, erinnert manchmal an Terry Gilliams „Brazil“ und dann wieder an einen längst vergessenen Grippetraum. Man wacht hier nicht mehr auf. Alles, was Russell auf die Leinwand schleudert, erzählt von der Impotenz eines Kinos, das sich nur noch befreien kann, wenn es seine eigene Sinnhaftigkeit über Bord schleudert. „Amsterdam“ könnte einer dieser Filme sein, die man in einigen Jahren noch einmal betrachten muss; es könnte aber auch eines der Werke sein, die man ganz schnell und für immer vergisst.

Erschienen auf filmdienst.deAmsterdamVon: Patrick Holzapfel (29.1.2023)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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