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Jay Kelly

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Der berühmte Filmschauspieler Jay Kelly und sein treuer Manager Ron begeben sich auf eine turbulente und unerwartet tiefgründige Reise durch Europa. Unterwegs müssen sich beide Männer mit den Entscheidungen, die sie getroffen haben, den Beziehungen zu ihren Lieben und dem Vermächtnis, das sie hinterlassen werden, auseinandersetzen.
  • Veröffentlichung20.11.2025
  • Noah Baumbach
  • Vereinigtes Königreich (2025)
  • 132 Minuten
  • Komödie
  • FSK 12
  • 6.5/10 (845) Stimmen

„One more shot“, noch eine Klappe. Darum bittet der Hollywoodstar Jay Kelly (George Clooney) am Filmset immer und immer wieder. Bittet er, oder befiehlt er nicht vielmehr? Seinem Wunsch wird jedenfalls immer Folge geleistet, und so darf er die Szene so lange wiederholen, bis er zufrieden ist. Etwa als von Kugeln getroffener Held in einer dunklen Gasse. Bei den Dreharbeiten kommt aber mal der Hund im falschen Moment, mal findet Jay, dass er nicht dramatisch genug gespielt habe. Seit Jahrzehnten ist der Schauspieler ein gefeierter Star, der beruflich alles erreicht hat. Doch als sein alter Mentor Peter Schneider (Jim Broadbent) stirbt, muss auch er sich der Frage stellen: Gibt es im echten Leben auch die Chance auf „One more shot“, einen weiteren Versuch?

Die Zeichen stehen auf Absprung

Auf der Beerdigung trifft er seinen besten Freund aus Studientagen wieder. Bei einem Drink macht Tim (Billy Crudup) ihm bald schwere Vorwürfe. Er habe ihm damals nicht nur die Rolle geklaut, die Kelly dann zum Durchbruch verhalf, sondern überdies auch seine Freundin. Jay reagiert wie immer, wenn er in brenzlige Situationen gerät: Er lächelt halb charmant, halb peinlich berührt. Das Treffen endet in einem Faustkampf auf dem Parkplatz des Diners.

Auch zu Hause laufen die Dinge nicht rund. Die jüngste Tochter des geschiedenen Filmstars wird flügge. Bevor Daisy (Grace Edwards) aufs College geht, möchte sie nach Europa reisen, und keine Zeit mehr mit ihrem Daddy verbringen. Die ältere Tochter verweigert sogar komplett den Kontakt. Doch Kelly will sich Daisys Entscheidung nicht fügen. Deshalb schwänzt er seinen nächsten Dreh und fliegt der Tochter hinterher. Das geht aber nicht ohne seinen ganzen Tross: seinen treuen Manager Ron (Adam Sandler), seine PR-Agentin Liz (Laura Dern), die Visagistin und viele andere. Alles dreht sich immer nur um Jay Kelly, worunter vor allem Ron leidet. Der stellt sein Familienleben hintenan und wird sogar von einem für ihn wichtigen Tennisspiel mit seiner Tochter abkommandiert. Ständig müssen Ron und Liz etwas organisieren und es ihrem Star rechtmachen oder seine Fehler ausbügeln. Jahrzehnte der De-facto-Dienerschaft haben tiefe Spuren in ihrer Loyalität hinterlassen, die zunehmend bröckelt. Nachdem Jay seiner Tochter auch noch in einen Zug nach Italien folgt, kommt es zu einer weiteren Konfrontation mit Daisy, und auch bei den Mitgliedern seiner Entourage stehen die Zeichen auf Absprung.

Auf einmal: allein

„Es ist so schwer, man selbst zu sein“, lautet Jays treffende Selbstanalyse, was das Dilemma des Protagonisten in der Tragikomödie auf den Punkt bringt. Ständig spielt Jay eine Rolle, bis hin zum Selbstverlust. Bei seinem Publikum ist er der strahlende Held, in seiner Entourage der Kommandeur eines Unternehmens, das sich um ihn selbst dreht, und sogar privat kann er kaum abschalten. Nie könne sie mit ihm allein sein, wirft Daisy ihrem Vater vor. Er verneint das, lässt sich aber im selben Moment einen Drink von einem seiner Mitarbeiter einschenken. So steht Jay im letzten Drittel seines Lebens vor einem privaten Abgrund. Sein Lebensfundament aus Charme, Autorität und Erfolg wird brüchig – und hinter dem Star zeichnet sich ein Mensch ab, der auf einmal sehr allein dasteht.

