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Filmkritik
Die (Rache-)Geschichte von Edmond Dantès gehört zu den Klassikern der Literatur und des Films. Wer fühlt nicht mit, wenn ein junger Mann, dem eine glänzende Zukunft winkt, am Tag seiner Hochzeit noch vor dem Ja-Wort zu Unrecht verhaftet wird? Dantès ist das Opfer einer Intrige, man sperrt ihn weg, in ein berüchtigtes Gefängnis mitten im Meer. Dort verzweifelt er und trifft einen viel älteren Mitgefangenen, der ihm seinen Überlebensmut zurückgibt, ihm Sprachen und Wissen vermittelt. Beide graben jahrelang an einem Tunnel, und Dantès gelingt nach 14 Jahren die Flucht. Damit endet meist der erste Teil der ikonischen Saga. Im zweiten Teil erscheint Dantès dann als wohlhabender und mysteriöser Graf von Monte Christo, als gnadenloser Rächer, der die Männer vernichtet, die sein Leben zerstörten.
Viele kennen diese Geschichte, aber den ausufernden Roman von Alexandre Dumas dem Älteren haben nur die wenigsten gelesen. Die zweibändige französische Taschenbuchausgabe erstreckt sich über 1400 Seiten. Das schafft Freiräume für eine umfassende und in diesem Fall wirklich bahnbrechende Neuverfilmung. Die beiden Drehbuchautoren Alexandre de la Patellière und Matthieu Delaporte sind seit zwei Jahrzehnten mit ihren Theaterstücken und Stoffen wie „Der Vorname“ als Duo äußerst erfolgreich. Als Autoren entstaubten sie zuletzt bereits „Die drei Musketiere“ mit den Drehbüchern für eine bildgewaltige und grandiose zweiteilige Neuverfilmung.
Für „Der Graf von Monte Christo“ haben sie nicht nur das Drehbuch geschrieben, sondern auch gemeinsam Regie geführt. Dabei gelingt ihnen das Kunststück, nicht nur dramaturgisch zu überzeugen, klug zu verdichten, die Frauenfiguren komplexer anzulegen und vorzügliche Dialoge zu schreiben. Sie sind auch exzellente Regisseure in der Schauspielführung und beschenken durch einen Reichtum an Bildern.
Politische Intrige und Eifersucht
Schon der Beginn ist spektakulär und völlig neu. Edmond Dantès (Pierre Niney) rettet eine junge Schiffbrüchige vor dem Ertrinken. Dafür wird er wegen Befehlsverweigerung von seinem Kapitän (Patrick Mille) zu den Sätzen: „Ich bin brutal. Das weiß ich nicht nur, ich bin sogar stolz darauf“ ins Gesicht geschlagen und von Deck verbannt. Die junge Frau heißt Angel, war in geheimer Mission auf der Insel Elba bei Napoleon und trägt einen Brief des verbannten Kaisers mit sich. Dieser Brief, von dem Dantès nichts weiß, wird zum Ausgangspunkt einer politischen Intrige, zu der persönliche Eifersucht hinzukommt. Denn Mercédès (Anaïs Demoustier), die große Liebe von Edmond, wird auch von ihrem Cousin Fernand de Morcerf (Bastien Bouillon) geliebt, der sich als bester Freund von Dantes ausgibt.
Zu dieser tragisch-fatalen Geschichte finden die beiden Regisseure und ihr frankokanadischer Kameramann Nicolas Bolduc kontrapunktisch durchgehend grandiose und betörende Bilder voller Schönheit und Licht. Egal ob es die Totalen der weiten Landschaften, der herrschaftlichen Schlösser oder der üppig ausgeleuchteten Innenräume sind: Dieser „Graf von Monte Christo“ ist eine Augenweide in CinemaScope, mit der keine der bisherigen Verfilmungen mithalten kann. Besonders originell und spektakulär sind auch die Szenen im Gefängnis. Dort hausen die Insassen in riesigen runden Einzelzellen, die so viele Meter tief unter der Erde liegen, dass man ihnen das Essen nur in einem Eimer herabseilt. Auch hier dominieren nicht dunkle, düstere Farben, sondern das Licht: die Sonne scheint von oben in die Zellen.
