Szene aus Schweigend steht der Wald
Filmplakat von Schweigend steht der Wald

Schweigend steht der Wald

95 min | Thriller, Krimi, Mystery
Tickets
Szene 1 aus Schweigend steht der Wald
Szene 2 aus Schweigend steht der Wald
Szene 3 aus Schweigend steht der Wald
Szene 4 aus Schweigend steht der Wald
Als Anja acht Jahre alt war, ist ihr Vater spurlos verschwunden. Inzwischen ist viel passiert und sie kehrt als Praktikantin der Forstwirtschaft ausgerechnet in das Waldgebiet zurück, in dem ihr Vater zuletzt gesehen wurde. Kurz nachdem sie wieder in ihrer alten Heimat angekommen ist, versetzt ein Selbstmord den Ort in Unruhe. Alle glauben, dass der Tod in Zusammenhang mit dem Verschwinden von Anjas Vater steht. Als als die Forstpraktikantin im Boden des Waldes auf Unregelmäßigkeiten stößt, die weitere Hinweise auf Schuld und Verdrängung liefern, löst das eine Katastrophe aus...
  • RegieSaralisa Volm
  • ProduktionDeutschland
  • Dauer95 Minuten
  • GenreThrillerKrimiMystery
  • TMDb Rating6.9/10 (4) Stimmen

Filmkritik

Der klassische Thriller ist im Kino in die Nische gedrängt worden: In der deutschen Kinolandschaft ist dieses Genre kaum noch vorhanden, während das Fernsehen voll von Ermittlern, Morden und Totschlag ist. Es gibt sie durchaus, nur werden sie kaum wahrgenommen, gehen im Gejammer über die Qualität des deutschen Films unter; mit Genre-Arbeiten gehen wir hierzulande ohnehin sehr schäbig um.

Ausnahmen sind etwa Christian Alvart, der seit seinem Erfolg mit „Antikörper“ (2005) mit langem Atem für diese Form des Kinos kämpft, was mal mehr („Freies Land“), mal weniger gut gelingt („Abgeschnitten“). 2010 ist dem „Dark“-Macher Baran bo Odar mit „Das letzte Schweigen“ ein Psychothriller gelungen, dessen sommerliche Hitze jeden Winkel der Bilder ausfüllte und eine schwitzende Atmosphäre der Bedrohung erzeugte, die gleichsam eine Landschaft des Verbrechens hat aufsteigen lassen.

In der knurrigen Abgeschiedenheit der Oberpfalz

Während Baran bo Odar die Hitze und die weiten Felder Norddeutschlands hervorhebt, atmet Saralisa Volms Romanverfilmung „Schweigend steht der Wald“ die kühl-feuchte Luft der dunklen Wälder. Der Film spielt in der knurrigen Abgeschiedenheit der Oberpfalz, deren besondere, wortkarge Schroffheit sowohl mit den landschaftlichen Gegebenheiten als auch mit der schwierigen ökonomischen Lage des bayerischen Nordostens zusammenhängt. Selbst wenn man Robert Stadlober den Dialekt in seiner Rolle als ermittelnder Polizist nun wahrlich nicht abkauft, ist der Menschenschlag dieser Gegend ziemlich gut getroffen.

Das gilt es insofern positiv hervorzuheben, als das deutsche Kino viel zu selten aus den topografischen Besonderheiten seines Landes schöpft – womit wir wieder bei der Verortung wären, die hier wirklich grandios gelingt; ähnlich wie bei Bettina Oberlis „Tannöd“, in dessen Richtung sich „Schweigend steht der Wald“ bewegt.

Seltsame Messergebnisse im Wald

Anja Grimm (Henriette Confurius) kehrt für ein Praktikum an jenen Ort zurück, wo sie in den 1970er-Jahren mit ihrer Familie Urlaub gemacht hat. Sie soll Bodenproben im Wald entnehmen, den Untergrund kartografieren. Doch sind es weniger die beruflichen Gründe, die bei der jungen Studentin eine Rolle spielen, als vielmehr die Suche nach ihrem verschwundenen Vater. Dort im Wald wurde er das letzte Mal gesehen. Als sie auf seltsame Messergebnisse stößt, glaubt sie des Rätsels Lösung endlich nahe gekommen zu sein und setzt damit eine gewaltvolle Kettenreaktion in Gang. Ein Mord geschieht: Der geistig zurückgebliebene Eigenbrötler Xaver (Christoph Jungmann) bringt, nachdem er erst Anja bedroht, seine eigene Mutter um. Was hat diese Tat mit dem Tod des Vaters zu tun? Und warum will niemand im Dorf offen sprechen? Ein Geheimnis beginnt sich an die Oberfläche zu arbeiten, und Anja schwebt in großer Gefahr, von einer Erinnerungslawine mitgerissen zu werden.

