Szene aus Lichter der Stadt
Filmplakat von Lichter der Stadt

Lichter der Stadt

101 min | Drama, Komödie
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Szene 1 aus Lichter der Stadt
Szene 2 aus Lichter der Stadt
Köln bei Nacht: Joscha ist auf Hochspannung. Seine Nachbarin übergibt ihm versehentlich eine Tüte mit Medikamenten für die er ab sofort verantwortlich ist, Von einem Dealer lässt er sich eine ganz besondere Pille geben. Doch von der Einnahme wird Joscha immer wieder durch zufällige Begegnungen mit Freunden und Bekannten abgehalten. Immer tiefere Einblicke geben diese Gespräche in Joschas Vergangenheit und chaotisches Leben, das ihn bis zu diesem Punkt geführt hat. Als er endlich Zeit findet die Pille zu nehmen fängt seine Reise erst richtig an und er fragt sich ob es die richtige Entscheidung war.

Filmkritik

Treffen sich zwei – Joscha und Lou – in einer kalten Winternacht an der Kölner Rheinpromenade auf eine oder mehrere Zigaretten. Sie kennen sich nicht, kommen aber rasch ins Gespräch. Joscha, rauchend, erzählt davon, dass er einmal in einem Ratgeber gelesen habe, dass der Gebrauch von allen Drogen mit einem Hang zur Selbstzerstörung zu tun habe. Lou, rauchend, horcht auf und fragt: „Und? Hast du diesen Hang? Zur Selbstzerstörung?“ Ernsthaft jetzt? Er lehnt sich zurück und antwortet ausweichend: „Frag mich was Leichteres!“ Und fragt dann zurück. Und sie nickt, weiß dann allerdings nicht um den Grund dafür. Da haben sich zwei gefunden, zufällig, am Ende eines langen Abends.

Dass der Abend so positiv endet, damit war nicht unbedingt zu rechnen. Als „Lichter der Stadt“ von Malte Wirtz 2020 das „Filmz – Festival des deutschen Films“ eröffnete, stand die Geschichte, die der Film erzählt, ohnehin im Schatten der Frage, wie der Film erzählt ist. „Lichter der Stadt“ ist einer jener Filme, die in einem Take gedreht sind, eine Qualität, die immer jene sportiven Filmenthusiasten auf den Plan ruft, die das fertige Produkt dann gerne auf der Suche nach dem verdeckten Schnitt durchmustern und ansonsten die Leistung des – in diesem konkreten Fall – Kameramannes Francisco de la Torre preisen und bewundern. Es geht dann eher um Logistik als um Ästhetik. Zu fragen wäre indes, warum der Film in einem Take gedreht wurde und warum diese Entscheidung mehr ist als eine Art manierierter Taschenspielertrick.

Ganz und gar in der Gegenwart verankert

In „Lichter der Stadt“ hilft die gewählte Inszenierung dabei, dem Film seine entscheidende Qualität zu verleihen, nämlich ganz und gar in der Gegenwart verankert zu sein. Dazu passt die ostentative Offenheit des Drehbuchs und die Lust des Filmemachers, seinen Darstellern beim Improvisieren zuzuschauen. Früher am Abend begegnen wir Joscha (Tim-Fabian Hoffmann) bereits am Rheinufer. Er, eine Art verspäteter Hipster mit seltsamen modischen Präferenzen, wirkt sehr nervös, raucht und telefoniert, hinterlässt Nachrichten auf Apparaten anderer. Während er wartet, begegnet er einer etwas aufdringlichen Nachbarin, die gerade von einer Apotheke kommt und sich um eine ältere Nachbarin sorgt, deren Briefkasten überquillt. Als die Nachbarin weitermuss, überlässt sie Joscha versehentlich die Papiertüte mit den Medikamenten, die sie gerade besorgt hat.

Diese Papiertüte fungiert im weiteren Verlauf des Films als eine Art von MacGuffin, weil Joscha immer wieder neue Anläufe macht, sie an die richtige Adresse zu liefern. Doch zunächst trifft er seinen Dealer, der ihm zwei mysteriöse Pillen verkauft und ihm, dem Anfänger, viel Glück bei der kommenden Erfahrung wünscht. Doch bevor Joscha die Pillen einwerfen kann, läuft er in der Altstadt zwei alten Freunden – Karlotta und Lucki – über den Weg. Man war mal sehr gut befreundet, aber das ist viele Jahre her. Entsprechend ausgeprägt ist der Redebedarf, um mal wieder auf den neuesten Stand der Dinge gebracht zu werden. Zumindest gilt dies für Karlotta und Lucki, während Joscha sehr zurückhaltend bis abweisend reagiert.

Widersprüchliche und unvollständige Informationen

Dieser erste Teil des Films ist ausgesprochen unterhaltsam, weil der verstörte Joscha, der sich offenbar in einer größeren Krise befindet, mit allerlei freundlich verpackten Zuschreibungen konfrontiert wird, deren Bedeutsamkeit Jahre zurückliegen. Auf Nachfragen reagiert Joscha mit widersprüchlichen oder zumindest unvollständigen Informationen, die gerade kein überzeugendes Bild ergeben. Die Stimmung ist ausgeprägt „Anti-Klassentreffen“. Dem Zuschauer bleibt es überlassen, sich seinen Reim auf all die widersprüchlichen und unzusammenhängenden Informationen zu machen. Immer wieder entzieht sich Joscha, sucht Vorwände, um sich zu trennen, doch die alten Freunde sind erstaunlich hartnäckig. Sie wollen den Abend in Joschas Wohnung enden lassen.

Mittlerweile ist man gar nicht mehr sicher, ob Joscha überhaupt noch eine Wohnung hat, ob er vielleicht seinen Job verloren oder aus Verzweiflung sogar suizidal unterwegs ist. Wofür spricht, dass er irgendwann die alten Freunde zur Eislaufbahn beim Weihnachtsmarkt vorschickt, selbst schnell die Pillen einwirft und, weil ja jetzt keine Kommunikation mehr stört, Ohrstöpsel einsetzt und beim Queren des Rheins Musik hört. Elektronische Musik mit Gesang und deutschem Text. Kostprobe: „Das Leben ist das Schönste, das es gibt. Wir haben nur eins. Wirf es doch nicht weg! Liegst du auch mal im Dreck – es wird schon weitergeh’n.“

Die Pillen und die Musik

Einerseits die Pillen, anderseits die Musik – das ist doch mal eine überschaubare Engelchen-Teufelchen-Konstellation. Durch dieses kurze Zwischenspiel jenseits des Sozialen unterspielt der Film in kurzer Zeit die produktive Spannung aus Andeutungen, Zuschreibungen und Zumutungen des ersten Teils auf erstaunlich triviale Weise. Die anschließende Begegnung mit der offenen und erstaunlich zugewandten Lou scheint die positive Botschaft des Songs zu bestätigen, dass es immer irgendwie weitergeht. Das ruhige Gespräch mit Lou ist frei von Zuschreibungen und vor allem frei von den permanenten und unkonzentrierten Impulsen der vorangehenden Bewegung mit Karlotta und Lucki durch die Altstadt. Geplänkel mündet in ein Gespräch. Allerdings nur um den Preis der suggerierten Authentizität in der Interaktion, die durch den One-Take-Dreh evoziert werden sollte. Weshalb „Lichter der Stadt“ am Ende doch etwas zu sozialpädagogisch, pseudo-philosophisch und damit recht uncool erscheint.

Erschienen auf filmdienst.deLichter der StadtVon: Ulrich Kriest (31.5.2022)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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