Szene aus Indiana Jones und das Rad des Schicksals
Filmplakat von Indiana Jones und das Rad des Schicksals

Indiana Jones und das Rad des Schicksals

153 min | Abenteuer, Action | FSK 12
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Im Jahr 1969 steht für Indy (Harrison Ford) eine neue Ära ins Haus: seine Pensionierung. Vielleicht kommt die gerade zur rechten Zeit, denn der Archäologe ringt ständig damit, sich in einer Welt zurecht zu finden, die ihm über den Kopf gewachsen zu sein scheint. Doch der alternde Professor und Abenteurer wird trotzdem wieder in ein gefährliches Abenteuer verwickelt. Vor dem Hintergrund des sogenannten Wettlaufs ins All im Kalten Krieg zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion ist Jones von der Tatsache beunruhigt, dass die US-Regierung ehemalige Nazis rekrutiert hat, um den wortwörtlichen Griff nach den Sternen zuerst zu vollziehen. Einer von ihnen ist NASA-Mann Jürgen Voller (Mads Mikkelsen), der am Mondlandungsprogramm beteiligt war und die Welt nach seinen eigenen Regeln zu einem besseren Ort machen will. Indiana Jones wird auf seiner Reise von seiner Patentochter Helena Shaw (Phoebe Waller-Bridge) begleitet.

Filmkritik

Von der ersten Sekunde an ist alles wie immer: Indiana Jones ist etwa 40 Jahre alt und jagt verlorene Schätze und Nazi-Schurken. Auch das fünfte Abenteuer des Action-Archäologen beginnt in jener Epoche, in der die meisten anderen „Indiana Jones“-Filme ebenfalls spielen: den 1930er- und 1940er-Jahren. Konkret: in den letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs. Nazi-Deutschland verliert den Krieg; nur noch eine Wunderwaffe kann das Kriegsglück wenden. Dabei handelt es sich um eine antike Lanze, die mit Jesu Blut getränkt wurde, „Longinus' Lanze“. Doch die Wunder-Lanze ist nur ein Ablenkungsmanöver, um über etwas viel Wichtigeres hinwegzutäuschen: nämlich die eine Hälfte einer Zeitmaschine namens „Antikythera“, die von Archimedes erfunden und gebaut wurde.

Eine komplexe mechanische Rechenmaschine mit diesem Namen gibt es tatsächlich – sie ist ein bekannter archäologischer Beweis für die technische Avanciertheit der Antike. Nur die Behauptung, dass es sich dabei um eine Zeitmaschine handle, ist natürlich reine Fantasy.

Das Kino als Zeitmaschine

Eine Zeitmaschine ist gewissermaßen auch dieser Film. Denn „Indiana Jones und das Rad des Schicksals“ zeigt Hauptdarsteller Harrison Ford nicht nur so, wie er heute aussieht, sondern während der ersten 20 Minuten digital verjüngt, wie in seinen besten Jahren. Dieser Pixel-Jungbrunnen funktioniert erstaunlich gut und viel besser als noch in „The Irishman“ von Martin Scorsese. Was auch damit zu tun hat, dass man hier in einer unentwegten Actionsequenz mitgerissen wird, in der das Bild nie zur Ruhe kommt und man deshalb auch nie Zeit hat, sich in Ruhe darauf zu konzentrieren, wie gut oder weniger gut das alles tatsächlich aussieht.

Es geht zunächst vor allem um die Re-Etablierung des Titelhelden durch Wiedererkennbarkeit (mit charakteristischer Peitsche und Filzhut), und um die Befriedigung rückwärtsgewandter Sehnsüchte. Schon 1981 wagte Regisseur Steven Spielberg mit „Jäger des verlorenen Schatzes“ sehr bewusst den Rückgriff auf jene B-Movie-Abenteuer, die ihn in seiner Kindheit begeistert hatten. Der Film mit dem scheinbar unzeitgemäßen Helden wurde ein unerwarteter Welterfolg, auch weil er die Nostalgie-Bedürfnisse einer ganzen Generation befriedigte.

So folgten drei weitere Kino-Abenteuer, eine Fernsehserie und diverse „nicht autorisierte“ Ableger. Auch Hauptdarsteller Harrison Ford verschmolz zunehmend mit der Rolle des schlagkräftigen Archäologen, die ihn zum Actionstar machte. 42 Jahre nach diesem Auftakt kehren Jones und sein Darsteller erneut auf die Leinwand zurück. Regie führte James Mangold; erstmals in einem „Indiana Jones“-Film war Steven Spielberg nicht an der Produktion beteiligt.

