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Die Poetin

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New York, Anfang der 50er Jahre: Elizabeth Bishop (Miranda Otto) steckt in einer kreativen Krise. Auf Ratschlag ihres Freundes und Mentors Robert Lowell (Treat Williams) begibt sich die Poetin auf eine Reise nach Brasilien. Von ihrer Studienkollegin Mary Morse (Trace Middendorff) wird sie eingeladen, in der wunderschönen Villa von Marys Lebensgefährtin, der Architektin Lota de Macedo Soares (Glória Pires), außerhalb von Rio zu wohnen.
Zunächst kann Lota ihrem Gast nicht viel abgewinnen, doch bald fühlen sich die Frauen zueinander hingezogen. Als sie sich ihre gegenseitige Liebe eingestehen, kommt es zum Streit mit Mary. Lota überredet Elizabeth zu bleiben, obwohl die Spannungen zwischen den drei Frauen immer unerträglicher werden. Nachdem Lota die Gestaltung des weltberühmten Flamengo-Parks in Rio übernimmt und Elizabeth inspiriert durch ihr neues Leben wieder schreibt und mehrfach prämiert wird, droht ein Militärputsch das Leben der Frauen endgültig zu verändern.

„Beobachtungen, in Zeilen gepresst.“ Altväterlich und etwas harsch fällt Robert Lowells Kritik an Elizabeths Bishops Gedicht „One Art“ über die Kunst des Verlusts aus, das sie ihm im Central Park vorliest. Falls ich sterbe, dann sag allen, dass ich der einsamste Mensch auf Erden gewesen bin, bittet ihn Elizabeth daraufhin. Der dunkle Schmerz einer Kreativitäts- und Sinnkrise scheint ziemlich deplatziert zwischen all den friedlichen Sonnenstrahlen, die um ihre Parkbank herum auf den Boden fallen. Bruno Barretos Bio-Pic über eine der einflussreichsten Dichterinnen Amerikas beginnt mitten in New York im Jahre 1951, das der Film so lebensecht wiederauferstehen lässt wie das Brasilien jener Zeit, wo sich Elizabeth Inspiration sucht und Liebe findet. Mit 40 Jahren reist die Dichterin auf den nahe Rio de Janeiros gelegenen Landsitz ihrer Studienfreundin Mary, die hier zusammen mit ihrer Lebensgefährtin Lota de Macedo Soares, ein tropisches Paradies errichtet hat. Die berühmte Architektin ist gewohnt, alles zu bekommen, und stolz auf alles, was sie erschaffen hat. Elizabeth hingegen ist distanziert, fast verschlossen. Sie schämt sich, wenn sie ihre eigenen Verse hört. Ihre innere Enge und Unsicherheit scheinen Katalysator und Hemmschwelle zugleich zu sein. Dementsprechend groß ist das Misstrauen und später die Liebe, mit der Lota Elizabeth überzieht und eine zum Zerreißen angespannte Dreiecksbeziehung etabliert. Für Elizabeth und ihren Ausblick vom Schreibtisch sprengt Lota sogar Felsen weg. Für ihre eifersüchtige Lebensgefährtin Mary, die Frauen liebt, aber auf Kinder nicht verzichten will, adoptiert sie eine kleine Tochter. Und für sich selbst tüftelt Lota an ihrem berühmten Flamengo Park an der Copacabana, während sich Elizabeth ihrem Einfluss entzieht, wie das Meer dem Sand. „Reaching for the Moon“, wie der Film im Original nach den Laternen heißt, mit denen Lota ihren Park in Mondlicht tauchte, handelt nicht nur vom Griff zweier Frauen nach den Sternen, von Liebe und Karriere. Einmal gesteht die Pulitzer-Preisträgerin, dass sie unglücklich ist, wenn sie nicht das bekommt, was sie will, aber im Moment der Erfüllung nur noch daran denken kann, dass sie alles wieder verlieren wird. Mit einem Geist, der Gefühle in Verse kleiden, aber die Bewunderung anderer nicht in Selbstbewusstsein übersetzen kann, dreht sich der Film um die innere Leere eines Menschen ohne große Selbstliebe, dem die große Liebe entgleitet. Das ist ein universales Thema, das zur Identifikation einlädt, aber Bishops Leben als Literatin, nicht als Liebhaberin, die Luft abschnürt. „Ich werde lieber geschlechtsunabhängig als 16. Poet bezeichnet, als eine von vier Frauen zu sein – selbst wenn die anderen drei ziemlich gut sind“, wird Bishop im Abspann zitiert. Es ist ihre Erwiderung auf Lowells gönnerhafte Aussage, sie gehöre neben Emily Dickinson, Marianne Moore und Sylvia Plath zu den vier Dichterinnen, die in Amerika an das Werk männlicher Lyriker heranreichen. Diese Aussage aber hängt in „Die Poetin“ ziemlich in der Luft. Ein bisschen mehr von dem Gefühl, das Elizabeth in einer Literaturwelt der männlichen Beat Generation beschlichen haben muss, wäre schon interessant gewesen. Selbst wenn ihr Blick „nach oben“ so nachsichtig gewesen sein mag, wie in der Szene, in der sie zu Lotas Laternen hinaufblickt und dabei von einem Mondlicht angestrahlt wird, das auch etwas Fahles besitzt. So aber passt ihre Figur zu einem Film, der niemanden auf die Zehen treten will. Nicht den Militärs, die das Land durch ihren Putsch in Gewalt versinken ließen. Nicht dem Andenken an eine Dichterin, die so viel Alkohol in sich hinein schüttete, dass sie darin unterzugehen drohte. Und letztlich auch nicht den Erzählkonventionen, die man für diese sinnlich poetische Geschichte stärker hätte aufbrechen müssen. Die elegische Erzählung bleibt damit hinter ihren Möglichkeiten zurück, auch wenn sie dennoch eine starke Geschichte erzählt: vom Loslassen, um neu anfangen zu können, mit einer Frau, die man liebt, und einer neuen Heimat, die einen schätzt – selbst wenn deren Flüchtigkeit jederzeit greifbar ist: „Even losing you (the joking voice, a gesture / I love) I shan’t have lied. It’s evident / the art of losing’s not too hard to master / though it may look like (Write it!) like disaster.“

Veröffentlicht auf filmdienst.deDie PoetinVon: Kathrin Häger (18.12.2025)
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