Szene aus Soul
Filmplakat von Soul

Soul

100 min | Trickfilm
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Joe Gardner ist ein Mittelschullehrer mit einer Liebe zur Jazzmusik. Nach einem erfolgreichen Auftritt im Half Note Club wird er plötzlich in einen Unfall verwickelt, der seine Seele von seinem Körper trennt und in das You Seminar transportiert wird, ein Zentrum, in dem Seelen sich entwickeln und Leidenschaften gewinnen, bevor sie zu einem neugeborenen Kind transportiert werden. Joe muss die Hilfe der anderen Seelen in Ausbildung in Anspruch nehmen, wie 22, eine Seele, die Äonen im You Seminar verbracht hat, um zurück auf die Erde zu gelangen.

Filmkritik

Katzen und Jazz? Das passt! Es mag daran liegen, dass beide etwas Geschmeidiges haben, aber auch etwas Ungebändigt-Unberechenbares; zumindest, wenn man das Piano so wie Joe Gardner spielt und wenn ein Vierbeiner so unglaublich einfühlsam ist wie Mister Mitten. Wie aber kommt der Mittvierziger, der sich bisher mehr schlecht als recht als Musiker durchschlug und gerade zwecks Existenzsicherung eine wenig erbauliche Festanstellung als Lehrer in einer Schule angetreten hat, zu dem Tier? Daran ist ein blöder Unfall schuld, ein Moment der Unachtsamkeit, als Gardner angesichts einer unerwarteten musikalischen Chance trunken vor Glück durch die Straßen New Yorks taumelt. Der fatale Sturz in einen offenen Kanalschacht scheint die gerade eröffnete Aussicht auf eine Livesession mit der großartigen Jazzsaxophonistin Dorothea Williams im legendären Half Note Club jäh zu zerstören und bringt Gardener stattdessen mit Mr. Mitten zusammen, der als Therapiekatze auf einer Intensivstation für Koma-Patienten im Einsatz ist.

Das Rätsel des menschlichen Wesens

Und an diesem Punkt fangen die Gedankenspiele von Pete Docter und dem Thinktank des Animationsgiganten Pixar an, aus dem Rahmen einer konventionellen Story aus- und in verwegene existenzphilosophische Bereiche einzubrechen: Was macht uns als Mensch aus? Sind es die Emotionen, so wie sie Docter in „Alles steht Kopf“ (2015) plastisch vor Augen führte, als die kleine Trickfilmfigur Riley mit ihrem Innersten und dem Zusammenspiel ihrer höchst lebendigen Kumpanen „Freude“, „Angst“, „Kummer“, „Wut“ und „Ekel“ zu kämpfen hatte? Natürlich gibt es mehr, nämlich eine Seele! Ein Wesen, das den Menschen sozusagen definiert, dem seine Wesenszüge wie Abzeichen anhaften. Und neben dem Dies- und Jenseits existiert eine Art „Davorseits“, in dessen Äther wundersame Wesen den Seelen solche Abzeichen anheften, um sie reif zu machen für eine Sprung ins Diesseits auf die Erde, wo sie sich während der Geburt mit einem Menschen vereinen und so eine irdische Hülle bekommen. „Soul“ führt die Zuschauer von Gardners Krankenbett in die Sphäre dieses seltsamen überirdischen Absurdistan – und beleuchtet im Rahmen der Jenseitsreise und eines ebenso witzigen wie originellen Spiels mit der alten Vorstellung vom Leib-Seele-Dualismus clever-hellsichtig, was uns Menschen zu dem macht, was wir sind.

Eine Welt namens „Davorseits“

Doch der Reihe nach: Joe Gardner findet sich nach seinem Unfall zwar äußerlich im Krankenbett, innerlich aber auf der Rolltreppe ins Jenseits. Und Joe will noch nicht sterben! Er bockt, zickt, jammert und wehrt sich, bis er schließlich ungeplant im „Davorseits“ landet, wo er sich plötzlich in der Rolle eines Mentors für die unfertige Seele „Nummer 22“ gedrängt sieht, die sich seit Jahrtausenden erfolgreich gegen die Zuweisung ihrer wahren Bestimmung wehrt und nicht auf die Erde darf, wie ihre Kollegen „Nummer 5 Billionen Plus“ und folgende. Von Mutter Theresa bis Freud sind alle an der 22 gescheitert. Was soll da ein Normalo wie Joe ausrichten? Nach einigem Rumgerangel durch die Instanzen und einigen statistischen Verwirrungen, die die inzwischen im Jenseits als vermisst gemeldete Seele von Joe verursacht, fallen Joe und „22“ einmal mehr ungeplant vom Himmel Richtung Erde, nach Nordamerika, New York, ins Krankenhaus mit der Koma-Station. Und landen in Joe und Mister Mitten, dummerweise verkehrt herum. Womit ganz nebenbei bewiesen wäre, dass Katzen eine Seele haben!

Mit diesem Seelentausch beginnt nach gut einem Drittel des Films jene Geschichte, die auch jüngeren Zuschauern unglaublich viel Spaß machen dürfte. Denn es geht um Verwechslungen, um Pointen, um Action, um eine sprechende Katze, die aber nur von einem Menschen verstanden wird, sprich: es geht um „22“ im Körper von Joe und Joe im Körper von Mister Mitten, mit allen nur erdenklichen Verwicklungen. Doch eigentlich geht es wie im Vor- und Nachdrittel von „Soul“ um nichts weniger als ums Menschwerden, um Individuation und um den Sinn des Lebens. Das sind unglaublich gewichtige Aspekte für einen Animationsfilm mit einer Katze und einem Jazzer im Mittelpunkt. Doch das Wunder von „Soul“ ist: es funktioniert!

Ein Fest für Augen und Ohren

Nicht nur aufgrund der streng kubistisch anmutenden Zwischenwelt-Animationen, in denen Wesen „nicht-mann-nicht-frau-gleich“ und doch zutiefst menschlich agieren. Nicht nur aufgrund der Sidekicks im Himmel und auf Erden, die zwischen dem Hier und Dort wechseln und alles andere als superheldenhaft agieren. Nicht nur aufgrund der abstrakten Sphärenmusik von Atticus Ross und Trent Reznor (für die fremden Welten) und der jazzigen Freestyle-Musik von Jon Batiste (für die Erdenwelt) und der aberwitzigen Fusion beider Musikwelten zu einem verwegenen Ganzen. Es ist das Zusammenspiel aller Elemente, die so unvereinbar scheinen und sich doch zu etwas fügen, das auf unterhaltsame Weise Erkenntnisse am laufenden Band produziert.

Und die „Moral von der Geschicht“: Lebe und werde mit dem glücklich, was in dir steckt. Denn es ist so viel, viel mehr in einem als man glaubt. Doch halt! „Soul“ ist ein Pixar-Film – und daher ist auch das immer nur die halbe Wahrheit!

Erschienen auf filmdienst.deSoulVon: Jörg Gerle (6.11.2023)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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