Szene aus Merkel – Macht der Freiheit
Filmplakat von Merkel – Macht der Freiheit

Merkel – Macht der Freiheit

94 min | Dokumentarfilm
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Szene 1 aus Merkel – Macht der Freiheit
Angela Merkel war zu Beginn ihrer Karriere in vielfacher Hinsicht eine Außenseiterin, sowohl als Frau als auch als Wissenschaftlerin und als Ostdeutsche. Als Pfarrerstocher in der DDR aufgewachsen, nutze Merkel den Fall der Berliner Mauer, um sich neu zu erfinden und zu einer der mächigsten Frauen der Welt zu werden. Für ihren Dokumentarfilm führte die Filmemacherin Eva Weber Interviews mit Menschen, die Angela Merkel am besten kennen und trug Archivmaterial zusammen, um so den Aufstieg Angela Merkels zu erfassen.
  • RegieEva Weber
  • Dauer94 Minuten
  • GenreDokumentarfilm
  • TMDb Rating9/10 (1) Stimmen

Filmkritik

Die in Großbritannien lebende deutsche Filmemacherin Eva Weber hat einen Film über Angela Merkel gedreht, ein respektvolles, wohlwollendes und durchaus unterhaltsames Doku-Porträt, das sich der Politikerin nicht über persönliche Gespräche, sondern ausschließlich über Quellen nähert. In manchen Aspekten erinnert der Film auch erzählerisch an die Porträtierte, die als eher zurückhaltend denn offensiv und immer kompromissbereit gilt.

Als Frau, als Ostdeutsche und als Wissenschaftlerin war sie im männlich geprägten Polit-Zirkus eine Außenseiterin. Die frischgebackene Bundesministerin präsentierte sich zunächst eher schüchtern und alles andere als kampfeslustig; aber sie ließ eine gewisse Beharrlichkeit erkennen und den Willen, sich durchzuwühlen, nicht durchzuboxen.

Die Bilder von ihrem Karrierestart werden von Kindheitserinnerungen und Originalbildern aus den 1960er- und 1970er-Jahren unterbrochen. Dazu kommen wichtige Daten der deutschen Geschichte: 1961 – der Mauerbau, 1989 – der Fall der Mauer.

Der Blick von außen

Der Blick von außen, den Weber mitbringt, ist neben der abwechslungsreichen Gestaltung das Interessanteste an „Merkel“. Die alten Originalaufnahmen wirken heute wie Bilder aus einer fremden Welt: DDR-Grenzsoldaten, Fähnchen schwingende FDJ-Mitglieder, das Kollektiv, das über alles geht. Dazu singt Nina Hagen von Michael, der den Farbfilm vergessen hat. In dieser heute fremden Welt ist Angela Merkel aufgewachsen und hat von ihren Eltern schon früh gelernt, wie man sich gegen Aushorchversuche und Spitzelei zur Wehr setzt. Sie wurde Physikerin, weil sie laut eigenem Bekunden in diesem Beruf am wenigsten lügen musste. Ihre clevere Begründung: Die Gesetze der Naturwissenschaft und der Mathematik gelten in jedem System.

Nach 1989 beschloss Angela Merkel, in die Politik zu gehen. Sie ergriff die Gelegenheit beim Schopf und krempelte ihr Leben um. Aber wie kam es, dass sie zur mächtigsten Frau in der Weltpolitik wurde? Und wie hat sie sich dadurch verändert? Weber reist dafür durch zwei Leben: Merkel vor dem Fall der Mauer und Merkel danach. Manchmal scheinen sich die beiden sehr ähnlich zu sein. Sie haben sich gegenseitig stark beeinflusst, aber Angela Merkel, die DDR-Pfarrerstochter und Physikerin, und Angela Merkel, die Politikerin, unterscheiden sich auch erheblich. Dabei resultiert das manchmal allzu liebevoll gezeichnete Bild einer intelligenten, humorvollen Frau mit hohen moralischen Werten, die sich von der Macht nicht korrumpieren ließ. Wie sehr die DDR-Vergangenheit und die Erfahrungen in der Diktatur sie in ihrem politischen Denken und Handeln beeinflusst haben, ist eines der zentralen Themen in „Merkel“.

