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Pans Labyrinth

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Spanien, 1944: Nach der Machtergreifung General Francos zieht die kleine Ofelia zusammen mit ihrer hochschwangeren Mutter zu ihrem Stiefvater aufs Land und wird dort schon bald mit dessen Unberechenbarkeit und Brutalität konfrontiert. Ihre einzige Chance ist die Flucht in eine selbst erschaffene, geheimnisvolle Fantasiewelt, die von wundersamen Fabelwesen bevölkert ist. Nur hier findet das Mädchen Zuflucht vor dem Schrecken der Realität, aber nach und nach auch den Mut, diesem zu trotzen. (j.b.)

„Es war einmal unter der Erde, da träumte eine Prinzessin von einer menschlichen Welt…“. Ofelia liest gerne Märchen, und wenn sie gerade kein Buch zur Hand hat, dann denkt sie sich welche aus. Manchmal sind es richtig schreckliche Gespenstergeschichten; was daran liegen mag, dass die Verhältnisse, in denen sie lebt, auch alles andere als schön sind. 1944 tobt der Zweite Weltkrieg, und in ihrer Heimat Spanien liegt das Ende des Bürgerkrieges erst fünf Jahre zurück. Francos Faschisten haben gesiegt, doch in der Provinz, in den dunklen Wäldern hinter den sieben Bergen, halten sich die republikanischen Partisanen, die sich im Terrain viel besser auskennen. Ofelia selbst hat ihren Vater verloren; die Mutter hat wieder geheiratet. Der böse Stiefvater, den das Mädchen konsequent „Capitan“, also Hauptmann, nennt, ist ein Faschist, wie er nicht nur im Märchenbuche steht. Und weil Ofelias Mutter schwanger ist und Capitan Vidal meint, ein Sohn – selbstverständlich wird es ein Sohn – müsse bei seinem Vater geboren werden, fahren Mutter und Tochter zu jenem Außenposten, wo Vidal Dienst tut. Als sie einmal unterwegs anhalten, findet Ofelia eine Gottesanbeterin. „Das muss eine gute Fee sein“, spürt Ofelia ganz deutlich, und nun beginnt ihre (Initiations-)Reise in eine Traumwelt. Spätestens mit diesem Film, der ihm überraschende, aber verdiente sechs „Oscar“-Nominierungen einbrachte, beweist das aus Mexiko stammende Kino-„enfant terrible“ Guillermo Del Toro („Cronos“, 1994; „Hellboy“, fd 36 682), dass er zu den interessantesten Filmemachern der Gegenwart gehört. In ausgesucht poetischen und originellen Bildern erzählt Del Toro eine Geschichte des Horrors im Spanien des ersten Jahrzehnts nach dem Bürgerkrieg. Filmhistorisch wurde dieses Sujet bereits 1973 mit Victor Erices „Der Geist des Bienenstocks“ (fd 20 099) und seit Beginn der Demokratie in Spanien schon mehrfach bearbeitet. So etwa handelte Julio Sánchez Valdés’ „Luna de lobos“ (1987) von einer Gruppe Republikaner, die die Kämpfe nach ihrem offiziellen Ende weiterführen. Und Del Toro selbst lieferte mit „The Devil’s Backbone“ (fd 35 766) einen für ihn typischen, wilden Mix aus Geistergeschichte und Coming-of-Age-Drama, das 1939 in der Endphase des Bürgerkriegs spielt. Dahinter verbarg sich eine ebenso kluge wie bittere Betrachtung der spanischen Geschichte des vergangenen Jahrhunderts und das anrührende Porträt eines Kindes im Krieg. Von Anfang an funktioniert das Nebeneinander von „Realität“ und Märchenwelt auch in „Pans Labyrinth“, dem zweiten Teil einer „Spanischen Trilogie“, der noch „3993“ folgen soll, an dem Del Toro