Gedreht wurde vor allem an Originalschauplätzen in Frankreich und für die Hafenszenen auf Malta. Spezialeffekte spielen dabei keine Rolle oder werden so gekonnt eingesetzt, dass man sie nicht sieht.
Ein junger Graf von zahlreichen Facetten
Bewusst setzen die Regisseure mit dem 35-jährigen Pierre Niney auf einen „jungen“ Monte Christo, der ebenso überzeugend den 22-jährigen naiven Dantès wie auch den verbitterten Rächer darstellen kann. Vor allem in der zweiten Hälfte des Films in Paris, wenn sich der Graf hinter diversen Masken verbirgt, wie ein Schauspieler in andere Rollen schlüpft und vorher seinen Text lernt, vermag Pierre Niney die ganze Zerrissenheit seiner Figur auszudrücken.
Dieser Graf manipuliert und benutzt Menschen, hat die Rache zu seinem Lebenselixier auserkoren und zerstört damit andere und sich selbst. Er ist nicht mehr der strahlende Rächer, dem alle Sympathien zufliegen. Diese düsteren Facetten vermag Niney ebenso überzeugend darzustellen wie den Charme des Grafen. Manchmal ist das auch komisch und sehr unterhaltend, etwa wenn er sich mit perfektem „British“ hinter einer Maske und viel Schminke als Lord Halifax ausgibt, Herausgeber eines Boulevardblatts und Vorreiter von „Fake News“.
In Paris rücken verstärkt auch die jungen Zöglinge des „Grafen“ in den Fokus: der kleinkriminelle Waisenjunge André, der einen berühmten, biologischen Vater hat, und Haydée (Anamaria Vartolomei), deren Vater von Monte Christos großem Rivalen Fernand de Morcerf verraten wurde. Sie wird zum emotionalen Zentrum des Films. Die in Rumänien geborene Vartolomei spielt ihre vielschichtige Figur mal anmutig, dann wieder berechnend, geheimnisvoll und leidenschaftlich. Der Graf gibt André und Haydée lange nur Hass und Rache mit auf den Weg, doch seine Ziehtochter entwindet sich schließlich seinen Plänen, was dem Film seine stärksten und emotionalsten Szenen beschert. Sie hinterfragt den alttestamentarischen Rachebegriff Monte Christos und seine fanatische Sucht nach „Gerechtigkeit“ und wagt dabei die Konfrontation.
Neuinterpretationen der Frauenfiguren
Wie schon im zweiten Teil der „Musketiere“, in „Milady“, schaffen es die Drehbuchautoren, die eindimensionalen Frauenfiguren von Dumas komplett anders zu interpretieren. Eva Green spielte Milady nicht mehr nur als eine mörderische Femme fatale, sondern als Frau, die von Männern manipuliert und missbraucht wurde. Keine Antiheldin mehr, sondern eine tragische Heldin. Haydée steht in „Der Graf von Monte Cristo“ für die junge Generation, die sich auflehnt und eine Zukunft für sich fordert.
Daneben haben die beiden Autoren mit Angel eine neue tragische Frauenfigur erfunden, die ebenfalls in einer von Männern dominierten Welt ihren Weg als Agentin, Frau und Mutter sucht. Und auch die von Anaïs Demoustier gespielte Mercédès bekommt nicht nur eine viel größere Rolle, sondern wird auch als Figur deutlich aufgewertet. Sie ist es, die als erste Monte Christo durchschaut und ihn dazu zwingt, sich emotional wieder zu öffnen.
Diese französische Neuverfilmung in jeder Hinsicht ein Glücksfall für das Kino. Der Stoff, der allein wegen seiner Fülle eher für eine Serie geeignet erscheint, erhält auf der Leinwand eine ihm angemessene Opulenz. Der Film bedient die Sehnsucht nach großen Bildern wie nach tiefen Gefühlen und bleibt dabei dem Geist der literarischen Vorlage treu, ohne altmodisch zu sein. Damit hat dieser „Graf von Monte Christo“ schon jetzt das Zeug zum Klassiker.