Szene aus Lockdown Tower
Filmplakat von Lockdown Tower

Lockdown Tower

90 min | Drama, Fantasy, Horror
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Im Herzen einer Stadt wachen die Bewohner eines Turms eines Morgens auf und stellen fest, dass ihr Gebäude in einen undurchsichtigen Nebel gehüllt ist, der Türen und Fenster blockiert – eine seltsame dunkle Materie, die alles verschlingt, was versucht, hindurchzugehen. Gefangen versuchen die Bewohner, sich zu organisieren, doch um ihr Überleben zu sichern, erliegen sie nach und nach ihren primitivsten Instinkten, bis sie in Entsetzen versinken.

Filmkritik

Die einzige Außenaufnahme dauert nur ein paar Sekunden und zeigt mehrere gleichförmige Wohnblöcke. „Lockdown Tower“ spielt in einem der Türme. Alles, was sich jenseits seiner Mauern befindet, wird kurz darauf auf mysteriöse Weise von einer endlosen Dunkelheit verschlungen. Bewohner, die herausfinden wollen, ob sich in diesem tiefen Schwarz etwas verbirgt, werden wenig später eines Besseren belehrt. Von einem Arm, der aus dem Fenster gestreckt wird, bleibt lediglich der Rumpf übrig.

Ohne Außenwelt und ohne die Ursache für das Geschehene näher zu beleuchten, konzentriert sich der Film von Guillaume Nicloux umso stärker auf den sozialen Mikrokosmos innerhalb des Hochhauses und darauf, wie sich dort binnen kürzester Zeit bürgerkriegsähnliche Zustände entwickeln. Während Essen, Medikamente und Sex zur begehrten Tauschware werden, organisieren sich Weiße, Schwarze und Araber jeweils zu eigenen Banden. Die Menschen sind isoliert und in die Enge getrieben. Doch es geht dem Film nicht um Machtdynamiken oder eine sozialkritische Allegorie. Nicloux vermeidet es entschieden, sich zu Statements über den Zustand der Gesellschaft verleiten zu lassen. Ins Zentrum rückt er stattdessen das Raubtier Mensch, dessen Selbsterhaltungstrieb unter lebensbedrohlichen Umständen unweigerlich in Zerstörung umschlägt.

Radikale Fragmentierung

Dem Publikum macht es der Film nicht gerade einfach. Zwar gibt es einige wiederkehrende Figuren wie eine lesbische Ärztin, einen Voodoo-Priester oder ein werdendes Elternpärchen, doch „Lockdown Tower“ interessiert sich weder für deren Charaktere noch stringente Erzählstränge. Selbst einer Genre-Logik, die zu Eskalationen drängt oder nach Auswegen strebt, folgt der Film nicht. Statt Kontinuität und Vertiefung herrscht eine radikale Fragmentierung vor.

Immer wieder wird die Handlung durch lange Schwarzblenden unterbrochen, die einen Zeitsprung markieren. Danach ist alles anders – und jedes Mal noch schlimmer. Die Welt im Hochhaus wird zunehmend dunkler, verwahrloster und ursprünglicher. Die Wohnungen verwandeln sich langsam in Höhlen, in denen flackerndes Kerzenlicht die schmutzigen Gesichter der Bewohner erhellt.

Wie sich der Tod anfühlt, will ein Kind am Ende wissen, worauf seine Mutter erwidert: „wie nichts“. Tatsächlich erweist sich die Leere in „Lockdown Tower“ nicht nur als beständige Bedrohung der Bewohner, sondern auch als filmisches Gestaltungsmittel. Vieles, was Spannung oder dramatische Intensität schaffen könnte, umschifft der Film. So fährt die Kamera zu Beginn mehrmals auf eine geschlossene Tür zu, während der elektronische Soundtrack von Tim Hecker unheilvoll pocht. Der Witz dabei ist, dass sich hinter der Tür nichts verbirgt. Auch Episoden über einen gestohlenen Pudel oder die sonderbaren Rituale eines Kults werden entweder nur angedeutet oder bleiben gänzlich nebulös. Die oft etwas statischen Dialogszenen helfen auch nur bedingt, den Film zu entschlüsseln.

Sinnlose Verausgabung

Die Hoffnungslosigkeit der Situation lässt das Leben in „Lockdown Tower“ zur sinnlosen Verausgabung werden. Ungewöhnlich lange und offensichtlich gerade nicht zum Zweck, Spannung aufzubauen, zeigt Nicloux, wie eine der Gangs ins Gefecht zieht und dabei scheinbar endlos ihre Runden durch das mit Graffitis verschmierte Treppenhaus macht. Man könnte den Nihilismus des Films konsequent nennen, wäre „Lockdown Tower“ durch seine Erzählverweigerung nicht gleichzeitig so frustrierend. Der Film scheint dem Irrtum aufzusitzen, dass sich etwas Interessantes automatisch ergibt, wenn Erwartungshaltungen lange genug enttäuscht werden. Zu oft wirkt der Film jedoch so, als wäre er im Anfangsstadium seiner Entwicklung steckengeblieben. Über ein bedeutungsvolles Raunen über die rohe Natur des Menschen kommt „Lockdown Tower“ deshalb nur selten hinaus.

Erschienen auf filmdienst.deLockdown TowerVon: Michael Kienzl (21.1.2024)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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