Szene aus Der Russe ist einer, der Birken liebt
Filmplakat von Der Russe ist einer, der Birken liebt

Der Russe ist einer, der Birken liebt

105 min | Drama
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Szene 1 aus Der Russe ist einer, der Birken liebt
Nachdem ihr Freund schwer erkrankt ist, überdenkt Mascha ihren Weg und beschließt, ihr bisheriges Leben hinter sich zu lassen. Aber nur wenn sie nach Hause zurückkehrt, kann sie Frieden finden.
  • RegiePola Beck
  • ProduktionDeutschland
  • Dauer105 Minuten
  • GenreDrama
  • TMDb Rating6.3/10 (3) Stimmen

Filmkritik

Vor zehn Jahren feierte die 38-jährige Olga Grjasnowa, die als elfjähriges Mädchen mit ihrer russisch-jüdisch-aserbaidschanischen Familie als sogenannte „Kontingentflüchtlinge“ nach Deutschland eingewandert ist, mit ihrem Debütroman „Der Russe ist einer, der Birken liebt“ (2012) einen großen Erfolg. Die gleichnamige Verfilmung des Lebens einer jungen Simultandolmetscherin, die einen ähnlich multiethnischen Hintergrund hat wie Grjasnowa, erschließt sich den Text nach dem zunächst erstaunlich gut funktionierenden Prinzip: ein Baustein führt zum nächsten.

Rückblenden zwingen dazu, die unchronologischen Ereignisse in der Gegenwart wie ein Mosaik zusammenzusetzen. Kurze Szenen im Club, in der Synagoge, am Strand in Israel, beim Sex mit wechselnden Männern und Frauen charakterisieren nach und nach die 29-jährige Mascha als sprachbegabte Nomadin auf dem Weg zu einem Job bei der Uno in Genf. Sie hat alle Grenzen hinter sich gelassen und heißt jedes Abenteuer willkommen, das ihr eine Existenz in der Freiheit westlicher Demokratien bietet.

Erdrückt von Trauer und Melancholie

Offenbar sind die Zwänge, in denen ihre Eltern und Großeltern gefangen waren, vom Bürgerkrieg über Diktatur bis zu Pogromen, in ihre eigene DNA eingegangen. Mascha behauptet zwar, dass Herkunft und Identität sie nicht interessieren, doch der Alltagsrassismus ist ihr hin und wieder einen sarkastischen Kommentar wert. Umso intensiver durchlebt sie ihre Beziehungen, auch mit arabischen Männern, was ihr die Kenntnis einer weiteren Sprache beschert. Dabei wirkt sie mal selbstbewusst bis zur Arroganz, mal wie eine orientierungslos Ertrinkende, erdrückt von Trauer und Melancholie; eine Frau, das sich mit permanenter erotischer Ablenkung über Wasser zu halten versucht.

Hinter ihrer aufgesetzten Pose der Unabhängigkeit und Härte verbergen sich nicht eingestandene Verletzungen, glaubt ihre israelische Freundin, eine Ex-Soldatin und eine von vielen Menschen, die ihr näher kommen, obwohl sich Mascha nicht auf sie festlegen will. Aus Angst, wieder einen Verlust zu erleiden?

Mit Gott einen Deal abschließen

Regisseurin Pola Beck hat die Hauptrolle mit Aylin Tezel besetzt, mit der sie schon bei ihrem Debütfilm „Am Himmel der Tag“ (2012) zusammengearbeitet hat. Tezel stürzt sich in diese Rolle wie ein Kamikaze, der den Absturz in Kauf nimmt, ist schroff und verletzend, als ihr bio-deutscher Freund vorschlägt, zu ihrer Verwandtschaft nach Tel Aviv zu fahren. Ihr Gesicht ist dann so angespannt, als wollte sie gleich in körperliche Gewalt abdriften. Einige Szenen später verströmt ihre Mimik pures Entsetzen, als sich der Zustand des nach einer Sportverletzung ins Krankenhaus gebrachten Freundes verschlechtert. Obwohl Mascha auf Hebräisch mit Gott einen Deal abschließt, kann sie seinen Tod nicht verhindern.

Von da an schwebt die Metapher einer nicht heilenden Wunde tonnenschwer über dem ins Melodramatische abdriftenden Films. Dass sich Mascha mit ihren schwankenden Emotionen selbst im Weg steht, hat man da längst begriffen. Es ermüdet zunehmend, ihr auf ihrer Irrfahrt zu folgen, zumal sie unentwegt nach einer Zuflucht sucht, im Beruf, in der Liebe, in Israel.

Die Flut an Widersprüchen, die ihre Person unter Strom setzen, scheinen ihr nicht bewusst zu sein. Nur dank der nie nervös agierenden Kamera, die sich immer wieder in die Zeit anhaltende Lichtspiele versenkt, lässt sich dieser selbstzerstörerisch brodelnde Vulkan als eine sehr zeitgenössische Figur ertragen.

Nie endende Bettgeschichten

Dass Mascha in den vergangenen zwanzig Jahren im deutschen Kino viele Vorläuferinnen hatte, von Thomas Durchschlags „Allein“ bis zu David F. Wendts „Feuchtgebiete“, lässt sie auch als Variation eines bestimmten Frauentypus erscheinen, der auch ohne den Ballast aus Holocaust, Verfolgung, Kultur- und Sprachwechsel die gleichen Sackgassen als Lebenslösungen gefunden hat. Allerdings ist es genau dieser sozio-kulturelle Ballast, in den man lieber eingetaucht wäre als in Maschas von Machtspielen und Desinteresse am Gegenüber geprägten, nie endenden Bettgeschichten.

Erschienen auf filmdienst.deDer Russe ist einer, der Birken liebtVon: Alexandra Wach (7.11.2022)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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