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Filmplakat von The Trouble with Being Born

The Trouble with Being Born

97 min | Drama, Science Fiction
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Elli ist ein Android und lebt mit einem Mann zusammen, den sie ihren Vater nennt. Gemeinsam lassen sie sich durch den Sommer treiben. Tagsüber schwimmen sie im Pool und nachts bringt er sie ins Bett. Sie teilt seine Erinnerungen und alles andere, was er ihr einprogrammiert, damit sie sich daran erinnert. Erinnerungen, die ihm alles, aber ihr nichts bedeuten. Doch eines Nachts macht sie sich auf den Weg in den Wald und folgt einem verklingenden Echo... Die Geschichte einer Maschine und der Geister, die wir alle in uns tragen. (Quelle: Verleih)

Filmkritik

„Vom Nachteil geboren zu sein“: An diesen Buchtitel des französisch-rumänischen Philosophen Emil Cioran erinnert der Titel des Films von Sandra Wollner. Die Anspielung auf die Gedankenwelt des pessimistischen Denkers drängt sich immer stärker auf, je länger sich „The Trouble of Being Born“ entfaltet und die häusliche Idylle einer Tochter-Vater-Beziehung in ein Szenario verwandelt, das Elemente des Horrorkinos enthält, aber auch des Science-Fiction- und des Coming-of-Age-Dramas, obwohl der Film im Kern als fiktionales Essay vom Wesen menschlicher Erinnerung handelt.

Am Anfang ist davon noch nichts zu ahnen, und die Erfahrung, in der sich der Plot zu erkennen gibt, ist eine auf allen sinnlichen Ebenen. Zunächst sind es kleine Irritationen: Aus tiefem Schwarz heraus löst sich ganz sanft und langsam das erste Bild. Dann tritt die Kamera aus einem Birkenwald heraus auf eine Lichtung. Ein heranwachsendes Mädchen erzählt aus dem Off, während die Kamera subjektiv und scheinbar mit klarem Ziel, aber irgendwie schwerelos durch den Wald streift. Vögel zwitschern, es ist Spätsommer. Dann – und dies ist die erste große Irritation – sieht man Vater und Tochter am Pool und begreift, dass zwar die Off-Stimme der Tochter gehört, aber nicht der subjektive Kamerablick. Ein unmögliches Bild?

Schwimmend wie ein Gegenstand

Die Tochter erzählt von diesem schönen Sommertag: „Ich war so lange im Wasser, dass meine Finger ganz schrumpelig waren und meine Lippen ganz blau.“ Dann folgt die zweite Irritation, denn nun entdeckt der Vater seine Tochter im Wasser. Kopfüber, ohne Kontakt zur Atemluft, geradezu leblos schwimmt sie da; wie ein Gegenstand. Die Art, wie der Vater darauf reagiert, verrät, dass etwas nicht stimmt.

So geht es weiter. Zärtlich, vertraut, von gemeinsamen Erinnerungen durchzogen ist die Beziehung der beiden, die hier offenbar einen langen, vermeintlich endlosen Feriensommer erleben. Aber immer wieder kommt es zu kleinen Merkwürdigkeiten – wie dem Verweis auf einen Aufenthalt in Belgrad „vor zehn Jahren“, an den sich ein elfjähriges Mädchen kaum erinnern kann. Die Mutter ist abwesend. Lebt sie überhaupt noch?

Je genauer man hinsieht, umso eher wird klar: Elli, die vermeintliche Tochter, ist eine Maschine, ein Android. Ihre Menschenähnlichkeit ist so perfekt, dass sie auch noch die Aufsässigkeit eines jungen Mädchens besitzt, eine Art eigenen Willen. Was sich genau dahinter verbirgt, bleibt lange unklar. Elli ist klug und aufgeweckt. Aber sie scheint auch immer recht naseweis zu sein. Es liegt eine seltsame Reserve zwischen ihr und dem Mann, den sie „Vater“ nennt. Es scheint auch Geheimnisse zu geben, ein verborgenes Wissen, das beide verbindet, das aber nicht ausgesprochen werden darf.

