Szene aus Geborgtes Weiß
Filmplakat von Geborgtes Weiß

Geborgtes Weiß

99 min | Drama | FSK 12
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Szene 1 aus Geborgtes Weiß
Die Frauenärztin Marta lebt mit ihrem Sohn Nathan friedlich im heruntergekommenen Landhaus des reichen Journalisten und Systemkritikers Roland – bis der arme Wanderarbeiter Valmir als Handwerker gerufen wird und vergessene Geheimnisse wieder ans Licht holt. Mit diesem bildgewaltigen Kammerspiel, das zugleich ein gesellschaftskritischer Familien-Thriller ist, decken Autorin Karin Kaçi und Regisseur Sebastian Ko schonungslos auf, mit welchen Sünden die Privilegien des Wohlstands erkauft sind – und welchen Preis man letztlich dafür zahlen muss.
  • RegieSebastian Ko
  • Dauer99 Minuten
  • GenreDrama
  • AltersfreigabeFSK 12

Filmkritik

Das Holz knistert im Kamin, die langstieligen Weingläser stehen auf dem Tisch, draußen in der Nacht: nichts als Nebel, Baum und Heide. Kein Zweifel, in diesem alten Backsteinhaus irgendwo in der moorigen deutschen Provinz kann sich jederzeit der Horror in die vermutete oder behauptete Geborgenheit einnisten. Diejenige, die das offenbar ahnt und zugleich wie einen bösen Zauber abwehrt, wirft zu Beginn des Films einen durch Mark und Bein gehenden Blick in die Kamera, zu uns, die wir offenbar Verbündete oder Angeklagte sind, bevor sie sich mit einem kleinen Bündel im Arm durchs Unterholz schlägt.

Wie sich herausstellt, handelt es sich um eine Rückblende. Sebastian Ko, der nach seinem Kinofilm Wir Monster (2014) vor allem Fernsehkrimis drehte, lässt die Handlung seines Familiendramas „Geborgtes Weiß“ dann wieder einsetzen, als das kleine Bündel Nathan (Elia Gezer) schon im Grundschulalter ist und sich die Zeit im einsamen Garten mit dem Abbrechen von Ästen vertreibt. Seine selbstbewusste, humor- und liebevolle Mutter Marta ist Ärztin (Susanne Wolff), der durchgeistigte Vater Roland (Ulrich Matthes) liest Zeitungen, schreibt auch und bringt bei jeder Gelegenheit seine Kritik am kapitalistischen System an. Sein Nacken ist verspannt, und er ist psychisch angeschlagen, weil seine Schwester irgendwo im fernen Krankenhaus im Sterben liegt.

Fürsorge zwischen Brutalität und Sanftheit

Wie in Valdimar Jóhannssons Lamb, wenngleich ohne expliziten Horror oder Ausflüge ins Mystery-Genre, geht es auch bei Sebastian Ko um angemaßte Mutterschaft an einem abgeschiedenen Ort. Von den ersten elegischen, sorgfältig gebauten Bildern an erscheinen Brutalität und Sanftheit wie gleichberechtigte Möglichkeiten von Fürsorge. Hier könnte alles gut sein: Wie beim isländischen Kollegen scheint das Paar ein eingespieltes Team, begegnen sich die Geschlechter auf Augenhöhe. Doch es wird auch hier jemand das Idyll stören: Der albanische Wanderarbeiter Valmir (Florist Bajgora), der die maroden Wasserleitungen im Bad erneuern soll, nistet sich bei ihnen ein wie jemand, der noch etwas Anderes zu erledigen hat. „Parasit!“ wird ihn der sonst so progressive, gewiss nicht fremdenfeindliche Roland irgendwann schimpfen.

Es gibt nicht viele deutsche Schauspielerinnen und Schauspieler, die der Vorhersehbarkeit des konservativen, TV-affinen Konflikts (Drehbuch: Karin Kaçi) um biologische Vaterschafts- und Mutterschafts-Geheimniskrämereien eine so bezwingende Wucht entgegensetzen können wie Susanne Wolff und Ulrich Matthes. Wolff beherrscht es wie kaum eine zweite, Kämpferinnen mit zähen Muskeln und lange festem Stand zu spielen, wenn die Wellen der Zeit sie bedrängen oder umwerfen wollen. Ihr Filmpartner Matthes kann selbst Schablonen wie „Hast du mit ihm geschlafen?“ oder „Ich will euch nur nicht verlieren“ jene Trostlosigkeit verleihen, die solche Sätze ausmachen, wenn Menschen aus Müdigkeit und Schwäche nun einmal keine besseren mehr einfallen.

Gutenachtgeschichten spiegeln das Geschehen

Ein wenig zu offensiv bis zur Kitschgrenze koppelt das Drehbuch die Vorgänge im Haus mit den Gutenachtgeschichten, die Marta ihrem Kind vorliest: Soeben erklärte Roland in der Küche dem Fremden noch überraschend zutraulich, dass er nie habe Vater werden wollen, dass ihm Marta und Nathan vielmehr „zugelaufen“ seien; schon kurz darauf liest Marta im sehr blauen, mit einem Planetensystem-Mobile geschmückten Kinderzimmer aus dem „Kleinen Prinzen“: Der Fuchs erklärt, dass er nicht mit dem Prinzen spielen könne, weil er ja „noch nicht gezähmt“ sei. Währenddessen erscheint im Hintergrund der ausgefuchste Fremde im Türrahmen.

Wie so viele andere Filme mit ähnlicher Motivik geht die inzwischen etwas abgehangene Entschlossenheit, Abgründe des linksliberalen Milieus aufzuzeigen, zu Lasten der Spannung und Vielschichtigkeit. Rolands sehr späte Frage an Marta, „Warum hast du nichts gesagt?“, hat man sich als Zuschauerin schon bedeutend früher gestellt. Statt – wie in Lamb – die Starrheit eines biologisch begründeten Kleinfamilien-Dogmas aufzubrechen oder die vermeintliche Alternativlosigkeit selbst zum Horror-Thema zu machen, wird dieses Dogma zementiert. Um sich den Anstrich des Politischen zu geben, geistert diffus das Thema „Umgang mit Geflüchteten aus Osteuropa“ durchs Drehbuch, doch es dient offenbar nur dafür, die ausgestellte Menschenfreundlichkeit Martas und Rolands zu diffamieren.

Sei’s drum: Die Sorgfalt in der Bildgestaltung mit ihrer konsequent weinrot-blauen Farbregie und Frans Baks mit klassischen Motiven spielende Komposition, in der Cello und Klarinette jenseits der üblichen Terzen-Trillerei Harmonisches und Aufbegehrendes miteinander ringen lassen, trösten über so manchen dramaturgischen Durchhänger hinweg.

Erschienen auf filmdienst.deGeborgtes WeißVon: Cosima Lutz (1.2.2023)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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