Das klingt zunächst nach Klischee. Das Schicksal von Held:innen, deren Erfolg in Selbstzerstörung und Einsamkeit endet, hat das Kino zur Genüge durchdekliniert. Doch Regisseur Noah Baumbach behandelt das Sujet anders. Da ist der beschwingte und dann wieder melancholische Ton, der sich jeder Weinerlichkeit, aber auch allem Demonstrativen entzieht. Wie oft in den Filmen von Baumbach gibt es viel Tempo, (alb-)traumhafte Übertreibungen und eine große Portion Humor. Etwa wenn Jay auf dem Bahnsteig und im Zug von Reisenden freudig empfangen und in private Konversationen verwickelt wird. Passagiere bieten ihm ihren Reiseproviant an und erzählen Anekdoten. Das ist in einem atemberaubenden Tempo gefilmt und auf Pointe geschnitten, was seine Wirkung nicht verfehlt.

Jay Kelly oder George Clooney

Baumbach, der das Drehbuch zusammen mit Emily Mortimer geschrieben hat, geht es mehr um die Charakterzeichnung als um den absichtlich überschaubaren Plot. Die finale Katharsis des Protagonisten verlangt eine ausgedehnte und chaotische Eskalation. „Alle meine Erinnerungen sind Filme“, sagt Jay einmal. Im Zug nach Italien flüchtet er in eine Toilette, schaut sich im Spiegel an und fragt sich, wer er eigentlich sei. Sein Leben fand am Set statt. Auch sein Vermächtnis ist mehr auf der Leinwand als im echten Leben zu finden, wie ihm bei Filmausschnitten auf einer ihm gewidmeten Hommage eines Filmfestivals deutlich wird. Doch wer erscheint da eigentlich im Film-im Film? Ist es Jay Kelly oder George Clooney? Doch wohl beide. Denn ohne den Star Clooney würde die Kunstfigur Jay Kelly nicht funktionieren. Nur einem vom charmanten George Clooney gespielten Helden nimmt man die Ambivalenz seiner Figur ab. Nur ihm will man kaum glauben, wie schäbig er sich seinen Mitmenschen gegenüber verhalten hat. So spielt George Clooney zwar eine Rolle und das auch außerordentlich gut. Doch seine Filmstar-Aura tut das Übrige, um Jay Kelly glaubhaft zu machen.

Dass Kelly sich den Folgen für sein Tun jetzt stellen muss, wird allerdings nicht moralisiert, sondern als logische Konsequenz und mit einer Prise Melancholie aufgefächert. Rückblenden zeigen einen jungen Kelly, der schon früh alles auf die Erfolgskarte setzte. Ein vergnüglicher Gastauftritt von Lars Eidinger, der im Abspann lapidar „German Cyclist“ genannt wird, dürfte vor allem ein deutsches Publikum erfreuen. Daneben offenbart der Film allerdings noch einen weiteren, weniger offensichtlichen Helden: den Sidekick, der seinem Chef heimlich die Show stiehlt – Adam Sandler. Der Komiker, der sich im Laufe seiner Karriere immer mehr und sehr überzeugend zum Charakterdarsteller mauserte, fungiert hier als trauriger Clown. Stets hat er seinem Chef beruflich wie privat den Rücken freigehalten, ihn motiviert und vor Pleiten bewahrt. Doch Jay hat Rons Loyalität nie zu schätzen gewusst – was ihm, wie so manches andere, erst bewusstwird, als es zu spät ist.

Ein Stück Käsekuchen

So erweist sich „Jay Kelly“ als ein Film über die Oberflächlichkeiten des Showbusiness, aber auch über private Abhängigkeiten und Illusionen. Die Charakterstudie ist aber auch ein Spiel mit Gerüchten und Legenden. Ein Running Gag besteht darin, dass für Jay überall ein Käsekuchen bereitsteht, sei es am Set, bei Terminen oder im Hotel. Dabei mag Jay überhaupt keinen Käsekuchen – bis er schließlich doch einmal hineinbeißt und ihn gar nicht so übel findet.

Veröffentlicht auf filmdienst.deJay KellyVon: Kira Taszman (13.11.2025)
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