Aus dem Bilderarsenal des 21. Jahrhunderts

Wenn Indiana Jones in den ersten Minuten gefangen genommen wird und man ihm einen Sack über den Kopf zieht, ruft Mangold damit unterbewusste Bilder des 21. Jahrhunderts ab. Man soll zuerst an die CIA und Abu Ghraib denken, bevor man begreift, dass dies alles im Zweiten Weltkrieg spielt und man es mit Nazis und der SS zu tun hat. Doch auch wenn mit aktuellen Motiven gespielt wird, geht es natürlich nicht darum, irgendetwas historisch ernst zu nehmen. Kurz vor seiner geplanten Hinrichtung kann Jones sich befreien. Nach einer rasenden Verfolgungsjagd springt er von einem Motorrad auf einen fahrenden Zug und bringt zwischendurch noch mehrere Dutzend Nazis zur Strecke. Das erinnert an Szenarien aus Klassikern des Westernfilms wie „Der große Eisenbahnraub“ (1903), oder „The General“ (1926), aber auch an „Snowpiercer“ (2013) von Bong Joon-ho.

Nach diesem furiosen Start folgt ein Zeitsprung in die Wochen der Mondlandung im Juli 1969. Indiana Jones sieht jetzt so aus, wie Harrison Ford heute eben aussieht: ein älterer Herr, dessen Filmfigur gerade als Professor in Ruhestand getreten ist, und von seiner Patentochter Helena, der Nichte eines Freundes, besucht wird. Sie erinnert ihn an die vermisste zweite Hälfte der „Antikythera“ und bittet um seine Hilfe bei der Suche danach.

Um diese Suche dreht sich dann der Rest der Handlung. Denn auch die Nazis sind dem wertvollen Objekt ein Vierteljahrhundert nach Kriegsende noch immer auf den Fersen. Der gefährlichste Antagonist ist ein Zivilist, dem Indiana Jones schon in der Exposition begegnet: der Wissenschaftler Jürgen Voller (Mads Mikkelsen), der bei jeder Gelegenheit eine Brille auf der Nase hat. Den ganzen Film über wendet Voller selbst wenig Gewalt an; dafür hat er aber einen ganzen Schlägertrupp bei sich. Diese Gruppe sieht wie ein Kuriositätenkabinett der Kino-Nazi-Schergen aus. Es gibt den Groben, der für einen normalen Menschen viel zu groß und zu breit ist, eine Art „Beißer“ in blond, einen perversen Sadisten und einen Mitläufer.

Stehlen und zurückstehlen

Mit Hilfe des „Antikythera“ will Voller die Zeit zurückdrehen: „Ihr Amerikaner habt den Krieg nicht gewonnen“, schnaubt er Jones an, „Hitler hat ihn verloren. Er hat Fehler gemacht. Mit dem Ding werde ich sie alle korrigieren ...“ Was folgt, ist das übliche Action-Stationendrama. Schätze werden gestohlen und zurückgestohlen, und immer ergeben sich Gelegenheiten, um den Helden in gefährliche Situationen zu verwickeln. Die Suche nach der verlorenen Zeitmaschine führt zunächst nach Marokko, von dort ans Mittelmeer. Dazwischen gibt es so spektakuläre wie verrückte Verfolgungsjagden: zuerst in New York, später durch die Kasbah von Tanger, irgendwann geht es in Syrakus ähnlich munter weiter. Insofern erinnert alles an einen James-Bond-Film, in dem es letztlich ja auch immer darum geht, in möglichst pittoresken, möglichst exotischen Schauplätzen den immergleichen Helden das Immergleiche tun zu lassen.

Der einzige schwächere Moment des Films ereignet sich, wenn sich „Indiana Jones und das Rad des Schicksals“ zu einer ungewohnten Form von Ernsthaftigkeit hinreißen lässt. Als Indiana Jones gefragt wird, wohin er mit einer Zeitmaschine am liebsten reisen würde, antwortet er nicht etwa mit irgendeiner historischen Epoche, sondern dem Moment, an dem sein Sohn sich für den Vietnam-Krieg meldete und dort kurz darauf getötet wurde. Was in der Folge auch seine Ehe zerstörte. All dies wirkt ein bisschen wie eine moralische Pflichtübung, als müsste man diese Figur doch noch mit Ernst und Psychologie grundieren. Was überflüssig ist, da man einen „Indiana Jones“-Film ja kaum wegen der Glaubwürdigkeit oder aufgrund irgendwelcher Sentimentalitäten sehen will.

