
- Veröffentlichung06.11.2025
- RegieMario Burbach
- Dauer52 Minuten
- GenreDokumentarfilm
Vorstellungen
Filmkritik
Nichts Neues unter der kapitalistischen Sonne. Als historische Klammer führt der Film „Ohne Chefs – Demokratie bei der Arbeit“ von Mario Burbach zunächst vor Augen, dass die Klage, niemand sei mehr bereit, „hart“ zu arbeiten, mindestens so alt ist wie die Versuche, kollektive Formen von Arbeit zu erproben. In Ländern wie Italien oder Argentinien passiert es sogar heute noch, dass ganze Fabriken von der Belegschaft übernommen werden. „Ohne Chefs“ aber sucht lieber regional nach Beispielen von Betrieben, die sich als Kollektive verstehen und innerhalb des kapitalistischen Systems zu überleben versuchen.
Vier Beispiele kollektiven Arbeitens
Vier Betriebe werden vorgestellt: die Kaffeeimport-Rösterei Quijote in Hamburg, das vegane Café-Kollektiv Radikalecker in Berlin, das queer-anarchistische Hostel „schickSaal“ mit Café und Kneipe in Lübeck sowie die alternativ-antifaschistische Limonaden-Produktion ZickZack-Kollektiv „kolle mate“ in Dresden. Ergänzt werden diese Besuche vor Ort durch Hintergrundinformationen und Ratschläge der kollektiv beratung Berlin, da der Film nicht nur informieren, sondern insbesondere auch motivieren will. Dazu passt auch, dass „Ohne Chefs“ durchgängig mit Feel-Good-Grooves unterlegt ist und die einzelnen Stationen der Recherche mit orientierenden Aufnahmen der jeweiligen Firma vorgestellt werden, die aus den Archiven des jeweiligen Stadtmarketings stammen könnten.
Es geht in „Ohne Chefs“ also um ein paar Musterbespiele für eine Arbeitsrealität jenseits langweiliger Bürojobs, in denen man seine Zeit nicht bis zur Rente absitzt. Der Film dreht sich damit um Sinn und Erfüllung, Demokratie und Mitbestimmung, um Werte und politische Haltung in der Arbeitswelt, also um etwas sehr viel Anspruchsvolleres als Gratifikationen wie Obstkörbe und Gratis-Kaffee am Arbeitsplatz. Arbeiten im Kollektiv bedeutet für alle die gleichen Rechte und Pflichten, aber auch die gleiche Verantwortung, was auch die Kreativität und Autonomie im Bedenken des Großen und Ganzen umfasst. Das dafür erforderliche Umdenken ist allerdings keineswegs selbstverständlich, sondern eher Resultat potenziell eher unabgeschlossener Lernprozesse.
Im Plenum wird entschieden
Ein wichtiges Moment zur angestrebten Transparenz trägt die innerbetriebliche Kommunikation bei. Wöchentliche Plenumssitzungen spielen eine wichtige Rolle, aber auch das tägliche Weitergeben von Informationen in den unterschiedlichen Abläufen. Dass Entscheidungsprozesse im Zeichen von Konsens schwierig und mühsam sind, wird durchaus eingeräumt, zumal die Delegation von Frustration auf Vorgesetzte ja nicht möglich ist.
„Ohne Chefs“ will für die Idee des Kollektiven oder des Kooperativen werben, kommt dabei aber nicht umhin, auch eine Reihe von problematischen Themen zu benennen. Das fängt beim Mindestlohn an, streift eine marktgängige Preispolitik und die Notwendigkeit, das eigene Projekt bei einer Buchungsagentur einzustellen, und endet noch lange nicht bei der Entscheidung, mit Supermarktketten und Lieferservices zusammenzuarbeiten.
Inseln der Selbstbestimmung
Deutlich wird, dass es sich bei den vier vorgestellten Projekten um Inseln der Selbstbestimmung im Meer des Kapitalismus handelt. Man ist gezwungen, sich mit Bedingungen auseinanderzusetzen, die man eigentlich ablehnt. Die Idee einer vernetzten Parallelstruktur von Gleichgesinnten bleibt vorerst aber doch eine Utopie. Damit hatten anarcho-syndikalistische Projekte seit jeher zu kämpfen. „Ohne Chefs“ will historisch aber nicht tiefer bohren, sondern im Hier und Heute für diese Idee werben.
Der Enthusiasmus, mit dem die Beteiligten vom Gelingen ihrer Projekte und überregionalen oder internationalen Vernetzungen berichten, belegt zumindest, dass es einigen bereits gelungen ist, ihren Arbeitsalltag sinnvoller zu gestalten und mit einer Haltung zu leben, zu der man politisch und ethisch stehen kann. Trotz aller Vorurteile, Hindernisse und Widerstände.
