Szene aus Der Hochzeitsschneider von Athen
Filmplakat von Der Hochzeitsschneider von Athen

Der Hochzeitsschneider von Athen

100 min | Drama
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Szene 1 aus Der Hochzeitsschneider von Athen
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Szene 3 aus Der Hochzeitsschneider von Athen
Der Grieche Nikos (Dimitris Imellos) arbeites als Schneider in Athen und hat sich auf Hochzeitsmode spezialisiert. Doch der exzentrische Mann ist mittlerweile über 50, hat sich vor der Welt zurückgezogen und lebt eigentlich nur noch isoliert vor der Welt im Dachboden der Familien-Schneiderei. Sein Vater ist krank, die Tochter von ihm entfremdet. Weil das Geschäft schlecht läuft und die Schulden sich immer weiter anhäufen, steht der Laden kurz vor dem Aus. Erst als er fast alles verloren hat, erkennt Nikos, dass er eine frische neue Geschäftsidee braucht, um nicht unterzugehen. Die kommt ihm mithilfe der Nachbarin Mira in Form eines wundersamen Schneiderladens auf Rädern, mit der er sich, sein Leben und seine Kunst neu erfindet. Die Bräute von Athen sind bald nicht mehr dieselben wie noch zuvor und auch Nikos verliebt sich zum ersten Mal in seinem Leben.
  • RegieSonia Liza Kenterman
  • ProduktionDeutschland, Belgien, Griechenland
  • Dauer100 Minuten
  • GenreDrama
  • IMDb Rating6.4/10 (0) Stimmen

Filmkritik

Der 50-jährige Herrenschneider Nikos lebt für seinen Beruf. Penibel hält der stets perfekt gekleidete Junggeselle das elegante Geschäft sauber, das er von seinem Vater übernommen hat. Er selbst wohnt zurückgezogen in der Werkstatt hinter dem Laden in der Athener Innenstadt. Doch mitten in der schweren Wirtschaftskrise bleiben die Kunden aus: Wer außer einigen wenigen alten Herren kann oder will sich heute noch einen maßgefertigten Anzug aus edlem Stoff leisten? So wachsen die Schulden, bis die Bank einen Brief mit der Zwangsvollstreckung schickt. Zu allem Unglück erkrankt auch noch sein alter Vater Thanasis schwer. Nun muss Nikos dessen Medikamente und die Operation bezahlen.

Nikos wird klar, dass es so nicht weitergehen kann. Er baut mit viel Einfallsreichtum aus Altmaterialien einen Karren zusammen und preist seine Anzüge in der Fußgängerzone an. Doch auch dort findet er keine Interessenten. Zugleich bemerkt er, dass es eine Nachfrage nach Frauenkleidung und insbesondere Brautkleidern gibt.

Ein Neustart mit Tüll, Pailletten, Spitzenstoff und Satin

Notgedrungen stellt der Herrenschneider seine Produktion um, wobei ihm die russischstämmige Nachbarin Olga hilft, die mit einem grobschlächtigen griechischen Taxifahrer verheiratet ist. Deren Tochter Victoria ist neben seinem Vater Nikos‘ einziger nennenswerter Sozialkontakt: Mit der aufgeweckten Neunjährigen tauscht er über die Wäscheleine jeden Tag kleine Briefchen aus.

Während der Vater eisern am hergebrachten Handwerk fest hält und die neuen Geschäftsideen des bisher so folgsamen Sohnes missbilligt, gewinnt Nikos vor allem in den ärmeren Vorstädten Athens mit seinem fahrbaren Stand und moderaten Preisen und Tauschgeschäften eine dankbare Kundschaft. Während Nikos den Laden in einen Salon voller Tüll, Pailletten, Spitzenstoff und Satin verwandelt, erwachen romantische Gefühle für die hübsche Olga, die beglückt entdeckt, dass sie eine talentierte Schneiderin und Designerin ist.

Vom Mut, sich selbst neu zu erfinden

Die griechisch-deutsche Autorin und Regisseurin Sonia Liza Kenterman, die ein Studium an der London Film School absolviert hat, erzählt in ihrem ersten langen Spielfilm mit feiner Beobachtungsgabe vom Aufbruch eines Außenseiters in eine neue Lebensphase. Sie nimmt sich viel Zeit, um die einzelgängerische Lebensweise des Protagonisten zu beschreiben, der sich auch mit 50 Jahren noch nicht von seinem dominanten Vater emanzipiert hat. Obwohl Nikos kaum soziale Kontakte und offenbar kein Liebesleben hat, scheint es ihm gut zu gehen. Fast wirkt der integre Eremit wie aus der Zeit gefallen. Auch wenn die schwere Wirtschaftskrise viele Griechen in die Armut gestoßen hat: im Fall Nikos hat sie auch eine gute Seite, zwingt sie ihn doch gleichsam, sich und sein Metier neu zu erfinden.

Mit dem inneren Aufbruch des sanften Helden geht eine ästhetische Befreiung des Films einher, der auf dem Filmfestival von Thessaloniki den FIPRESCI-Preis und zwei weitere Auszeichnungen erhielt: Er bewegt sich aus dem dunklen Interieur des Ladens, in dem die Kamera uns liebevoll die alten Regale und edlen Stoffe zeigt, hinaus auf die hellen Straßen und quirligen Märkte Athens und später in die lebhaften Vorstädte.

Jacques Tati und Buster Keaton lassen grüßen

Vor allem im Anfangsteil mit seiner weitgehend stummen, humoristischen Narration erweist Kenterman ihren Vorbildern Referenz: Jacques Tati, Buster Keaton und französische Komödien der 1960er Jahre. Sobald sich Nikos ins Getümmel der Straßen begibt und Olga näherkommt, wird die Inszenierung warmherziger, dramatischer und beschwingter. Hier entfaltet auch die leichtfüßige, zuweilen burleske Musik von Nikos Kypourgos ihre stärkste Wirkung.

Allerdings fehlt es der charaktergetriebenen Inszenierung des Coming-of-Old-Age-Films – wie Kenterman ihren Ansatz beschreibt –an einem dramatischen Widerpart, so dass sie gelegentlich allzu gemächlich dahinplätschert. Einige Holprigkeiten im Plot und Redundanzen wie wohlfeile Seitenhiebe auf die Schnäppchenjagd der Konsumenten lassen sich leicht verschmerzen.

Mit Dimitris Imellos hat Kenterman einen Hauptdarsteller gewonnen, der die märchenhafte, bittersüße Romanze souverän trägt und den bescheidenen Einzelgänger ebenso glaubhaft verkörpert wie den mutigen Anpassungskünstler. Seine russische Kollegin Tamila Koulieva steht ihm nicht nach und gibt die etwas frustrierte Hausfrau mit Designer-Ambitionen und romantischen Sehnsüchten ebenso souverän. Thanasis Papageorgiou bleibt als Nikos' Vater leider zu wenig Leinwandzeit, um dem knurrigen Schneiderveteranen mehr Facetten zu geben. Besonders hervorzuheben sind aber auch die authentisch gezeichneten und solide besetzten Nebenfiguren.

Erschienen auf filmdienst.deDer Hochzeitsschneider von AthenVon: Reinhard Kleber (10.12.2021)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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