









Cast
Vorstellungen
Filmkritik
Michel Dupuis (Didier Bourdon) ist ein Familienoberhaupt der alten Schule. Der Bankangestellte wohnt im Jahr 1958 in einem schmucken Haus mit Vorgarten. Er hat zwei Kinder, die er streng erzieht, und eine Ehefrau, Hélène (Elsa Zylberstein), die er ebenso als seinen Besitz betrachtet wie den Rest des Haushalts. Während Michel als Kreditberater über Gelder für Unternehmen bestimmt, kümmert sich Hélène um das Haus. Sie putzt, wäscht, saugt, mangelt und kocht hingebungsvoll. Mit einem befreundeten Ehepaar wird gegrillt oder über die geplante 5. Republik des Generals de Gaulle hergezogen.
Auf das wie aus einem Werbekatalog stammende Haus der Dupuis scheint immer die Sonne; alle sind brav gekleidet und gescheitelt; Hosen kommen für Hélène und ihre Tochter Jeanne (Mathilde Le Borgne) nicht in Frage; Sohn Lucien (Maxim Foster) soll im Radio Fußball hören und kein Weichei sein. Es ist ein Schock, als herauskommt, dass die 18-jährige Jeanne vom Nachbarjungen geschwängert wurde. Für Michel und Hélène ist sofort klar: Es muss geheiratet werden!
Einziger Lichtblick: die Waschmaschine
Der einzige Lichtblick in Hélènes Leben ist eine Waschmaschine, die sie in einem Gewinnspiel ergattert hat. Michel will das kostbare Elektrogerät verkaufen, doch Hélène weigert sich. Es kommt zum Gerangel zwischen den Eheleuten, bei dem beide einen Stromschlag erleiden – und am nächsten Morgen total mitgenommen erwachen. Wie groß ist ihr Entsetzen, als sie realisieren, dass sie sich im Jahr 2025 befinden. Sohn Lucien fährt mit dem Skateboard zur Schule und in der smarten Küche sorgt die Sprachassistentin Alexa bei dem Ehepaar für Panik, ebenso wie die Kaffeemaschine, ein Saugroboter, Handys und PCs. Außerdem ist Michel nun der Hausmann, während Hélène in der Bank als Chefin das Sagen hat. Jeanne fährt Hélène zur Arbeit, wo sie sich in ihrem exquisiten Büro in Rekordzeit mit Computer, USB-Sticks und Zoom-Konferenzen vertraut machen muss. Endgültig an den Rand des Nervenzusammenbruchs geraten die Eheleute, als Jeanne eine Frau heiraten will – eine Algerierin!
So fallen die Dupuis in der Komödie „Die progressiven Nostalgiker“ von Vinciane Millereau von einer Ohnmacht in die andere. Während Kinder, Freunde und Kollegen sich über die plötzlichen Fehltritte von Hélène und Michel wundern, müssen diese viel lernen und sich anpassen. Anfänglich sind sie damit heillos überfordert. Wenn sie nicht mehr weiterwissen, haben sie sich auf das Passwort „Wie spät ist es?“ geeinigt. Das zeitigt manche sehr witzige und slapstickhafte Szene und versinnbildlicht die permanenten Panikanfälle der Figuren aus der Vergangenheit.
Zwei Menschen mit so festen Wertvorstellungen wie die Dupuis, die auch ihre Geschlechterrollen erzkonservativ auslegen, haben es im liberalen 21. Jahrhundert schwer. Dafür aber verläuft die Lernkurve dann umso steiler. Vor allem Hélène weiß die Emanzipation der Frauen bald zu schätzen. Sie verdient ihr eigenes Geld, verfügt über eine Kreditkarte und muss nicht mehr das Haus sauber halten. Außerdem beschert ihr der medizinische Fortschritt ein Wiedersehen mit ihrem Vater, der seinen Prostatakrebs überwunden hat und nicht daran gestorben ist wie in den 1950er-Jahren. Michel hingegen, der vom patriarchalen System besonders profitierte, machen die Zeiten schwer zu schaffen.
Blödeleien und Klamauk
Mit dem Zeitreise-Motiv schöpft der Film jede erdenkliche komische Situation aus und treibt den Kontrast zwischen Vergangenheit und Gegenwart auf die Spitze. Didier Bourdon und Elsa Zylberstein blödeln herrlich überdreht durch den Film und haben sichtlich Spaß an dem Kulturschock, den ihre Figuren durchleben. Während die Dupuis es aus den 1950er-Jahren gewohnt waren, dass Mädchen in ihren kleinbürgerlichen Kreisen auf Namen wie Évelyne, Géraldine, Blandine und Catherine hören, werden sie nun mit Multikulturalität konfrontiert, was insbesondere für Michel gewöhnungsbedürftig ist, der auf Frankreich als Kolonialmacht sehr stolz war. Nicht umsonst haben sich die Drehbuchautoren für einen Ausgangspunkt entschieden, als die Emanzipationsbewegung kurz vor dem Ausbruch stand.
Der Film hinterfragt vor allem das Patriarchat und den Nationalismus und macht sich für die weiblichen Figuren stark. Die Waschmaschine, welche die Zeitreise auslöst, versinnbildlicht die Emanzipation der Hausfrauen, da ihnen das Gerät sehr viel Arbeit abnahm. Aus den kontrastierenden Szenenbildern von damals und heute schlägt der Film viel Kapital. Die 1950er-Jahre kommen wie die Kulisse einer Meister-Proper-Werbung daher, während die Gegenwart optisch und akustisch für die Dupuis eine einzige Herausforderung bleibt. Smarte Geräte überfordern die beiden mit ihren von einer weiblichen Stimme vorgetragenen Anweisungen, was vor allem Michel empört, und auch sonst wird ihnen angesichts der erbarmungslosen Beschleunigung der Gegenwart ganz schwindelig.
Im filmischen Spiegel
„Die progressiven Nostalgiker“ ähnelt anderen Zeitreise-Werken wie „Die Besucher“, „Zurück in die Zukunft“ oder „Die Chroniken von Narnia“; der Film nimmt sogar explizit Bezug darauf. Denn Michel googelt die Filme und schaut sie online an, um seine Rückkehr in die Vergangenheit zu beschleunigen, was komische Volten zeitigt. Dass in dem Genre eine Zeitreise allerdings kein Wunschkonzert ist und die Figuren erst nach einem anstrengenden Lernprozess in ihre angestammte Zeit zurückkehren dürfen, wird geflissentlich übergangen.