Bedrohung & schutzbedürftige Wesen

Das Thema des künstlichen Menschen gehört seit nahezu den Anfängen zu den großen Topoi des Kinos. Beginnend mit Paul Wegeners Der Golem, wie er in die Welt kam und Fritz Langs Metropolis, in dessen Zentrum bereits eine sexualisierte Maschinen-Frau steht, bis zur Gegenwart ist dieser Maschinenmensch immer zugleich Bedrohung angesichts seiner Überlegenheit gegenüber seinem Schöpfer wie auch schutzbedürftiges Wesen, das sich in der menschlichen Welt nur eingeschränkt zurechtfindet.

Das Maschinenmenschen-Sujet kreist dabei vor allem um zwei Urgeschichten: zum einen um die „Künstliche Intelligenz“ (KI) und damit die Frage, was den Menschen eigentlich ausmacht und fundamental von einer Maschine unterscheidet. Und zweitens um die Frage, welchen Platz solche Android-Roboter in unserem Leben haben (sollen).

Die österreichische, in Berlin lebende Regisseurin Sandra Wollner erzählt diese Geschichte in ihrem zweiten Spielfilm komplett aus der Sicht des Roboters, einem Wesen in Teenagergestalt. Damit ist „The Trouble with Being Born“ ein klassischer Coming-of-Age-Stoff. Denn auch für diese Künstliche Intelligenz geht es um die Bewusstwerdung und Bewusstseinswerdung. Elli will lernen; sie versucht, die Menschen zu verstehen. Sie studiert ihr Verhalten.

So ist das Besondere an diesem Film, dass die Unheimlichkeit eine wechselseitige ist: Nicht nur den Zuschauern und ihrem Vater ist das Roboterkind seltsam ungreifbar, weil unfassbar und dadurch unheimlich, sondern umgekehrt ist auch etwas an den Menschen für Elli schaudernd unbegreiflich. Elli blickt auf alles durch die Linse der Einsamkeit. Sie will und weiß zwar nur, was ihr einprogrammiert wurde, aber paradoxerweise scheint sie zu erkennen, dass sie ein Objekt ist, kein Mensch.

Ellis Einsamkeit steht im Zentrum

Vor allem jene unendliche Einsamkeit steht im Zentrum des Films. Sie wird noch dadurch gesteigert, dass die Erkenntnis von Ellis Austauschbarkeit mit fortschreitender Filmdauer immer deutlicher wird. Denn eines Nachts taucht im Sommerhaus eine zweite Elli auf. Sie ist etwa Anfang 20 und offenbar die vor zehn Jahren verschwundene Tochter. Aber es bleibt unklar, ob es sich bei dieser Elli womöglich auch um einen Androiden handelt. Existiert die „Mutter“ überhaupt? Am Rande wird auch angedeutet, dass die beiden Ellis womöglich als Objekt für die sexuellen Begierden des „Vaters“ fungieren – wobei der Film dies sehr im Vagen hält, was damit auch in den Augen der Betrachter bleibt.

Hier wird ein weiterer klassischer Aspekt des Robotermotivs berührt, ihre Sexualisierung. Und damit verbunden die Frage, ob man sich den intelligenten Maschinen gegenüber moralisch verhalten kann oder sogar muss? Oder ob sie reine Objekte sind, im klassischen Sinn wie ein Möbelstück oder ein Gefäß? In jedem Fall macht „The Trouble with Being Born“ klar, dass Maschinen Ersatzbefriedigungen sind, die die Wünsche ihrer Besitzer spiegeln.

Das wird noch viel deutlicher, nachdem die Geschichte eine neuerliche Wendung nimmt: Android-Elli hat offenbar den Erzählungen ihrer älteren „Schwester“ zugehört und bricht eines Tages wie diese auf in den Wald. Märchenmotive schwingen hier mit wie das romantische Muster des „Aufbruchs in die Welt“, das rebellische Ausreißertum, die Flucht aus dem Gefängnis des Tochterseins – in jedem Fall ist es ein Akt der Emanzipation und des Erwachsenwerdens.

Ein paar Eingriffe machen „Elli“ zu „Emil“

Doch bald holt die Realität den Traum der Maschine ein: Ein Autofahrer greift das Roboter-Mädchen auf und schenkt es seiner alten Mutter. Durch ein paar maschinenbauliche Eingriffe wird Elli nun zu „Emil“, der als Ersatz für den vor 60 Jahren verschwundenen Bruder der Alten herhalten soll. Auf subtile und ironische Art streift Sandra Wollner hier sogar die Transgender-Thematik: Ein Roboter hat kein Geschlecht; so wenig „Elli“ Elli ist, so wenig ist der Android Mädchen oder Junge. Weil er ein Objekt ist, ist sein Geschlecht Wahl seines Besitzers.

