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Im Osten was Neues

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Thomas „Eichi“ Eichstätt, trainiert in Mecklenburg- Vorpommern die Fußballmannschaft FC Pio. Viele der jungen Spieler sind aus ihren Heimatländern geflohen und kämpfen mit Jobsuche, Akzeptanz und ihrer Vergangenheit. Für viele ist Eichi Vaterfigur, doch er blickt auf eine düstere Zeit als Rechtsextremist zurück. Wenn Fußballtrainer Thomas „Eichi“ Eichstätt mit seiner Mannschaft aus Torgelow bei Turnieren auftaucht, fallen sie sofort auf. Der große, kräftige Mann mit Glatze, Tattoos und Stimme, die über das ganze Feld hallt, trainiert vor allem Geflüchtete. Auf dem Rasen sind die jungen Erwachsenen ganz im Hier und Jetzt. Doch abseits des Spielfeldes holt sie ihre Vergangenheit und Sehnsucht nach Heimat ein. Jobsuche, Fremdenfeindlichkeit und die Suche nach Zugehörigkeit sind für sie zusätzliche harte Lebensrealität. Für viele der Spieler ist „Eichi“ Bezugsperson und Freund. Aber auch er blickt auf ein früheres, dunkles Leben als Rechtsextremist.
Der abendfüllende Dokumentarfilm zeigt mal humorvoll und leicht, mal tiefsinnig und ungeschönt ihre Lebenswege, die gegensätzlicher nicht sein könnten.
  • Veröffentlichung13.11.2025
  • Loraine Blumenthal
  • Deutschland (2025)
  • 82 Minuten
  • Dokumentarfilm
  • FSK 12

Eichi ist ein bulliger Mann mit Glatze und nördlichem Einschlag. Der Fußballtrainer macht seinen Spielern klare Ansagen; er erklärt, motiviert und spart auch nicht mit Kritik, wenn etwas nicht läuft. Am Spielfeldrand regt er sich auf, gestikuliert oder pfeift und kommentiert lautstark das Geschehen auf dem Platz. In seinem Fußballclub FC Pio Torgelow trainiert er vorwiegend Flüchtlinge: junge Männer wie Asad und Thomas, die aus Tschetschenien oder Afrika stammen. Was die Spieler, die neu ins Team kommen, nicht wissen: Eichi, der mit bürgerlichem Namen Thomas Eichstätt heißt, war früher Rechtsradikaler.

Mit seinen Kumpels suchte er Streit mit Ausländern und Asylbewerbern und scheute auch nicht die körperliche Auseinandersetzung. Seit etlichen Jahren ist er jedoch geläutert und schämt sich mittlerweile für seine Vergangenheit. Denn wie auf dem Trainingsplatz und am Spielfeldrand zeigt Eichstätt auch persönlich klare Kante und spricht offen über seine unrühmliche Verstrickung ins rechte Milieu. Im Anschluss bittet er die Neuankömmlinge um Verzeihung und stößt damit meistens auf Zustimmung. Thomas, der aus Sierra Leone stammt, hält ihn für einen „Good Man“.

In Torgelow gibt es nicht viel zu tun

Der Dokumentarfilm von Loraine Blumenthal handelt vom Gestrandetsein und von Neuanfängen. Das gilt sowohl für die Flüchtlinge als auch für den Trainer. Eichstätt wohnt und wirkt in Torgelow, einem kleinen Ort in Vorpommern, nicht allzu weit entfernt vom Stettiner Haff und von Usedom. Dort gibt es nicht viel zu tun. Das Leben in der Kleinstadt zeigt allen Bewohnern ihre Grenzen auf. „Eichi“ wohnt mit Frau und Kindern in der „Platte“, eigentlich ist er arbeitslos; den Trainerjob führt er ehrenamtlich aus. Versuche, bei Behörden eine Finanzierung zu erhalten, damit er für seine Integrationsarbeit bezahlt wird oder zumindest auf Basis eines Minijobs arbeiten kann, sind bislang gescheitert. Die Kamera begleitet ihn mehrfach bei diesen frustrierenden Versuchen. Doch als Trainer ist er ganz in seinem Element. Er bringt die Bälle auf den Trainingsplatz und spricht mit seinen Schützlingen – immer offen und ehrlich.

