









Vorstellungen
Filmkritik
Die Umgebung scheint nicht ungewöhnlich; eine Straße in einer Stadt, wie es sie millionenfach gibt. Doch Nebel lastet wie Blei auf der Szenerie, der Wind ist eingeschlafen und Flocken rieseln wie Schnee sanft zu Boden. Das wäre nicht weiter beunruhigend, wenn Rose nicht allein wäre, mutterseelenallein! Einsamkeit und die daraus resultierende Hilflosigkeit sind wirkungsvolle Topoi des Horrorfilms. Robert Stevens hat das 1959 in der „Twilight Zone“-Episode „Where is Everybody?“ mustergültig vorexerziert, indem er einen Mann durch eine menschenleere Kleinstadt irren ließ. In „Silent Hill“ weiß Rose zunächst gar nicht, wie alleine sie wirklich ist, als sie in die titelgebende Geisterstadt gelangt, die ihre Adoptivtochter Sharon in pathologischen Wachträumen immer wieder erwähnt. Doch statt Heilung für ihre Tochter findet sie nur Nebel und den Ascheregen in einer Stadt, die nach einem Grubenunglück in den 1970er-Jahren abgeriegelt wurde und unter der ein Schwelbrand in den Kohleflözen noch immer giftige Dämpfe produziert. Selbst Sharon erscheint hier plötzlich wie vom Erdboden verschluckt. Wäre da nicht die Polizistin Cybill, die der verzweifelten Mutter folgt, würde Rose auf keinen einzigen „normalen“ Menschen stoßen. Dafür begegnen sie einem dem Wahn verfallenen Weib, das von Tod und Teufel faselt – und bald noch etwas anderem, dass im Bauch der Stadt haust. „Im Phantastischen offenbart sich das Übernatürliche wie ein Riss in dem universellen Zusammenhang. Das Wunder wird dort zu einer verbotenen Aggression, die bedrohlich wirkt, und die Sicherheit einer Welt zerbricht, in der man bis dahin die Gesetze für allgültig und unverrückbar gehalten hat. Es ist das Unmögliche, das unerwartet in einer Welt auftaucht, aus der das Unmögliche per definitionem verbannt worden ist.“ Roger Caillois Definition für das Fantastische aus dem Jahr 1966 findet sich exemplarisch in Roger Avarys Drehbuchadaption von Konamis Computerspiel „Silent Hill“ wieder. Rose ist auf der Suche nach ihrer Tochter in einen solchen Riss der rational erfahrbaren Wirklichkeit geraten und erlebt nun in einer anderen Dimension all das Grauen, das in unserer Welt nur schwer denkbar ist. Ihr Mann Christopher und alle Sheriffs, die sich nach Silent Hill aufmachen, können die Vermissten deshalb nicht finden: sie sind nahe und doch unendlich weit weg. In der „Realität“ im Nebel regiert die Vergangenheit in Form einer Sekte, die einst Hexen für das Leid der Welt verantwortlich machte. Auf der Odyssee in die Dunkelheit muss Rose erkennen, dass das Schicksal von Sharon untrennbar mit dem Kult um die erleuchtete Cristabella verbunden ist. Und als sei ein Riss nicht genug, tut sich noch ein zweiter auf, durch den in Schüben das alles verschlingende Inferno ins Reich des Fantastischen schlüpfen kann. Will Rose ihre Tochter je wieder haben, muss sie in allen drei Dimensionen bestehen und Sharons Geheimnis ergründen. „Silent Hill“ lässt sich mit den herkömmlichen Produkten der aktuellen Horrorfilmwelle nicht vergleichen. Der Film verweigert sich traditionellen sinnstiftenden Erzählmustern ebenso wie klassischem Ekel oder Gruselszenarien. Regisseur Christophe Gans entwirft ein radikales Szenario des Unbehagens, in dem futuristische Welten zwischen den schreienden Porträts eines Francis Bacon und den zum Leben erweckten Albträumen eines Hieronymus Bosch changieren. Das Ergebnis ist weniger Grusel im klassischen Sinne, als vielmehr ein überwältigendes Gefühl absoluter Hilflosigkeit. Selten wurde im Mainstream das Grauen in derart philosophische Höhen getrieben.
