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Filmkritik
Eng auf den Boden gedrückt, kriecht Grace (Jennifer Lawrence) durchs trockene Gras, windet sich, das lange Küchenmesser im Anschlag, spielerisch und bedrohlich zugleich. Das Ziel ist das abgelegene Zuhause in der US-amerikanischen Provinz. Das Neugeborene auf der Veranda lugt erschreckt aus der Babywiege, als Grace das Messer in einigem Abstand vor ihm ablegt. Vater Jackson (Robert Pattinson) im Inneren des alten Farmhauses ahnt noch nicht, dass er gleich aus seiner postnatalen Ruhephase geschreckt wird. Schon wieder, von seiner Frau, die in New York eine gefeierte Schriftstellerin war und von der jetzt die Verantwortung einer jungen Mutter erwartet wird. Graces Sprunghaftigkeit zwischen Depression und Überdrehtheit erinnert aber weniger an Mutterinstinkte, eher ans Borderline-Syndrom.
Verloren im Taumel der Gefühle
Es sind antagonistische Verhaltensweisen, die in „Die, My Love“ ständig aufeinanderprallen und tiefe emotionalen Wunden hinterlassen. Sie gleichen alle dem Muster zu Beginn des Films, als das junge Paar in wortkarg-schroffer Vertrautheit eingeführt wird, im nächsten Moment aber in sexuelle Ekstase verfällt. Zwei junge Menschen verlieren sich im Taumel ihrer Gefühle, aus denen wie zufällig ein Kind entsteht, das alles auf den Kopf stellt. Auch emotional scheint dieses Neugeborene von seiner Mutter abgenabelt zu sein, die es zwar stillt und herumträgt, aber mit dem kleinen fordernden Menschlein sonst wenig anzufangen weiß. Und die lieber eine Flasche Bier als das Kind in die Hand zu nehmen scheint.
Grace verzweifelt an der eintönigen Abgeschiedenheit ihres neuen Zuhauses, während ihr Mann als Handelsvertreter durch das Land tourt. Statt Rosen schleppt er einen kläffenden Köter in den ohnehin angespannten Haushalt ein. Grace masturbiert und fantasiert von einem sporadisch vorbeifahrenden Motorradfahrer mit dunkelrotem Lederdress und heruntergeklapptem Helmvisier, was Spiel und Bedrohung zugleich ist. Im Handschuhfach von Jacksons Auto liegen stets neue Kondome, während Grace in ihrer sexuellen Frustration in das abrutscht, was man früher als Hysterie abgetan hätte.
Wenn ein Mann diesen Beziehungsstrudel verfilmt hätte, ließen sich ihm leicht misogyne, längst überkommene Vorstellungen von weiblicher Sexualität vorwerfen. „Die, My Love“ lässt sich leicht wie die Geschichte einer sexuell abgewiesenen Frau lesen, die angesichts der Vernachlässigung durch ihren Mann „hysterisch“ wird – bis in einer therapeutischen Sitzung Graces Verhalten als „postnatale Depression“ gedeutet wird. Doch diesen Film hat kein Mann gedreht, sondern eine der visionärsten Regisseurinnen der Gegenwart: Lynne Ramsay.
Eine domestizierte „wilde Frau“
1999 präsentierte sie mit „Ratcatcher“ ein eindringlich düsteres Drama aus dem Arbeitermilieu in Glasgow, in dem der Perspektivlosigkeit Anfang der 1970er-Jahre immer wieder schöne Szenen von Aufbruch und Freundschaft gegenübergestellt wurden. „Morvern Callar“, „We Need to Talk About Kevin“ und „A Beautiful Day“ folgten ebenfalls prominent besetzten Figuren auf dem schmalen Grat zwischen Wahnsinn und extremen Gefühlen.
Ramsays Filme spielten bislang meist in urbanen Milieus, in denen sich die emotionale Enge und das Gefühl des Eingesperrtseins, vor allem in familiären Beziehungen, widerspiegelten. In der Offenheit der US-amerikanischen Prärie- und Waldlandschaften, in denen „Die, My Love“ spielt, übersetzt sich das weniger gut. Der auf einem Roman von Ariana Harwicz beruhende Film schildert das Leid einer unter ihrer „Domestizierung“ leidenden „wilden Frau“, die den Spieß umdreht und selbst als Aggressorin auftritt, aber dennoch in ihrem begrenzten Raum gefangen bleibt.
Das ist wenig subtil verpackt, wenngleich von Jennifer Lawrence mimisch großartig verkörpert. So lässt die verhinderte Schriftstellerin die Muttermilch aus ihrer übervollen Brust auf frisch verteilte schwarze Tinte tropfen. Das reine Weiß vermischt sich mit dem depressiven Schwarz der Schreibblockade. Sissy Spacek als ihre Schwiegermutter Pam schleppt nach dem Tod ihres Alzheimer-erkrankten Mannes (Nick Nolte) ihre eigenen Frustrationen sinnbildlich mit einem geladenen Gewehr mit sich herum. Jene Waffe, mit dem sich der Schwager, in dessen Haus Grace und Jackson nun leben, das Leben nahm – durch einen Schuss in seinen Hintern. Die Affäre mit dem lange gesichtslos bleibenden Motorradfahrer, der zuhause ein behindertes Kind pflegt, lässt überdies alle Substanz missen.
Ins Existenzielle abrutschender Paarkonflikt
Der Film mit dem antagonistischen Titel „Stirb doch, Liebling“ fühlt sich elliptisch und wie die Protagonistin holperig springend an. Das mag beabsichtigt sein, wirkt aber auch reichlich aufgesetzt. Jennifer Lawrence, die sich mit psychotischen Charakteren seit „Silver Linings“ und „mother!“ bestens auskennt, spielt sich die Seele aus dem Leib; doch was in „Mother“ im Subtext und den Konnotationen lag und eine sehr eigene Spannungsdramaturgie entfaltete, wirkt in „Die, My Love“ an vielen Stellen schlicht behauptet.
Der visuell eindrückliche Film ist eine zwiespältige Erfahrung, auch weil schon nach kurzer Zeit eine gewisse Ermüdung einsetzt, trotz aller aufsehenerregenden Geschehnisse und einer ambitionierten Kamera. Der schauspielerische „Shoot Out“ zwischen den beiden Hollywood-Stars als „Amour fou“-Pärchen ist beides: faszinierend und doch zu kalkuliert, als dass der ins Existenzielle abrutschende Paarkonflikt wirklich berühren könnte.
