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Filmkritik
Wenn ein Baum im Wald umfällt, ohne dass jemand es bemerkt, macht er dann ein Geräusch? Wenn ein Mensch stirbt und nichts von ihm bleibt, hat er dann je gelebt? Der Abspann von „Train Dreams“ läuft und der wunderschön traurige Originalsong von Bryce Dessner und Nick Cave mag einem solch kindisch ernste Fragen in den Kopf pflanzen. Das Lied steigt auf aus den Tiefen von Clint Bentleys und Co-Autor Greg Kwedars imaginierter, schwermütiger Welt – wunderschön traurig auch sie. Es wäre so befreiend, die poetischen Pranken abzuschütteln, die einen noch einmal in sie hineinzerren wollen, und in den leichten, oberflächlichen Alltag zurückzukehren, und doch auch so ernüchternd. Wie ein gespenstischer Traum, in dem man die Geister liebt, die einen verfolgen, vermag „Train Dreams“ noch lange nachzuhallen.
Aber so wundervoll dieses melancholische Filmmeisterwerk auch sein mag, das Wunder, die wahre Geschichte eines spurlos verstorbenen Menschen zu erzählen, vermögen auch Bentley und Kwedar nicht zu bewerkstelligen. Mit „Train Dreams“, nach der gleichnamigen, für den Pulitzer-Preis nominierten Novelle des 2017 verstorbenen US-Autors Denis Johnson, versuchen sie es dennoch. In surreal schwankenden Bildern fantasieren sie eine eigenwillige Welt, die mit schleichender Schönheit in unsere hineindiffundiert, bis sich die Träume des erfundenen Protagonisten kaum noch von unseren eigenen ablösen lassen.
Ein Amerika der Einsamkeit
Gleichsam aus dem Nichts taucht Robert Grainier darin auf, im Alter von sechs Jahren von irgendwem irgendwo in einen Zug gesetzt, wächst er gegen Ende des 19. Jahrhunderts bei Adoptiveltern in Idaho auf. Wer seine biologischen Eltern waren, erfährt er nie. Als erwachsener Mann lebt Robert ein einfaches, einsames Leben. Joel Edgerton verleiht ihm dazu den passenden, kargen Gesichtsausdruck, der sich kaum einmal verändert und in dem sich doch so vieles abzeichnet. Als Holzfäller reist er ziellos durch Amerika, umgeben von anderen einsamen Männern aus allen Teilen der Welt. Im Laufe der Jahre schließt er manche Bekanntschaften, bleibende Freundschaften erwachsen daraus nie. Immer wieder erlebt er, wie andere Arbeiter scheinbar aus heiterem Himmel ums Leben kommen: von einem Baum erschlagen, erschossen. Nur ihre Arbeitsschuhe, die an den nächsten Baum genagelt werden, erinnern an sie. Einmal wird er Zeuge, wie ein chinesischer Arbeiter im Streit von zwei anderen von einer Brücke in den Tod gestoßen wird. Seitdem verfolgt ihn der Tote in seinen Träumen.
Kurze Tage des Glücks
Robert bleibt ein Fremder im eigenen Leben, bis er Gladys (Felicity Jones) und mit ihr die Liebe kennenlernt. Sie bauen ein Blockhaus an einem idyllischen Bach, bekommen ein Kind. Es sind nur wenige, unwirklich glückliche, lichtdurchflutete Tage, die er zwischen der Waldarbeit zu Hause verbringt, bis ihm ein Waldbrand alles nimmt. Die Hütte brennt nieder, Gladys und die kleine Kate sind verschwunden. In seinen Träumen aber kehren sie zurück und in seinen Erinnerungen, als würden sich die Zeiten, das Gestern und Heute, durchdringen wie nachlässig abgetragene Sedimente. Fast unversehens verwandelt sich die Welt um Robert, der zwar älter wird, doch im Grunde stets derselbe bleibt, verhaftet in den alten Tagen seines kurzen Glückes. Hochhäuser entstehen, Fernseher, Telefone; Raumschiffe fliegen zum Mond.
Tranceartige Poesie
Eine tiefe, ruhige Erzählerstimme führt durch Roberts schweigsames Leben und verbindet die tranceartige Poesie im Stile Terrence Malicks mit bizarren Elementen, die eher an Wes Anderson erinnern. Dass Bentley und Kwedar, die schon für Bentleys erste beide Spielfilme, „Jockey“ und „Sing Sing“, das Drehbuch zusammen verfassten, das Geschehen aus der Romanvorlage um zwanzig Jahre nach hinten verlagern, sodass Robert erst 1968 stirbt, lässt ihn am Ende wie einen Zeitreisenden erscheinen. Kein einziges Mal hat er in seinem achtzigjährigen Leben in einen Telefonhörer gesprochen, heißt es im Roman und im Film gleichermaßen. Den Film aber enthebt das vollends der Realität, als würden die fragilen Trennwände sich auflösen zwischen Illusion und Wahrhaftigkeit, den Lebenden und den Toten und für die, die sich dem hingeben mögen, auch zwischen Roberts Träumen und den eigenen.
