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Filmplakat von Bulldog

Bulldog

95 min | Drama, Thriller
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Film über die Beziehung zwischen dem 21jährigen Bruno und seiner 15 Jahre älteren Mutter Toni.

Filmkritik

Das Sonnenlicht ist so gleißend hell, dass es den Blick vernebelt. Aber noch haben die Touristen die Insel nicht gestürmt, weshalb die Insel Ibiza fast ein wenig verschlafen wirkt. Das kommt Toni und Bruno entgegen, die ihr Leben entspannt nehmen. Sie jobben in einer Ferienanlage, ziehen Laken straff, wischen Duschkabinen blank und finden immer Zeit, sich zu necken oder gemeinsam eine Kippe zu rauchen. Als Bruno (Julius Nitschkoff) nach einem Wettrennen Toni zu Boden drückt, kommt in dem jungen Mann Siegerstimmung auf: „Ich krieg’ dich immer, wenn ich will!“

Allerdings sind die beiden kein Liebespaar, sondern Mutter und Sohn. Toni (Lana Cooper) war 15, als sie ihn zur Welt brachte. Obwohl inzwischen 21 Jahre vergangen sind, sieht sie mit ihren zartrosa gefärbten Haaren immer noch wie ein Mädchen aus und wünscht ihrem Sohn zum Geburtstag, dass „alles so bleibt, wie es ist“. Die beiden leben in einer kumpelhaften Symbiose, die gestört wird, als Hannah (Karin Hanczewski) auftaucht und Bruno aus dem Bett vertreibt, in dem er abends neben seiner Mutter einschläft.

Nähe und Distanz

Mütter und ihre Söhne. Söhne und ihre Mütter. Immer wieder erkundet das Kino diese Beziehung, die oft auch eine der Abhängigkeit ist. Manchmal schiebt diese Konstellation eine Geschichte an, etwa in „Alles über meine Mutter“ (1999) von Pedro Almodóvar. Oder Mutter und Sohn stehen ganz im Zentrum, wie in den Herzschlagfilmen von Xavier Dolan, der mit 19 Jahren in seinem Regiedebüt „I Killed My Mother“ (2009) von dem fast gleichaltrigen Hubert (gespielt von Dolan selbst) erzählt, der in Hassliebe zu seiner Mutter entflammt ist und nur noch wegwill, während Diane in „Mommy“ (2014) begreift, dass sie nur ohne ihren unkontrollierbaren Sohn überleben kann.

Es geht in diesen Filmen um Liebe, Verlustängste, Verletzungen, Projektionen, Kontrolle, um das Ausloten von Nähe und Distanz, das Loslösen und das Loslassen und manchmal sehr spektakulär auch um das große Tabu, um Sex zwischen Mutter und Sohn – verklärend weich wie in „Herzflimmern“ (1971) von Louis Malle oder krass kompromisslos wie in Isabelle Stevers „Grand Jeté“ (2021).

Toni und Bruno überschreiten diese Grenze zwar nicht, aber dennoch ist Toni komplett aus der Rolle gefallen. Statt ihr Kind auf eigene Füße zu stellen, hat sie sich einen besten Freund zum Rumflachsen herangezogen. Um vielleicht als ewiger Teenager durch ihr Leben flattern zu können. Bruno jedenfalls, ein kräftiger junger Mann, der Autos reparieren kann und darauf Wert legt, dass man seine Arbeit als „Facility Management“ bezeichnet, scheint daran nichts merkwürdig zu finden. Er denkt gar nicht daran, auszubrechen. Es macht einfach zu viel Spaß mit Mama. Oder etwa nicht?

Eine ungesunde Beziehung

Denn es ist vor allem Bruno, der immer wieder Verantwortung übernehmen und seine Mutter beschützen muss. Hat Toni morgens nach einer durchfeierten Nacht mit Hannah einen Kater, räumt er die leeren Flaschen weg, meldet sie beim Chef krank, übernimmt noch einen weiteren Job, um das nötige Geld zusammenzubekommen. Auf der anderen Seite bockt er wie ein Kleinkind, weil er nicht mehr die ungeteilte Aufmerksamkeit seiner Mutter erhält. Dass sie sich in Hannah verliebt hat, stellt nicht nur sein Leben auf den Kopf, sondern auch sein Selbstbild. Langsam schwant ihm, dass sich in seiner Beziehung zu Toni etwas ändern muss.

Regisseur und Drehbuchautor André Szardenings inszeniert in seinem Debütfilm diese ungesunde Mutter-Sohn-Beziehungskiste mit sommerlich luftigen Bildern, aber auch mit einer beklemmend engen Kamera, die den Figuren jegliche Perspektive nimmt. Wie die beiden geworden sind, was sie sind, und warum das all die Jahre funktioniert hat, bleibt dabei aber unklar.

Eine solch offene Erzählung setzt allerdings voraus, dass man Toni und Bruno und ihrem Miteinander Glauben und Interesse schenkt. Was nicht jedem gelingen mag, wobei das nicht an den schauspielerischen Leistungen liegt. Aber der Konflikt wirkt insgesamt arg behauptet, die Figuren werden psychologisch nicht genug ausgeleuchtet. Wie hat Toni es geschafft, Bruno so sehr an sich zu binden und ihn trotzdem zu einem patenten jungen Mann werden zu lassen? Und wieso treibt es Bruno nicht hinaus? Sollte er nicht mit Freunden um die Häuser ziehen, statt mit Mama abzuhängen? Existiert eine Außenwelt überhaupt für ihn? Als er schließlich einen Entschluss fasst, ist die Geschichte von Toni und Bruno zu Ende. Dabei könnte sie jetzt richtig losgehen.

Erschienen auf filmdienst.deBulldogVon: Kirsten Taylor (23.5.2023)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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