Szene aus Freakscene: The Story of Dinosaur Jr.

Freakscene: The Story of Dinosaur Jr.

82 min | Dokumentarfilm, Musik
Dokumentation von Philip Reichenheim über Dinosaur jr., eine der bedeutendsten US-amerikanischen Indierockbands. Die Geschichte einer "dysfunktionalen Famile" (J. Mascis).

Filmkritik

„Sometimes I don’t thrill you

Sometimes I think I’ll kill you

Just don’t let me fuck up will you

’cause when I need a friend it’s still you

What a mess!“

 

Das sind ein paar Zeilen aus dem ersten Hit der US-amerikanischen Band „Dinosaur Jr.“ aus dem Jahre 1988. Die textliche Pointe beschrieb früh die Geschichte der einflussreichen Band, der mit dem „The Cure“-Coversong „Just like Heaven“ im gleichen Jahr noch ein zweiter Hit gelang, bevor die Band auseinanderbrach. Erst viele Jahre später kam es 2005 zu einem Comeback in Originalbesetzung.

Damit wäre auch schon die „Story of Dinosaur Jr.“ skizziert, wie sie Philipp Reichenheim in „Freakscene“ ausbreitet. Reichenheim, der über Bande mit einem der Bandmitglieder persönlich verbunden ist, verfügt über erstaunlich reiches Archivmaterial, das bis zu den Anfängen der Musiker in der US-Underground-Hardcore-Szene der Ostküste zurückreicht.

Der Aufstieg kam mit dem „SST“-Label

Lou Barlow spielte in der Band „Deep Wound“ Bass und J. Mascis Schlagzeug. Doch die formelhafte Ästhetik von Hardcore befriedigte die beiden Musiker bald nicht mehr. 1984 gründeten sie „Dinosaur“. Mascis, der ein guter Schlagzeuger war, wechselte zur Gitarre, die ihm, wie es einmal heißt, als Instrument fremd blieb, weshalb er sich mit einem Arsenal von Effektgeräten und Verstärkern behalf. Hinter dem Schlagzeug saß jetzt Murph.

„Dinosaur“ spielten ein erstes Album ein und wechselten dann zum seinerzeit legendären „SST“-Label. An die frühen Veröffentlichungen auf „SST“ in Deutschland kam man damals nur mit etwas Glück und viel Einsatz heran, etwa an Platten der „Minutemen“, „Blag Flag“, „Sonic Youth“, „Blind Idiot God“ oder „Hüsker Dü“.

Im Laufe der 1980er-Jahre erweiterten die „SST“-Bands die Punk-Soundpalette um Noise, Reggae, Metal, Jazz oder idiosynkratischen Freestyle. Hierzu passte „Dinosaur“ wie die Faust aufs Auge, kombinierte das Trio doch einen wirklich brachialen Noise-Rock mit eingängigen Melodien und einem an Neil Young erinnernden Gesang mit dünnem Stimmchen. Kurzum: das Harte und das Zarte. Was auch heute noch umwerfend gut klingt. Ein paar Jahre später fuhren Grunge und Nirvana ökonomisch die Ernte ein, die „Dinosaur Jr.“ und andere gesät hatten.

Aus „Dinosaur“ wird „Dinosaur Jr.“

Der (relative) Erfolg von „Dinosaur“ machte die (fast) gleichnamige Westcoast-Hippie-Supergroup „The Dinosaurs“ auf die Band aufmerksam; den drohenden Rechtsstreit verhinderte die Umbenennung in „Dinosaur Jr.“.

Im Underground wurde viel gesammelt, gefilmt und fotografiert, weshalb Reichenheim über reichlich Material verfügt, um detailreich zu erzählen. Zudem hat er die drei Bandmitglieder und prominente Zeitzeugen wie Henry Rollins, Kim Gordon oder Bob Mould vor die Kamera geholt, die die Geschichte vom Aufstieg und Fall und dem Weitermachen von „Dinosaur Jr.“ anekdotenreich und rückblickend auch etwas achselzuckend ausbreiten.

Bereits bei der Produktion des dritten Albums „Bug“ (1988) kam es zu Spannungen zwischen Mascis und Barlow. Im Film ist von toxischer Männlichkeit die Rede, die sich auch gegen Männer richten kann. Männer könnten zwar miteinander reden, mutmaßt die Rocksängerin Kim Gordon, kommunizieren deshalb aber noch lange nicht. Im Falle von „Dinosaur Jr.“ wurde nicht einmal mehr miteinander geredet, nur noch gerockt. Aggression, Frustration, Schweigen, Drogen, Hinduismus – die „Reinheit der Vision Mascis‘“ hielt die Band mittelfristig am Laufen. Dann ging Barlow, später Murph. Mascis machte weiter, mal solo, mal in anderen Projekten, mal (mit eingewechselten Musikern) als „Dinosaur Jr.“, mal komponierte er die Filmmusik für „Gas Food Lodging“. So brachte es die Band, die eigentlich seit 1988 verbrannt war, über die Jahre doch noch zu einer veritablen Diskografie voller interessanter Hakenschläge und positiver Überraschungen.

Eine Passage aus Zeit und Raum

In „Freakscene“ präsentiert sich die Band geläutert und erwachsen. Die Verwerfungen sind passiert, vielleicht auch analysiert, aber darüber reden oder auch miteinander über die Vorgänge sprechen wollen sie vor laufender Kamera nicht. Was nicht passt, wird weggelacht. Immerhin hat es J. Mascis vermeiden können, zu einer Art Neil Young für die Generation „Alternative Rock“ zu werden.

Weil der Film all dies registriert, aber das Pathos einer Verdichtung zu etwas Verallgemeinerbarem meidet, erscheint das Ganze fast wie Traum. Drei Männer in einer Passage aus Zeit und Raum. John Lennon hatte dafür den Satz parat: „Life is what happens to you while you’re busy making other plans.“

Erschienen auf filmdienst.deFreakscene: The Story of Dinosaur Jr.Von: Ulrich Kriest (15.9.2022)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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