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Filmkritik
Einmal ziehen die Schatten von Chatila (Mahmoud Bakri) und Reda (Aram Sabbah) über eine rissige Hausfassade. Das Bild trifft die Stimmung des Films und seiner Figuren. Die beiden Palästinenser sind aus einem Flüchtlingslager im Libanon aufgebrochen und stecken jetzt in Athen fest, obwohl die Stadt nur eine Zwischenstation auf dem Weg nach Deutschland sein sollte. Reda und Chatila sind da und gleichzeitig nicht da. Zwei Verlorene, ganz unten, irgendwo am Stadtrand. Sie treiben sich an schummrigen Orten herum, in okkupierten Baracken, die mit Graffitis übersät sind. Als Straßendiebe wollen sie das nötige Geld für gefälschte Pässe und Flugtickets zusammenkratzen.
Straßendrama meets Thriller
Regisseur Mahdi Fleifel, der selbst in einem libanesischen Flüchtlingslager geboren wurde, weiß, wovon er spricht. 2012 hat der dänisch-palästinensische Filmemacher den Dokumentarfilm „A World Not Ours“ über dieses Flüchtlingslager gedreht. Sein erster Spielfilm, dessen Drehbuch er zusammen mit Fyzal Boulifa geschrieben hat, spinnt die dokumentarische Arbeit als sozialkritische Fiktion mit Hang zum Genrekino weiter. „To a Land Unknown“ beginnt als melancholisches Straßendrama, doch dann biegt die Geschichte Richtung Thriller ab.
Reda und Chatila sind Cousins mit unterschiedlichem Naturell. Chatila ist entschlossen, die Moral über Bord zu werfen, wenn es um das eigene Fortkommen geht. Reda ist der Schwächere, der mit seiner Drogenabhängigkeit kämpft und bei dem sich Gewissensbisse regen, weil die beiden in ihrer Not kriminelle Taten begehen. Gleich zu Beginn des Films rauben sie eine ältere Frau aus. „Wir sind schlechte Menschen“, klagt Reda später. Doch der Traum von einem eigenen Café und davon, Chatilas Frau und seinen Sohn nachzuholen, erfüllt sich nicht von allein.
Ein Goldfisch im Glas
Mahdi Fleifel manövriert die beiden Protagonisten ins Zwielicht. Jeder Strohhalm muss ergriffen werden, auch wenn dies die persönlichen Überzeugungen nach und nach schleift. An einer moralischen Bewertung ist der Regisseur dabei aber nicht interessiert. Er zeigt, was ist, und greift dafür auch auf dokumentarische Mittel zurück. Man muss an die Filme des italienischen Neorealismus oder die der französischen Nouvelle Vague denken, wenn Reda mit einem Skateboard unterwegs ist oder die von Thodoris Mihopoulos geführte 16mm-Kamera den Figuren durch schmale Gassen und in vermüllte Hinterhöfe folgt. Chatila in einer Trainingsjacke, Reda im abgetragenen Pullover, beide vom täglichen Überlebenskampf gezeichnet. Einmal sieht man im Hintergrund einen Goldfisch in einem Glas, ein andermal einen Vogel in einem Käfig – plakative und unmissverständliche, aber treffende Metaphern für die Ausweglosigkeit der geschilderten Situation. Musik setzt nur selten ein; erst als die Cousins die örtlichen Schleuser mit einer gewagten Aktion berauben wollen, transportiert ein Synthesizer-Score die Anspannung, die nach einer Phase des dramaturgischen Stillstands den finalen Akt dominiert.
Dass Reda und Chatila auch in der Grauzone menschlich handeln wollen, zeigt ihre Begegnung mit dem 13-jährigen Malik (Mohammad Alsurafa). Der Junge aus Gaza wäre längst bei seiner Tante in Italien, wenn ihn die Schlepper nicht übers Ohr gehauen hätten. Jetzt sucht er einen Schlafplatz. Auch hier stellt der Film die Figuren nicht besser dar, als es die Umstände zulassen. Anfangs wimmeln die beiden Malik ab, weil sie es auch ohne ihn schon schwer genug haben. Doch ganz allein lassen die Cousins den Jungen dann doch nicht. Chatila wittert sogar eine Chance, Kapital aus dessen Schicksal zu schlagen. Seine alkoholkranke Straßenbekanntschaft Tatiana (Angeliki Papoulia) soll Maliks Mutter mimen und ihn im Flugzeug nach Italien begleiten – wo das Geld der Tante wartet.
Anschluss ist nicht erreichbar
Es ist eine bewundernswerte Wendung des Drehbuchs, dass der Ausgang dieses Unterfangens offenbleibt. Als Malik und Tatiana in Thriller-Manier den Flieger besteigen, verschwinden sie zugleich aus dem Film. Die Erzählung lässt die Zuschauer ebenso im Ungewissen wie Chatila und Reda. „Dieser Anschluss ist nicht erreichbar“: Mehr erfahren sie auch bei wiederholten Kontaktversuchen nicht. Dass Malik und Tatiana, die zuvor als wichtige Nebenfiguren in Erscheinung getreten sind, einfach so abhandenkommen, zahlt auf die bittere Bestandsaufnahme des Films ein.
Einen echten, beständigen Zusammenhalt gibt es in „To a Land Unknown“ nur zwischen Chatila und Reda, die der Film als Schicksalsgemeinschaft aneinanderbindet. Die Impressionen eines gemeinsamen Marsches durch einen kargen Landstrich, mit denen „To a Land Unkown“ eröffnen, machen die innige Verbundenheit der Männer intuitiv spürbar. Die gegenseitige Unterstützung lässt inmitten der Misere Zuversicht aufblitzen. „Was haben wir denn außer uns?“, bringt Reda das Herz des Films einmal auf den Punkt. Wenn Malik in einem Einkaufswagen über den Asphalt saust und die Kamera auf das lachende Gesicht des Jungen fokussiert, ist das einer der raren Glücksmomente, der bildhaft deutlich macht, warum die Gestrandeten immer weiterkämpfen und allen Widrigkeiten verzweifelt trotzen.
