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An Hour from the Middle of Nowhere

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Das ländliche Stewart County liegt ruhig und verschlafen im Südwesten von Georgia. Im Wald versteckt sich eines der größten Abschiebegefängnisse der Vereinigten Staaten. Bis zu 2.000 Menschen warten hier auf ihren Prozess. Überwiegend ohne juristische Begleitung. Ein juristisch faires Asylverfahren ist in vielen Gebieten der USA schwer zu erhalten, denn die Gefängnisse liegen meistens „An Hour from the Middle of Nowhere“. So auch im Stewart County: Im Umkreis von 200 Kilometern gibt es keine privaten Asyl- und Migrationsanwälte außer Marty Rosenbluth, der sein Leben der Verteidigung der Menschenrechte verschrieben hat. Gemeinsam mit seiner Assistentin Alondra kämpft Marty mit Sanftmut und leidenschaftlicher Hingabe für Menschen in Migrationshaft und gegen die Willkür der Gerichte. In beobachtenden Szenen erleben wir verschiedene Fälle und begleiten die Familie eines seiner Mandanten auf ihrer juristischen und emotionalen Achterbahnfahrt bis zum Tag der Gerichtsverhandlung.
Eine grandiose Erzählung über einen herausragenden Migrationsanwalts, seiner Assistentin und ihrer Klienten entsteht und ist eine authentische und stille Beobachtung der brutalen Abschiebungsmaschinerie der heutigen USA. Der Film fühlt sich an wie der Ort – idyllisch und verloren. Empowernd und inspirierend.
  • Veröffentlichung12.06.2025
  • Kathrin Seward, Ole Elfenkaemper
  • Deutschland (2024)
  • 83 Minuten
  • Dokumentarfilm
  • FSK 12

Seine Philosophie erklärt der Asyl- und Migrationsanwalt Marty Rosenbluth gerne mit einer bildhaften Geschichte. Ein kleines Mädchen steht an einem Strand, an den unzählige Seesterne an Land gespült wurden, und wirft einen nach dem anderen wieder zurück ins Meer. Auf die Frage eines alten Mannes, warum sie sich die Mühe mache, wo die Rettung aller doch vergeblich sei, antwortet sie: „Nun, bei dem einen hat es etwas bewirkt.“

Die USA haben das größte Abschiebegefängnissystem; im Jahr 2022 wurden täglich etwa 22 630 Menschen deportiert. Die Migrationsbehörde ICA (United States Immigration and Customs Enforcement), die 2003 in Folge der Terroranschläge vom 11. September aus einer Vorgängerinstitution heraus neu gegründet wurde, fungiert dabei als entscheidende Instanz – mit weitreichenden Rechten. Sie ermittelt Grenzverletzungen, verordnet Inhaftierungen und entscheidet über Bleiberechte und Abschiebungen. Die Haftanstalten liegen oftmals in isolierten, ländlichen Gegenden, in denen sich kein Anwalt und keine Anwältin finden, die die inhaftierten Einwander:innen gerichtlich vertreten.

In Lumpkin, Georgia

So liegt das Stewart Detention Center in dem verschlafenen Ort Lumpkin in Georgia. Laut einer Studie hatten weniger als 6 Prozent der Inhaftierten in Lumpkin zwischen 2007 und 2012 einen Rechtsbeistand. Auch in den folgenden Jahren hat sich an dieser Zahl wenig geändert. Um diesem Missstand etwas entgegenzusetzen, beschloss Rosenbluth, nach Lumpkin zu ziehen. Gemeinsam mit seiner Assistentin Alondra kämpft er seit 2017 für die Rechte von Menschen in Migrationshaft. Ole Elfenkaemper und Kathrin Seward dokumentieren ihn und seine Arbeit.

Der Skype-Klingelton ist in Rosenbluths Arbeitsalltag allgegenwärtig. Die Menschen, die ihm auf dem Bildschirm seines Laptops in orangefarbener Gefängniskleidung „gegenübersitzen“, sind meist in einer verzweifelten Verfassung. Die Zustände in den Anstalten sind oft fürchterlich; nicht selten kommt es unter Migrant:innen zu Suiziden. Rosenbluth, ein drahtiger Mann mit grauem Bart und Brille, klärt über die nächsten Schritte auf und versucht aufzumuntern, ohne allzu viel Hoffnung zu machen. Die Urteile der Behörde seien oft willkürlich und schwer vorherzusehen. Auch durch die Präsidentschaft von Joe Biden – der Film entstand vor der zweiten Amtszeit von Donald Trump – hat sich daran nichts geändert. „This is the same old crap“, so Rosenbluth. Inzwischen kann davon sicherlich aber nicht mehr die Rede sein; die jüngere Geschichte hat den Film überholt.

Eine quälende Warterei

In beobachtenden Szenen begleitet „An Hour from the Middle of Nowhere“ verschiedene Fälle. Rechtsbrüche – wie etwa die Befragung eines Mandanten in Anwesenheit andere Gefangener – sind an der Tagesordnung. Auch die mangelhafte Rechtsberatung durch kostspielige Anwälte in der Ferne ist keine Seltenheit. Im Zentrum des Films steht die Familie des Mexikaners Raúl, der aufgrund eines defekten Scheinwerferlichts an seinem Wagen in eine Polizeikontrolle geriet und seitdem im Stewart Detention Center auf sein Urteil wartet. Seine Frau versucht sich und die beiden in den USA geborenen Kinder mühsam über Wasser zu halten. Die Warterei ist quälend und hinterlässt bei allen Beteiligten psychische Schäden.

Über die rechtlichen Hintergründe und das System der Migrationsbehörde erfährt man in „An Hour from the Middle of Nowhere“ eher wenig. Der Film ist ganz auf das Porträt eines kämpferischen Mannes fokussiert, der praktisch im Alleingang versucht, die Verhältnisse zu ändern. Seine Biografie erzählt der Film über Radiointerviews. Rosenbluth war 47 Jahre, als er die juristische Fakultät der University of North Carolina besuchte. Nach dem College arbeitete er ehrenamtlich für Amnesty International und ging dann nach Israel, wo er jahrelang palästinensische Menschen im Westjordanland vertrat.

That’s who I am

Elfenkaemper und Seward folgen ihm auch nach Hause, wo er in Cargo-Shorts und weißem Tanktop vor seiner Küchenmaschine steht und Pizzateig knetet – eine haptische Tätigkeit, die, anders als in seiner Arbeit, auch gleich ein sichtbares Ergebnis hervorbringt. Ans Aufgeben denkt er nicht: „That’s who I am.“ Man müsse ihn schon in der Schubkarre oder dem Rollstuhl aus dem Gerichtssaal schieben.

Veröffentlicht auf filmdienst.deAn Hour from the Middle of NowhereVon: Esther Buss (9.5.2025)
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