So hat er Asad vorübergehend suspendiert, weil dieser oft nicht zum Training erschien. Asad regt sich in Eichis Augen mehr über einen verkorksten Haarschnitt auf, als dass er Einsicht zeige. Ja, Asad sei ein guter Spieler, das findet auch Eichi. Doch er müsste wenigstens einmal pro Woche trainieren. Dass Asad große private Probleme plagen, weiß auch Eichi. Der Teenager, der bald 18 wird, lässt es auch in der Schule an Disziplin mangeln. Mit mehr als 200 Fehlstunden hat er seinen Abschluss nicht bestanden. Dabei hat er viele gute Veranlagungen, ist intelligent, mehrsprachig – für die ukrainischen Neuankömmlinge übersetzt er auch ins Russische – und will hoch hinaus. Doch die Ungewissheit über seinen Status, der sich mit Erreichen der Volljährigkeit ändert, lähmt ihn. Zu Hause wird Asad von seiner Mutter und seinen Schwestern vergöttert, und außerhalb der Schule hat der junge Mann, der sehr gut Deutsch spricht, viele Kumpel. Doch wenn er sich telefonisch um Lehrstellen bemüht, kassiert er nur Absagen. Auf der Straße schlägt ihm regelmäßig Ausländerfeindlichkeit und Rassismus entgegen.

Fußball als Ventil, um auszubrechen

Blumenthal begleitet die Protagonisten, indem sie sie bei ihren Verrichtungen und Aktivitäten im Alltag filmt. In Gesprächen geben sie auch direkt Auskunft über ihre Befindlichkeiten. Etwa Thomas aus Sierra Leone, der über sehr gefährliche Wege nach Deutschland gelangt ist. Auch er wird auf der Straße beschimpft, auch er weiß nicht, wie es in Deutschland für seine Familie weitergehen soll. Der Fußball ist für sie ein Ventil, um aus ihrem sorgenvollen Alltag auszubrechen. Außerdem schweißt das Kicken über sprachliche und kulturelle Grenzen hinweg zusammen. Der FC Pio ist nicht nur kulturell, sondern auch sportlich eine bunt zusammengewürfelte Truppe, bei der einige deutlich besser spielen als andere. Doch der Club gewinnt Pokale und Anerkennung. Gemeinsam reisen die Spieler zu Auswärtsspielen.

Blumenthal schaut auch in die Wohnstuben der Protagonisten, filmt sie bei Feiern und Geburtstagen. Eichi wacht wie ein guter Vater über seine Schützlinge und unterstützt sie, wo er kann. Doch auch ihn plagen finanzielle Probleme. Außerdem sitzt ihm das Arbeitsamt im Nacken. Fände er einen Job, müsste er seine Tätigkeit als Trainer aufgeben.

Aus praxisnaher Perspektive

Der Film liefert zudem regelmäßige Updates über den Aufenthaltsstatus der Flüchtlinge – mit mitunter überraschenden Resultaten. So herrscht im FC Pio viel Fluktuation: Neue kommen, Alteingesessene gehen. Eichis Arbeit fängt dann wieder von vorne an. „Im Osten was Neues“ ist ein „Work in progress“, der sich ganz an den Entwicklungen seiner Protagonisten orientiert. Ein Film über Läuterung, Aufeinanderzugehen, Zusammenhalt, der die Komplexität von Migration aus einer sehr praxisnahen Perspektive beleuchtet, fern von Stammtischsprüchen oder markigen Politikerstatements.

Veröffentlicht auf filmdienst.deIm Osten was NeuesVon: Kira Taszman (14.11.2025)
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