Cast
Vorstellungen
Filmkritik
Migrationsgeschichten sind immer auch Geschichten über Hinterlassenschaften. Zurück bleiben Orte, Dinge, Menschen, aber auch Teile der eigenen, nicht nur kulturellen Identität. Noch bevor Na Young mit ihrer Familie aus Südkorea nach Kanada auswandert, soll sie sich einen neuen, das heißt westlichen Namen ausdenken. Na Young entscheidet sich für Nora. Nora Moon: Das klingt nach Aufbruch; auch ein Popstar könnte so heißen oder eine Figur aus einem Disney-Film.
Zurück in der alten Heimat verbleibt aber nicht nur der koreanische Name, sondern auch ihr Kindheitsfreund Hae Sung. Er gefalle ihr, weil er „mannhaft“ sei, erklärt Na Young ihrer Mutter einmal. Ein letzter gemeinsamer Ausflug in einem Park zeigt zwei fröhliche Kinder, die ganz im Einklang miteinander sind. Wenn auch die chinesische Philosophie in „Past Lives“ nichts verloren hat, denkt man dennoch ein wenig an Yin und Yang.
Über Zeiten und Leben hinweg
In dem Debütfilm von Celine Song steht jedoch ein anderer Begriff – und auch ein anderer Begriff von Hinterlassenschaft – im Zentrum: das In-Yun. Im Koreanischen bezeichnet es eine schicksalhafte Fügung mit einem Menschen, den man in vergangenen Leben bereits kannte und mit dem man über zahllose Wiedergeburten eine tiefe Verbindung aufgebaut hat. „Past Lives“ lässt keinen Zweifel daran, dass Nora und Hae Sung das In-Yun haben. Aus dieser Verbundenheit, die mit den äußeren Umständen des gegenwärtigen Lebens jedoch kaum in Übereinstimmung zu bringen ist, bezieht der Film seine Spannung und seinen Herzschmerz.
Die Geschichte erstreckt sich über 24 Jahre und drei Zeitebenen. Zwölf Jahre nach der Trennung, als Nora als angehende Autorin in New York lebt, versucht ihr Kindheitsfreund sie über Facebook ausfindig zu machen. Ein erstes Gespräch über Skype ist fast unwirklich – „Das ergibt keinen Sinn“, bemerkt Hae Sung. Bald sprechen die früheren Kindheitsfreunde zu jeder Tages- und Nachtzeit miteinander, teilen Ausflüge und Mahlzeiten.
Klar wird aber auch: Was sie trennt, ist mehr als die geografische Distanz. Nora träumt von einer Zukunft als erfolgreicher Dramatikerin, deren Arbeit mit den tollsten Preisen belohnt wird. Der Maschinenbaustudent Hae Sung, der noch immer bei den Eltern wohnt, führt dagegen ein „durchschnittliches“ Leben; Nora wird ihn später einmal als „koreanisch-koreanisch“ beschreiben, im Unterschied zu ihren US-amerikanisch-koreanischen Freunden.
In der fließenden, dynamisierenden Montage, die die voneinander getrennten Figuren regelrecht in die Arme des anderen treibt, legt der Film das ganze Gewicht auf das Verbindende. Bis Nora, die sich durch das starke Band in ihrem Vorhaben ausgebremst sieht, etwas „aufzubauen“, plötzlich den Kontakt abbricht. Kurz darauf lernt sie bei einer Artist-Residency in Upstate New York Arthur kennen, ihren zukünftigen Ehemann.
Die Erfahrungen asiatischer Einwander:innen
Die südkoreanisch-kanadische Dramatikerin Celine Song verarbeitet in ihrem emotional wirkungsvollen Film autobiografische Erfahrungen. Dabei reiht sie sich neben Filmemachern wie etwa Lee Isaac Chung in ein Kino ein, das den Erfahrungen asiatischer Einwander:innen mit nuancierten, aber auch deutlich gefälligen Mitteln zu mehr Sichtbarkeit verhilft. In „Past Lives“ verkürzt sich die Migrationsgeschichte im Wesentlichen auf Noras Ambition, an der die Geschichte einer Trennung erst zum eigentlichen Drama wird. Und indem Song das „eigentliche“ Leben in nur flüchtigen Szenen skizziert und die Erzählung ganz auf die Beziehung zwischen den beiden Figuren konzentriert, stellt sie den filmischen Raum ganz dem Universellen zur Verfügung.
Im dritten Teil, erneut zwölf Jahre später, kommt es in New York zu der physischen Begegnung, auf die alle Erwartungen zusteuern. Song hat ein feines Gespür für die Unsicherheiten und Aufregungen, die das Wiedersehen begleiten: Hae Sungs leichte Panik, bevor er auf seine Kindheitsliebe trifft, das nervöse Herumgezupfe, die suchenden Blicke, die Anstrengung, die ihn der Anschein von Lockerheit kostet. Aber auch Nora, schon allein durch die vertraute Umgebung ungleich souveräner in ihrem Auftreten, ist durch die Wiederbegegnung in ihren vermeintlichen Sicherheiten erschüttert.
Der Film stellt eine „Was wäre, wenn“-Frage nach der anderen, ohne auch nur eine einzige an der Wirklichkeit auszutesten. Die Zurückhaltung und Beherrschung der Figuren verhindert Unglück, aber auch Glück. Wohlig warm richtet sich „Past Lives“ in dieser gepflegten Zone verpasster Möglichkeiten ein.