Eine digitale „Disneyfizierung“

Eine weitere Schraube in der Spirale der Verrücktheit ist die letzte große Actionsequenz. Die versammelte Nazi-Schar und auch Indiana Jones und seine Begleitung reisen in der schlussendlich doch funktionierenden Zeitmaschine ins Jahr 1939. Allerdings passiert dabei ein Rechenfehler. Da man in der Antike noch nichts von der Erdplattenverschiebung wusste, gerät der ganze Mechanismus durcheinander und die Schar landet im Jahr 214 vor Christus, als die Römer gerade das damals noch griechische Syrakus auf Sizilien eroberten. Dennoch besitzt dies eine tiefere Notwendigkeit, denn es handelt sich gerade um den Moment, an dem Archimedes auf Syrakus weilt und an der Zeitmaschine arbeitet.

In diesen faszinierend-verrückten, magisch-ungesehenen Bildern – ein deutscher Heinkel-Bomber über römischem Kriegsgerät, der mit Katapulten und Pfeil und Bogen bekämpft wird; ein Archäologe aus dem Jahr 1969 im Gespräch mit Archimedes – wird das Erfolgsgeheimnis der „Indiana Jones“-Reihe so deutlich wie selten davor: Die Filme sind Vexierbilder, die filmische Themenparks und Traumwelten präsentieren, wie sie sonst nur in Computerspielen und bei geschichtstouristischen Erlebnisreisen konsumierbar sind. Sie entsprechen damit genau der digitalen „Disneyfizierung“ von Historie in den modernen Massenmedien und der weltweiten Popularität archäologischer Themen.

Zugleich versetzen sie in eine Ära, die idealerweise durch authentische Orte und authentische Menschen gekennzeichnet ist. Sie verteidigen die Textur der physischen, vordigitalen, „analogen“ Welt, indem sie durch beschwerliche Weltreisen, Kommunikation von Angesicht zu Angesicht und „unbezahlbare“ Relikte den Wunsch nach „authentischeren“ Welten befriedigen. Im Mittelpunkt der Indiana-Jones-Filme steht eine nostalgische Vorliebe für eine hedonistischere, zugleich idealistischere, weniger materialistisch ausgerichtete Welt, die die Handlungen der Filme antreibt. Die geschichtliche Vergangenheit ist der Fluchtpunkt aus der globalisierten, digitalisierten Zukunft – und deshalb ist es keineswegs Zufall, dass die Filmhandlung genau in dem Monat angesiedelt ist, in dem der (geschichts-)optimistische Zukunftsglaube mit der Mondlandung seinen Höhepunkt erreichte – von den „Grenzen des Wachstums“ war damals noch keine Rede.

Zeitgemäß-unzeitgemäß

Indem die Filmreihe klassische Vorstellungen von Authentizität und Unmittelbarkeit verteidigt, steht sie repräsentativ für eines der beständigsten Elemente erfolgreicher Kinofilme der letzten 50 Jahre: das Thema der Authentizität, ob nun in Form einer Feier authentischer Menschen oder Dinge oder der direkten Kritik an den entfremdeten Verhältnissen der Moderne. Authentizität ist eine der wichtigsten Perspektiven, unter denen die Mediengesellschaft betrachtet wird. Die „Indiana Jones“-Filme nehmen zu diesem Thema eine spezifische Haltung ein: nämlich die, dass authentisches Leben nicht in der Zukunft, sondern in der Vergangenheit zu finden ist. Zugleich steht die Hauptfigur unter ihrer kolonialistisch anmutenden Oberfläche gerade nicht für eine Suche nach „Beutekunst“ oder die materialistische Ausbeutung fremder Kulturen, sondern für Vorstellungen einer „achtsamen“ Rekonstruktion der Vergangenheit sowie einem größeren Verständnis nicht-westlicher Hochkulturen.

Der Film von James Mangold interpretiert die zeitlosen Fundamente, auf die Spielberg und sein Ideengeber George Lucas ihre Heldenfigur gestellt und zum modernen Mythos geformt haben, überaus zeitgemäß – und verteidigt dabei den – unzeitgemäßen – hedonistischen Kern von „Indiana Jones“. Es ist ein Kino, das nie belehren oder alles richtig machen will, das mutig und keineswegs beflissen ist und den Jahrmarktscharakter des Mediums gegen seine postmodernen Verächter verteidigt, womit es seinem Idealismus treu bleibt und weder neokonservativen oder traditionalistischen Versuchungen nachgibt.

Neben der Action besteht dies unter anderem auch in Klamauk und Slapstick und einer Vorstellung von Kino, in der man keine unangemessene Mühe darauf legt, die Handlung möglichst glaubwürdig erscheinen zu lassen. Stattdessen sind alle zu einem nostalgiesatten großen Kinokindergeburtstag geladen.

Erschienen auf filmdienst.deIndiana Jones und das Rad des SchicksalsVon: Rüdiger Suchsland (20.1.2024)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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