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Holy Meat

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Eine dörfliche Laieninszenierung der Passion Christi artet zu einem blasphemischen Rave aus und lässt drei Charaktere aufeinandertreffen, die kaum unterschiedlicher sein könnten: Regisseur Roberto, der aus der Berliner Off-Theater-Szene gecancelt wurde, die junge Metzgerin Mia, die plötzlich zum Vormund ihrer Schwester mit Down-Syndrom wird, und Pater Oskar Iversen, der seiner dänischen Inselgemeinde aus mysteriösen Gründen den Rücken gekehrt hat. Da seine neue Pfarrei im schwäbischen Dörfchen Winteringen kurz vor der Auflösung steht und Oskar unter keinen Umständen zurück nach Dänemark kann, versucht er den theaterbegeisterten Erzbischof mit einem spektakulären Passionsstück vom Erhalt der Gemeinde zu überzeugen.
Ein absurdes Triptychon über Einsamkeit, Verantwortung und die katholische Kirche.

Der Prolog ist überrumpelnd unheilig, grotesk und ziemlich blasphemisch. Da sitzen fünf männliche und weibliche Apostel stumm an der Tafel des letzten Abendmahls. Aus den Lautsprechern erklingt ein sakrales „Kyrie Eleison“. Doch nach einer halben Minute setzt heftiger Techno-Sound ein. Der Tisch wird umgeschmissen, die fünf Personen springen auf, werfen ihre Gewänder ab und beginnen in schwarzen Lack- und Leder-SM-Outfits auf der Bühne ekstatisch zu zucken, wobei sie die sieben Todsünden nachstellen. Von Wollust, Völlerei und Hochmut ist die Rede, ein Dolch wird gezückt, es fließt Kunstblut. Von der Decke senkt sich ein Trapez mit einer Prophetin in die Szene herab, und in einem Glaskasten wird ein grunzendes Schwein auf die Bühne gerollt. Ein greiser Geistlicher im Nikolausgewand bittet um Erlösung von Sünden und um Einlass in den Himmel. Doch aus den Kulissen erklingt eine Stimme, die zu ungewöhnlicher Buße auffordert.

Auf nach Winteringen

Zu Beginn von „Holy Meat“ wird man in ein höllisches Theaterspektakel auf einer deutschen Provinzbühne geworfen; die Bezeichnung „Prolog“ ist allerdings etwas irreführend. Gezeigt nämlich wird nicht etwa Vorhergehendes, sondern das, was gegen Ende des Films passiert. Allerdings versteht man erst später, dass die sich an den Prolog anschließende Szene, in der der Pater Iversen (Jens Albinus) in Dänemark den Vorsteher seiner Diözese um seine Versetzung anfleht, schon Monate früher spielt. Iversen weigert sich dabei, dem Bischof die wahren Gründe für seinen Wunsch zu nennen. Unter der Bedingung, dass er nach Dänemark zurückkehre, falls es ihm nicht gelingt, die verwaiste Pfarrei im schwäbischen Winteringen wieder auf Vordermann zu bringen, willigt der Bischof schließlich ein.

Iversen reist ins Schwabenland, die Heimat seiner Mutter. Der Ort ist von Abwanderung und Zerfall gekennzeichnet. Eine alleinstehende Frau kümmert sich um die Pfarrei und zeigt Iversen die Kirche und die etwas verwahrloste Pfarrerwohnung. Beim offiziellen Empfang tauchen neben dem Messdiener Niklas noch ein paar weitere Gemeindemitglieder auf. Beim Gespräch mit seinem Bischof hatte Iversen noch geflissentlich überhört, dass Winteringen demnächst mit der Nachbargemeinde Sommeringen fusionieren soll, doch nun wird ihm dies schlagartig bewusst.