Das Schweigen ragt in Volms Film buchstäblich und hölzern in die Höhe. Die Bäume, deren Äste in die Lüfte ragen, reichen auch tief in den Boden: Der Wald hat ein eigenes, geologisches Gedächtnis; er vergisst nichts. Wenn ein Körper sich zersetzt und vor allem, wenn man versucht, die Überreste eines Menschen mit Kalk aufzulösen, ändert sich die Beschaffenheit des Bodens, wachsen spezifische Pilze und Pflanzen. Wer den Wald zu lesen weiß, kann unzählige Geschichten ans Tageslicht befördern.

Die Natur als eigenständiger Protagonist

In der ersten Hälfte von „Schweigend steht der Wald“ erzählen die Bilder, fährt die Kamera durch das Gehölz, wo die Würmer ihrem immerwährenden Geschäft der Zersetzung nachgehen und den Boden lockern. Wie bereits David Lynch, der zu Beginn seines immer noch faszinierenden „Blue Velvet“ in die Tiefen eines Vorgartens hineinfährt, wo sich Käfer gegenseitig anfallen und auffressen, deutet sich auch in diesem Film das Unheil in jenen Sphären an, die uns zu Füßen liegt. Die Natur wird Volm lange Zeit als einen eigenständigen Protagonisten inszenieren, der sein Flüstern an die Menschen richtet: Egal was ihr in mir auch vergraben habt, ich vergesse nichts. Und Anja wird zum Medium des Waldes.

Dann allerdings ändert der Film ziemlich abrupt seine Richtung, wird vom rätselhaften Thriller zu etwas, was sich auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zur besten Sendezeit abspulen könnte: Das Geheimnis wird ohne große Umschweife preisgegeben, wodurch der Film komplett seine mysteriöse Atmosphäre einbüßt.

Es trudelt aus

Das liegt natürlich an der Vorlage von Wolfram Fleischhauer, der auch das Drehbuch geschrieben hat. Was auf Papier allerdings funktioniert, reißt den Film förmlich entzwei; was als Thriller begonnen hat, trudelt einfach nur noch aus. Die unheimlich-bedrückenden Bilder von Roland Stuprich sind nicht mehr in den Film eingewoben, sondern legen sich als Behauptung auf einen moralisch klar gesetzten Plot. Gelungenes Genre aber behält sich immer eine Ambivalenz, das ist aus dem ziemlich aufregenden, sehr weiblichen Horror-Genre der Gegenwart zu lernen: Es muss unangenehm bleiben, aufwühlen und uns bis nach dem Film verfolgen.

Der Bezug auf die Nazivergangenheit und der Versuch, durch das offene Ende den Film selbst in einem Verschweigen enden zu lassen, ist da schon eher dramaturgischer Standard. Das ist schade, zeugt doch die erste Hälfte von „Schweigend steht der Wald“ von den Möglichkeiten des Genres und vom Talent der Regisseurin. Eine andere Vorlage und mehr Mut, sich von dieser unabhängig zu machen, hätten einen hervorragenden Thriller ergeben. Nun ist es ein Fernsehfilm mit einem – immerhin – starken Beginn geworden.

Erschienen auf filmdienst.deSchweigend steht der WaldVon: Sebastian Seidler (4.1.2024)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
Über Filmdienst.de Filmdienst.de, seit 1947 aktiv, bietet Filmkritiken, Hintergrundartikel und ein Filmlexikon zu neuen Kinofilmen aber auch Heimkino und Filmkultur. Ursprünglich eine Zeitschrift, ist es seit 2018 digital und wird von der Katholischen Filmkommission für Deutschland betrieben. filmdienst.de