Szene aus Speak No Evil
Filmplakat von Speak No Evil

Speak No Evil

98 min | Drama, Thriller, Horror | FSK 16
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Während ihres Urlaubs in der Toskana knüpfen Bjørn (Morten Burian) und Louise (Sidsel Siem Koch) aus Dänemark Freundschaft mit einer Familie aus den Niederlanden. Diese Verbindung bleibt auch nach dem Urlaub bestehen, daher zögern Bjørn und Louise nicht, als sie Monate später eine Einladung in die Niederlande erhalten. Anfangs verspricht das gemeinsame Wochenende großartig zu werden, doch allmählich beschleicht das Paar das Gefühl, dass etwas nicht stimmt. Die vermeintlich kleinen Missverständnisse entwickeln sich rasch zu tiefergehenden Problemen, und Bjørn und Louise erkennen, dass die vermeintlich nette Freundschaft möglicherweise nur dazu diente, sie in Sicherheit zu wiegen...

Filmkritik

Die beiden Familienväter Patrick und Bjørn fahren mit dem Auto zu einem verlassenen Steinbruch und schreien aus voller Brust in die Kieswüste hinaus. Für Bjørn ist das eine Erleichterung, denn zwischen den beiden haben sich Spannungen angestaut, die es zu zerstreuen gilt. Die beiden Familien haben sich einige Wochen zuvor während eines Italienurlaubs kennengelernt. Patricks kleiner Sohn Abel, der wegen einer genetischen Erkrankung nicht spricht, hat Bjørns Tochter Agnes liebgewonnen, weshalb Patrick und seine Frau Karin die neuen Freunde zu sich in die Niederlande eingeladen haben. Der Besuch der dänischen Kleinfamilie ist bisher aber recht angespannt verlaufen. Bjørn und seine Frau Louise fühlen sich sichtlich unwohl. Sie finden ihre Gastgeber ungehobelt und lieblos, sagen aber aus Höflichkeit lange nichts.

Der gutmütige Bjørn glaubt, das Schrei-Ritual könne therapeutisch wirken und die beiden Männer zusammenschweißen. Doch eigentlich ist es der Anfang vom Ende. Diese Erkenntnis sickert jedoch nur sehr langsam durch. Sie schleicht sich regelrecht in Bjørns Bewusstsein, so als könnte ein kalter Schauer in Zeitlupe den Rücken hinaufkriechen.

Slow Burn Horror

Dieser „Slow Burn Horror“ ist der Hauptmechanismus, an dem der dänische Filmemacher Christian Tafdrup die Inszenierung von „Speak No Evil“ aufhängt. Schon zu Beginn überlagert bedrohliches Dröhnen die sonnendurchfluteten Bilder aus Italien und begleitet den in einem konformen Langweilerleben gefangenen Bjørn zurück nach Hause. Die Langeweile röhrt in seinem Kopf, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis das Dröhnen eine tatsächliche Bedrohung heraufbeschwört.

Die Stärke von „Speak No Evil“ sind die Beziehungs- und Gesellschaftsdynamiken, die langsam aufgebaut und gegeneinander ausgespielt werden. Der nonchalante Patrick und die dauerfluchende Karin sind der dänischen Familie von Anfang an zu laut und zu schroff, doch insgeheim bewundert Bjørn die Selbstverständlichkeit, mit der Patrick nicht nur einfordert, was ihm zusteht, sondern auch all das, was er gerne hätte. Als Bjørn das beim Sightseeing in der Toskana verlorengegangene Kuscheltier seiner Tochter wieder aufspürt, nennt Patrick ihn vor einer Hotelgesellschaft einen Helden. Bjørn wird rot vor Scham und Stolz. Er wäre gerne auch so ein männlicher Beschützer und Macher wie Patrick. Und hofft insgeheim, dass der neue Freund ein wenig auf ihn abfärbt.

Was soll schon passieren

Als nach dem Urlaub die Einladung eintrudelt, widersetzen sich Bjørn und Louise deshalb auch ihrem Bauchgefühl und besuchen die neuen Bekannten. „Was soll schon passieren?“, fragen Freunde zuhause, als Louise ihre Bedenken äußert. Objektiv passiert dann auch kaum etwas, und doch schwillt das Unbehagen zu einer nahezu unerträglichen Bedrückung an.

Nach und nach setzt Tafdrup die Puzzleteile zusammen: Patrick testet von Anfang an aus, wie weit der angepasste Bjørn bereit ist zu gehen, um es anderen recht zu machen. Eine Liege am Pool frei machen, um sie dem freundlichen Fremden zu geben? Klar! Die Rechnung bei einer von Patrick ausgesprochenen Essenseinladung begleichen? Na gut. Die Tochter Agnes beschwichtigen, als die beim Besuch in Abels Zimmer auf dem Boden schlafen soll? Wenn es sein muss. Kann ja lustig sein für die Kinder. Man will die Gastgeber ja nicht brüskieren.

Für alle Unannehmlichkeiten gibt es scheinbar logische Erklärungen. Trotzdem schwebt immer wieder die Frage im Raum, ob Bjørn und Louise sich eigentlich nur anstellen? Oder sind sie wirklich in eine Horrorfalle getappt? Muss Louise als Vegetarierin Fleisch essen, weil Patrick ein Wildschwein grillt? Sind Patricks Erziehungsmethoden einfach nur strenger, oder ist es schon Misshandlung, wenn er den kleinen Abel schroff zurechtweist, weil dieser eine mit Agnes einstudierte Choreografie nicht vortanzen kann? Als Bjørn Abel eines Abends im Garten trifft, reißt dieser seinen Mund weit auf und statt einer Zunge klafft ein schwarzes Loch in seinem Gesicht. Was, wenn Abel nicht so geboren wurde, sondern absichtlich am Sprechen gehindert werden musste?

Bis der Fluchtinstinkt obsiegt

Die Kränkungen und Beleidigungen nehmen immer weiter zu. Bis bei Louise eines Morgens der Fluchtinstinkt einsetzt, als sie Agnes im Ehebett von Katrin und Patrick findet. Bis hierhin haben Bauchgefühl, Höflichkeit, Überlebensinstinkt und gesellschaftliche Konventionen miteinander gerungen und jegliche Rationalität zermürbt. Das kammerspielartige Nervenzerren sitzt also schon tief in den Knochen, wenn der Film zum Ende hin mit der Flucht der Familie in ein überraschend brutales Horrorfinale kippt.

Dramaturgisch ist diese Konsequenz nachzuvollziehen; wie in der Schrei-Szene entlädt sich hier die zuvor angestaute Anspannung unkontrolliert und auf einen Schlag. Emotional hätte Tafdrup darauf verzichten können, denn das Ausloten der persönlichen und gesellschaftlichen Schmerzgrenzen, das Gaslighting und die Unsicherheit, wie weit man sich für andere zurücknehmen können muss, sitzen tiefer, als es die blutrünstige Entladung leisten kann.

„Speak No Evil“ ist ein geradliniger Psychothriller und sadistischer Sozialhorror irgendwo zwischen Ruben Östlunds „Höhere Gewalt“ (2014), der den Männlichkeitsmythos vom Familienbeschützer herausfordert, und Michael Hanekes Home-Invasion-Horror „Funny Games“ (1997), der nachhallt, wenn Bjørn Patrick letztlich fragt: „Warum tust du das?“ Ohne mit der Wimper zu zucken, antwortet der: „Weil du mich gelassen hast.“

Erschienen auf filmdienst.deSpeak No EvilVon: Sofia Glasl (26.1.2024)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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