Szene aus Kinder der Hoffnung - One Of Us
Filmplakat von Kinder der Hoffnung - One Of Us

Kinder der Hoffnung - One Of Us

84 min | Dokumentarfilm | FSK 0
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Die Doku Kinder der Hoffnung - One of us unternimmt in der Gegenwart eine Zeitreise: Yael Reuveny traf einst die Entscheidung, ihre Heimat Israel hinter sich zu lassen, um ihre Träume in der Ferne zu verfolgen. Nun geht die Filmemacherin in ihr Vaterland zurück. Ihre Mission: Sie will herausfinden, was aus ihren einstigen Mitschüler:innen geworden ist und ob die Jungen und Mädchen von damals ihre Wünsche und Zukunftsvorstellungen in die Tat umgesetzt haben.
  • RegieYael Reuveny
  • ProduktionDeutschland, Israel
  • Dauer84 Minuten
  • GenreDokumentarfilm
  • AltersfreigabeFSK 0

Filmkritik

Klassentreffen sind zuweilen heikle Angelegenheiten. Bei aller Freude über ein Wiedersehen mit Mitschülern, die man womöglich lange nicht gesehen hat, geraten solche Zusammenkünfte nicht selten zu einem Kräftemessen. Es wird verglichen, wer es am weitesten gebracht hat, sei es beim Job, in der Partnerschaft, bei Familie oder Wohlstand. Die israelische Filmemacherin Yael Reuveny hat sich diesen Stress erspart: In „Kinder der Hoffnung“ sucht sie zwar auch Mitglieder ihrer ehemaligen Schulklasse auf, doch eine Person nach der anderen. Außerdem geht es ihr nicht um Eitelkeiten, sondern um eine private und gesellschaftliche Bestandsaufnahme.

Denn Reuveny ist aus ihrem Geburtsland Israel ausgewandert; sie lebt seit etlichen Jahren in Berlin. Die 1980 geborene Filmemacherin gehört zu einer Generation, die sie „Kinder der Hoffnung“ nennt. Das sind jene jungen Leute, die Mitte der 1990er-Jahre mit der Zuversicht groß wurden, dass sie ein Leben in einem echten, dauerhaften Frieden mit den Palästinensern führen können. Eine Hoffnung, die durch die Ermordung des israelischen Ministerpräsidenten Jitzchak Rabin im Jahr 1995 jäh zerstört wurde; das Jahrzehnt endete mit der Intifada.

Alle außer der Regisseurin sind geblieben

30 Jahre nach Reuvenys Einschulung in ihrer Heimatstadt Petach Tikwa, einem Vorort von Tel Aviv, reist sie dorthin zurück. Sie befragt ihre ehemaligen Mitschüler nach ihrem Leben und ihren vormaligen Träumen. Dabei entdeckt sie, wie sehr sich ihre Existenz von der ihrer früheren Klassenkameraden unterscheidet. Alle sind geblieben, nur sie ist als einzige weggezogen. Von den ursprünglichen Hoffnungen ist nicht mehr viel zu spüren. Pragmatismus hat sich eingestellt, mit alltäglichen Sorgen um Job, Wohnung und Beziehung.

Doch zunächst holt Reuveny aus, erzählt die Ursprünge ihres Heimatorts, dessen Name bezeichnenderweise „Tor der Hoffnung“ bedeutet. Der Flecken entwickelte sich kurz nach der Gründung Israels von einer kleinen Siedlung zu einer stetig wachsenden Stadt. In israelischen Archivaufnahmen sieht man zuversichtliche junge Menschen, die sich und der Gemeinschaft mit ihren Händen ein lebenswertes Zuhause schaffen. Die historischen Bilder verbreiten dieselbe Mythologie der israelischen Pioniere, die auch den Schriftsteller Amos Oz als Kind faszinierte und die er in seinem autobiografischen Roman „Eine Geschichte von Liebe und Finsternis“ beschrieb.

Auch Bilder der Schulklasse von 1988 rückt Reuveny ins Bild: fröhliche kleine Kinder mit Zahnlücken, die später patriotische Lieder singen und denen man beibrachte, ihrem Land stets die Treue zu halten. Im Off-Kommentar befragt die Regisseurin ihr kindliches Alter Ego, ob die Erwartungen, die an sie als Kinder herangetragen wurden, nicht zu hoch gewesen sind.

Biografien, durch die Vorgenerationen geprägt

Im Gespräch mit rund einem Dutzend ihrer Klassenkameraden treten Biografien zutage, die einerseits universell sind, andererseits aber auch durch die Vorgenerationen von Verfolgung, Angst und Tod geprägt sind. Einige Eltern der Mitschüler stammen aus Familien mit Holocaust-Überlebenden. Andere immigrierten nach dem Krieg aus Ländern, in denen sie ihre jüdische Identität nicht ungestört leben konnten und verknüpften mit Israel die Hoffnung auf ein sicheres Leben.

Die meisten „Kinder der Hoffnung“ haben eine Familie gegründet, viele aus einem eigenen Bedürfnis heraus, andere, um den Ansprüchen der Eltern zu genügen. Von den meisten wird die Familie nicht in Frage gestellt; sie gilt als eine Art heilige Pflicht. Reuveny, die in Berlin mit ihrem Partner in einer Patchworkfamilie lebt, denkt laut über die moralische Rechtmäßigkeit ihres Weggangs nach. Zu Bildern ihres Berliner Alltags erzählt die mittlerweile 40-jährige Filmemacherin im Off von den Widersprüchen des Lebens in der Ferne und wie sie dort alltägliche Dinge aus Israel vermisst, die sie eigentlich hinter sich lassen wollte.

Die Gespräche mit den Mitschülern offenbaren eine Distanz: durch die Kamera, den geografischen Abstand oder durch eine radikal andere Lebensrealität. So führt eine als Maklerin in Petach Tikwa arbeitende Ex-Klassenkameradin Klienten durch die Wohnungen neu erbauter Häuser, die – für sie ganz selbstverständlich – über Safe Rooms oder Luftschutzkeller für den Ernstfall eines feindlichen Raketenangriffs verfügen. Solche Details offenbaren, dass Israel kein Land wie ein anderes ist; seine Einwohner sind auf eine jederzeit mögliche Bedrohung von außen eingestellt.

Ein sehr persönlicher Versuch einer Selbstverortung

In „Schnee von Gestern“ (2013) hatte Reuveny anhand der Biografie ihres Großonkels, der den Holocaust überlebte und dann in Brandenburg eine Familie gründete, über die Beziehung zwischen Deutschland und Israel, über Schuld und Versöhnung reflektiert. „Kinder der Hoffnung“ erweist sich nun als Reise in die Vergangenheit und als sehr persönlicher Versuch einer Selbstverortung. Indem sie durch den Vergleich mit alten Weggefährten über die Widersprüche ihres Geburtslandes, über Migration und die Heimat im Herzen filmisch nachdenkt, hat sie sich einem Klassentreffen der besonderen Art gestellt.

Erschienen auf filmdienst.deKinder der Hoffnung - One Of UsVon: Kira Taszman (28.2.2023)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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