gerade arbeitet. Der Film ist Fantasy, aber er handelt zweifelsfrei immer von der realen Welt, ihren Schrecken und ihren Hoffnungen. Die Wechselbeziehung ist keine allegorische; der Film erzählt vom Nebeneinander zweier Dimensionen, und welchen Realitäts-Status man der von Fabelwesen bevölkerten Märchenwelt, mit der Ofelia kommuniziert, zubilligen will, hängt davon ab, welchen Status man überhaupt der Fantasie zugestehen mag. Ofelias Paralleluniversum ist magisch, aber real. Der Film rationalisiert es nicht, indem er suggeriert, Ofelias Welt sei „nur“ ein Hirngespinst. Er nimmt sie einfach hin. Wie Orpheus im Mythos und in Cocteaus „Orphée“ (fd 22 613) reist Ofelia in die Unterwelt: Sie wird von der Fee in ein Labyrinth geführt, dessen Zentrum eine Treppe in die Tiefe birgt. Dort begegnet sie einem Faun, einem Biest von ähnlicher Ambivalenz wie das Monster aus James Whales Klassiker „Frankenstein“ (fd 5747), auf den der Film mehrfach anspielt, ebenso wie auf Neil Jordans „Zeit der Wölfe“ (fd 25 000). Dieser eröffnet ihr das Geheimnis ihrer Herkunft: Eigentlich ist sie eine Prinzessin. Vor dem nächsten Vollmond muss sie drei Aufgaben lösen, um ins Fabelreich heimkehren zu können. Während sie an deren Lösung arbeitet, nimmt der Terror in ihrer Umgebung immer mehr zu: Im Kampf gegen die Partisanen schreckt Capitan Vidal vor keiner Grausamkeit zurück: Er foltert und tötet Unschuldige, er tyrannisiert aber auch das Personal, die Mutter Ofelias und schließlich sogar Ofelia selbst. In der Figur dieses von Sergi López glänzend verkörperten Franquisten gelingt ein brillantes Porträt des Faschismus – in seiner Todesbesessenheit wie in der Zwanghaftigkeit dieses ordnungsfanatischen Charakters, der ein „sauberes Spanien“ propagiert und in seiner Freizeit Uhren repariert. Und brillant auf der Schwelle zwischen kindlichem Spiel und Ahnungen erwachsener Ernsthaftigkeit meistert die seinerzeit erst zehnjährige Ivana Baquero die Hauptrolle der Ofelia. Überaus gelungen ist auch die Verbindung der märchenhaften mit den realistischen Elementen. In Bildern und Durchführung ist das gleichermaßen freudianisch und poetisch. Del Toro bietet satte, barocke, sinnliche Bilder; es tropft und kleckert – Dreck, Regenwasser, Schleim, Urin und vor allem Blut, viel Blut fließt: Man glaubt die Feuchtigkeit und Kälte zu fühlen, das Moos des Waldes zu riechen. „Pans Labyrinth“ ist eine zwingende, phantasmagorische Genre-Melange mit Bezügen zur Malerei von Goya und zum heidnisch-antiken wie zum christlichen Kosmos: moderne Mythologie und katholisches „Alice im Schreckensland“. Zugleich formuliert er mit seiner Story auch eine kleine Theorie des Horrorfilms: Die Liebe zum „Unterweltlichen“ und den Manifestationen des Unbewussten wird hier nicht als Form der „Bewältigung“ durch Schock begriffen, sondern als Fluchtfantasie plausibel, ja als Geborgenheit spendende Gegenwelt gegenüber dem Horror der Wirklichkeit, der schlimmer ist als jeder Albtraum. Ein Werk, von dem man mit Gewissheit sagen kann, dass es nicht nur zu den bleibenden Werken des Jahres, sondern dieser Dekade gehört.

Veröffentlicht auf filmdienst.dePans LabyrinthVon: Rüdiger Suchsland (5.12.2025)
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