Doch der Priester will seine Chance nutzen. Er flunkert sich seine neue Stelle schön, erschwatzt eine Verlängerung seines Aufenthalts und verspricht den zuständigen Vorgesetzten, die ihm anvertraute Kirchgemeinde mittels einer sensationellen Theateraufführung, die international für Schlagzeilen sorgen soll, wiederzubeleben. Um sein Ziel zu erreichen, scheint ihm nichts heilig zu sein. Bei einem Krankenhausbesuch überredet er die auf dem Sterbebett liegende Dorfmetzgerin, ihr Erbe der Kirche zu vermachen. Und zur Realisierung des Theaterstücks, bei dem es sich um die Passion Christi drehen soll, heuert er einen jungen Regisseur an, der in Berlin vor Kurzem in Ungnade gefallen ist. Doch sowohl das erschlichene Erbe wie auch die Verpflichtung eines Regisseurs, der im Bereich des experimentellen Theaters zwar einige Erfolge vorweisen kann, aber von der Bibel so wenig Ahnung hat wie vom Leben auf einem Dorf, erweisen sich als fatal. Und auch die Menschen von Winteringen, die Iversen zuvorkommend-freundlich begegnen, haben alle ihre eigenen Vorstellungen und Ideen vom Leben – und vom Theater.

Lauter heiße Eisen

Die Regisseurin Alison Kuhn hat „Holy Meat“ wie ein klassisches Theaterstück in Prolog, drei Akte und einen Epilog unterteilt, wobei die drei Akte das Geschehen aus der Sicht von Iversen, der Tochter der toten Metzgerin, Mia (Homa Faghiri), und der des Regisseurs Roberto (Pit Bukowski) erzählen. Im Verlauf der knapp zwei Filmstunden entstehen einige Überschneidungen und Wiederholungen, die „Holy Meat“ auf Dauer etwas schmalbrüstig erscheinen lassen. Dennoch wagt sich Alison Kuhn, die auch das Drehbuch schrieb, mit ihrer ziemlich überdrehten Dorf- und Kirchenkomödie unerschrocken an Themen heran, die viel zu selten den Weg auf die Leinwand finden.

Da ist die Schönrederei der katholischen Kirche, der von ihr ausgeübte Machtmissbrauch und der vielfach vertuschte sexuelle Missbrauch. Es geht aber auch um die avantgardistische Theaterszene, der nichts heilig ist und die es sich damit mit allen verscherzt. Denn die als „Prolog“ gezeigte Szene stammt aus der finalen Fassung der „Passion Christi“, die dem als Theaterliebhaber bekannten Erzbischof ganz und gar nicht gefällt.

Ein spielfreudiges Ensemble

„Holy Meat“ lebt über weite Strecken von der großen Spielfreude des bunt gemischten Ensembles. Nicht nur Jens Albinus als Pater Iversen, sondern auch Homa Faghiri als Tochter, die um ihr Erbe kämpft, sowie Jeremias Meyer als Messdiener Niklas überzeugen. Etwas außen vor bleibt Pit Bukowski als Theaterregisseur und Großstadtflüchtling, der auf dem Land einen Neustart versucht. Gut gelungen ist hingegen die Darstellung der Dorfgemeinschaft, in der eine sich nach männlicher Gesellschaft sehnende Witwe ebenso ihren Platz findet wie Mias behinderte Schwester Merle (Amelie Gerdes) oder ein in die Jahre gekommener Bühnentechniker, dessen Herz noch immer für das Theater schlägt.

Der Film ist über weite Strecken unterhaltsam, verliert auf Dauer aber an satirischem Biss. Zudem geht die Erzählung letztlich nicht ganz auf. Der Mut, mit dem Kuhn sich an heikle gesellschaftliche Themen wagt, und die Vielfalt der inszenatorischen Ideen wecken jedoch die Hoffnungen auf künftige Filme von ihr. Gerne mit etwas weniger Überzeichnung. Denn wenn man genauer hinschaut, funktioniert „Holy Meat“ auf einer sehr feinfühligen, zwischenmenschlichen Ebene, die im Klamauk der Ereignisse unterzugehen droht.

 

Veröffentlicht auf filmdienst.deHoly MeatVon: Irene Genhart (2.1.2026)
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