Bei der Suche nach der Essenz dieses Lebens kommt Weber der Porträtierten immer näher; aus dem anfänglichen Respekt scheint sich mit schwindender Distanz sogar eine Art Zuneigung zu entwickeln. Die Form der Collage nutzt die Filmemacherin, um immer wieder hin und her zu springen zwischen der jungen Merkel, die sich bedächtig formulierend und mit leicht schüchterner Entschlossenheit in Fernsehinterviews präsentiert, und der souveränen Kanzlerin, die mit Witz und ihrem manchmal etwas spröden Charme deutlich spontaner wirkt, aber gleichzeitig auch immer sehr kontrolliert.

Der Fokus liegt auf Merkels Persönlichkeit

Politische Entwicklungen werden dabei nur am Rande gestreift. Die Problematik der Flüchtlingspolitik und die kippende Stimmung in der Bevölkerung, die Merkels Vorstellungen vom „Wir schaffen das!“ nicht mehr so richtig unterstützte, gegenläufige Bewegungen und das Anwachsen rechtsradikaler Strömungen bis hin zur Feindseligkeit, die der Kanzlerin in ihren letzten Amtsjahren entgegenschlägt – all das bleibt nur Randthema, ebenso Merkels Verhältnis zu Putin und die Beziehungen zu Russland.

Deutlich mehr Augenmerk gilt den USA: Etwa der Freundschaft mit Hillary Clinton, die häufig zu Wort kommt, den guten Kontakten zu Barack Obama und ihrer teils deutlich gezeigten Abneigung gegenüber Donald Trump, der seinerseits jede Gelegenheit nutzte, sich gegen Merkel zu positionieren. Es geht Weber dabei wenig bis gar nicht um politische Leistungen oder Fehlleistungen und auch nicht um ihr politisches Erbe, sondern vielmehr um die persönliche Entwicklung.

Dass Merkels Karriere frei von Skandalen blieb, ist sicherlich kein Zufall. Der Film zeigt eine Frau, deren Intelligenz und Humor beinahe noch von ihrem klaren Bekenntnis zu moralischen und zu christlichen Werten übertroffen wird. Das Bild des Films von Angela Merkel ist das einer zutiefst rechtschaffenen Persönlichkeit, einem altmodischen Begriff für einen Menschen ist, der ehrlich und anständig ist.

Weber hat gründlichst recherchiert und eine Unmenge an Material gesichtet: Fernsehausschnitte mit Interviews und Reden, alte und neue Fotos, Originalaufnahmen von den 1950er-Jahren bis heute. Der Film versammelt viele kleine Puzzlestücke, auch Tondokumente und Popsongs, die sich zu einem Gesamtbild formen. Im Wesentlichen lässt der Film Merkel selbst sprechen, die an „Merkel“ nicht aktiv mitgewirkt hat. Viele Interviews, teils mit Prominenten wie Hillary Clinton, Tony Blair oder Volker Schlöndorff, aber auch mit Journalisten und Historikern wurden extra für diesen Film arrangiert. In ihrer Kürze und Prägnanz beleben sie die Dramaturgie, eröffnen immer wieder neue Blickwinkel, wirken in ihrer Kürze manchmal aber auch etwas oberflächlich.

Die Originalmusik von John Opstad mit Streicher und Piano ist interessant und nimmt das Thema des Films auf: die beiden unterschiedlichen Merkels vor und nach dem Mauerfall, zwei Leben, zwei musikalische Themen, die gegeneinander laufen und am Schluss zusammenfinden.

Ein ungetrübter Blick

Die größte Stärke des Films ist gleichzeitig seine Schwäche: der unbefangene, beinahe liebevolle und von politischen Entwicklungen nahezu ungetrübte Blick auf den Menschen Angela Merkel. Das ist allerdings nur auf den ersten Blick ein Widerspruch, denn natürlich hat auch Angela Merkel ein Leben außerhalb ihres Berufes. Die Frage, wie eine Persönlichkeit durch die Karriere beeinflusst wurde, stellt sich prinzipiell bei jedem. Hier wird sie zumindest ansatzweise und in unterhaltsamer Form beantwortet.

Als eine der meistfotografierten Frauen der Welt hat Angela Merkel es immerhin einigermaßen geschafft, ihr Privatleben und ihr berufliches Dasein zu trennen. Diese Form einer Work-Life-Balance hat ihr vermutlich dabei geholfen, die drei Jahrzehnte in der Politik halbwegs unbeschadet an Geist und Körper zu überstehen.

Erschienen auf filmdienst.deMerkel – Macht der FreiheitVon: Gaby Sikorski (18.4.2023)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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