

- Veröffentlichung27.11.2025
- RegieRosa von Praunheim
- ProduktionDeutschland (2025)
- Dauer85 Minuten
- GenreDokumentarfilm
- Cast
- AltersfreigabeFSK 16
Vorstellungen
Filmkritik
Zu seinem 50. Geburtstag schenkte sich Rosa von Praunheim schon einmal eine Autobiografie als Murder Mystery. Mitten während seiner Rede, in der er unter lauten Buhrufen ankündigte, sich selbst lächerlich zu machen und auszubeuten, wurde der Regisseur auf offener Bühne erschossen. Dreißig Jahre später taucht die Szene aus „Neurosia - 50 Jahre pervers“ (1995) erneut in einer exzessiv spielerischen (Schein-)Autobiografie auf, dieses Mal jedoch als Albtraum.
Geträumt wird er in „Satanische Sau“ vom Filmemacher, der aber eigentlich der Schauspieler Armin Dallapiccola ist und sich zu Beginn des Films als Peter von Mehl vorgestellt hat. Als er nach Luft schnappend erwacht, liegen neben ihm nicht nur seine besten Freunde, ein riesiger Plüschaffe und diverse Kuscheltierschweine, sondern auch ein hübscher Peter (Justus Hermann) und ein nicht weniger hübscher Hans (Nico Ehrenteit). Gegen seinen erbitterten Widerstand lesen die beiden jungen Männer aus seinem Tagebuch vor und kneten dabei seinen kugelrunden Bauch. Die Szene endet im genussvollen Austausch von Schweinereien: „Du himmelschreiende Blume!“, „Du gleitverwöhntes Hammelbein!“, „Du sowjetische Antwort auf das A-Loch!“
Sozusagen post mortem
Eine Parodie und eine Farce seines Lebens nennt der inzwischen 83-jährige schwule Filmemacher und Aktivist seinen überbordend-chaotischen Mix aus Rückschau, Jetztzeit und Zukunfts- beziehungsweise Wiedergeburtsszenario. Es geht um Sex und den unvermeidlich bevorstehenden Tod, der möglicherweise aber auch schon eingetreten ist. „Unser Gespräch ist sozusagen post mortem“, meint Rosa von Praunheim zu seinem Alter-Ego-Darsteller, den er aus dem Off zu seinem Leben befragt. Wobei nicht ganz klar wird, wer das eigentlich sein soll: von Mehl, Dallapiccola oder er selbst, Rosa von Praunheim. Oder eine Komposition aus allen drei „Rampensäuen“.
Das Dallapiccola-Gegenüber erzählt von seiner kriminellen Großmutter, einer Wanderschauspielerin, von ersten sexuellen Erfahrungen, Blowjobs auf der Schauspielschule, der Vergewaltigung durch einen Polizisten und dem Sexleben als „dicker alter Schwuler“ im Zeitalter der Dating-Apps. Auch wenn er niemals mit sich selbst ins Bett gehen würde, sei er unter jungen Männern sehr begehrt. Tatsächlich seien die Begegnungen heute sogar tiefer und umfassender.
Im Kern politaktivistisch
Wie fast alle Filme von Rosa von Praunheim ist auch „Satanische Sau“ im Kern aktivistisch. So sind die Umarmung von Tod und Sau-Sein auch als Aneignung von Diffamierungen und Hassbotschaften zu verstehen, mit denen von Praunheim seit Jahrzehnten überschüttet wurde, in Talkshows des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, in den Schlagzeilen der Boulevardblätter und in Drohbriefen von Nazis, die davon träumten, die Konzentrationslager wieder in Betrieb zu nehmen. Zwischen Filmausschnitten aus „Ein Virus kennt keine Moral“ (1983), „Neurosia“, „Pfui Rosa“ (2002) und „Rosas Höllenfahrt“ (2009) kommt es zu Begegnungen aller Art. Nicht nur mit seiner Mutter und Gestalten in Affenkostümen oder mit Schweinsmasken. Es erscheinen unter anderem ein asexueller Zahnarzt, ein Urologe, ein zudringlicher Fan aus Lüdenscheid und eine erblindete Frau, die den bereits aufgebahrten Rosa in die Hölle wünscht. Wie sich herausstellt, hat sie sich im Begräbnis geirrt und wollte eigentlich zu Ex-Kanzler Schröder und Putin. Den russischen Präsidenten findet von Mehl „so Eighties und schwuchtelig“.
Ernst und Schrecken werden mit skurrilem Witz und burleskem Quatsch bekämpft, Homophobie und heuchlerische Moral mit Rosen im Poloch. Nur die Reinkarnation des Rosa von Praunheim gestaltet sich schwierig. Zwar gibt es einen Fliegenhimmel und auch einen Fahrradhimmel, aber keinen Schweinehimmel, wie ihm ein schwuler Ex-Priester erklärt, der zehn Jahre erfolglos mit der katholischen Kirche um seine Rente gestritten hat und sich innerlich schon auf die Hölle einstimmt.
Mit Tränen in den Augen
Berührende Momente finden sich auch in „Satanische Sau“. Etwa beim Besuch der Nachbarn Conny und Gerd, einem in tiefer Liebe verbundenen Paar, das von Praunheim 2012 in seiner Wohnung befragte. Elf Jahre später, an von Praunheims Stelle sitzt nun sein Alter Ego, ist Conny an seiner Krebserkrankung gestorben. Mit Tränen in den Augen erzählt Gerd vom Leiden des Partners und dem Sterben und dass er sich nach dem schmerzhaften Verlust keine Partnerschaft mehr vorstellen kann.
Tröstlich, dass nichts jemals endet, wie Rosa vom Allmächtigen höchstpersönlich erfährt. Der erklärt auch, dass alles in Wahrheit umgekehrt sei, als man so sagt: Dass also die Guten einfach nur saublöd und naiv sind, während die Bösen gar nicht böse, sondern aus einem Sondertopf entstanden sind. Wenn nichts jemals endet, wird auch Rosa von Praunheim ewig Filme machen; in jedem Fall soll „Satanische Sau“ nicht seine letzte Botschaft sein. „Niemand lebt länger als wir“, betet Rosa mit seinen Bettgefährten und der Mutter im Chor.