Sandra Wollner gehört zu jenen Filmemacherinnen aus Österreich, bei denen man zwar unwillkürlich an Michael Haneke denken muss, doch dieser Gedanke führt eher in die Irre. Die Gemeinsamkeit des Österreichischen liegt hier weniger im Interesse an einem Bild der (bürgerlichen) Gesellschaft, weniger in einer behaupteten „Perversion“ oder in einem Faible für das Schräge, Böse, Absonderliche, Wahnsinnige, Hässliche. Sondern in einer Konsequenz des Schauens, Inszenierens und Erzählens, die dem größten Teil des deutschen Kinos, weit über den Mainstream hinaus, unverständlich ist.

Was man sich oft als „Kälte“ oder gar „Zynismus“ österreichischen Filmemachens vom Leibe halten will, erweist sich gerade bei Sandra Wollner als Empathie anderer Art. Klassische Plotpoints und Stichworte wie „Identifikation“, „Logik“ oder „menschlicher Faktor“ treten bei ihr gegenüber dem Atmosphärischen zurück.

„The Trouble with Being Born“ ist formal streng gehalten und arbeitet oft mit langen Einstellungen und sparsamen Dialogen. Zugleich ist sein Blick tastend und experimentell, deutlich an neuem Terrain interessiert. Es gibt immer wieder langsame, vorsichtige Drehungen der Perspektive, des Sinns, der Stimmungen und Beziehungen. Es überwiegt die Unsicherheit der Figuren. Visuell bedienen sich Wollner und ihr Kameramann Timm Kröger eindeutig aus dem Arsenal des Horrorfilms. Zur besonderen Atmosphäre des Unheimlichen und der Verstörung trägt auch das Tondesign viel bei. Trotzdem ist „The Trouble with Being Born“ kein Horrorfilm. Sondern eine Betrachtung über die Rolle, die Erinnerungen für das Wesen des Menschen spielen.

Ellis Vater und die alte Frau, die ihrem Bruder nachtrauert, sind Gefangene der Erinnerung und einer Vergangenheit, die nicht vergehen will, weil diese Menschen sie nicht loslassen, sondern fortwährend reproduzieren. Das, was man als Ellis Persönlichkeit wahrnehmen kann und mit dem Roboter mitfühlen lässt, resultiert aus komplett künstlich erzeugten Erinnerungspartikeln. Sind wir Menschen am Ende genau das? Oder etwa im Gegenteil der Akt, der uns diese Erinnerung abstreifen lässt?

Sind Maschinen die besseren Menschen?

An den Fragen, was Menschen zu Menschen und Maschinen zur Maschinen macht und ob Maschinen nicht die besseren Menschen sind, ist Sandra Wollner genauso interessiert wie Maria Schrader in ihrer Komödie Ich bin dein Mensch. Wollner geht mit diesen Themen allerdings ganz anders um und auf einem ganz anderen Niveau. Sie bewertet ihre Figuren nicht, sondern sieht ihnen einfach zu. Sie zeigt die Dialektik der Robotik: dass ein Roboter gerade dadurch unperfekt wird, dass ihm Momente des Imperfekten und Überraschenden komplett fehlen.

So gesehen erzählt dieser herausragende, stilsichere und in jeder Hinsicht originelle Film einmal mehr vom Emanzipationsprozess einer Maschine. Die Schilderung der „Geschichte“ der Maschine handelt auch davon, was menschliche Individuen und individuelle Maschinen möglicherweise gemeinsam haben: Beide sind immer auf der Suche. Und sie müssen immer wieder aufbrechen, selbst wenn dieser Aufbruch ins Nirgendwo führt.

„Ellie“ lässt daran teilhaben, dass sich zu verirren und zu verlieren auch ein besonderes Potenzial des Kinos ist, das man nicht geringschätzen und schon gar nicht abwehren sollte. Gleichzeitig führt „The Trouble With Being Born“ vor Augen, was die wahre Horrorvision sein könnte: Maschinen, die empathischer sind als Menschen und dadurch sympathischer erscheinen und moralisch wertiger. In jedem Fall holt Sandra Wollner den Schrecken zurück in die Erzählungen vom Aufstieg der Maschinen.

Erschienen auf filmdienst.deThe Trouble with Being BornVon: Rüdiger Suchsland (31.1.2022)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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