Szene aus Unser Fluss ... Unser Himmel
Filmplakat von Unser Fluss ... Unser Himmel

Unser Fluss ... Unser Himmel

117 min | Drama, Kriegsfilm, Spielfilm | FSK 12
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Inmitten der extremen Gewalt 2006 in Bagdad kämpft Sara, eine alleinerziehende Mutter und Romanautorin (dargestellt von Darina Al Joundi), gegen den Zusammenbruch ihrer Welt an, nachdem ihre christliche Nachbarin und beste Freundin Sabiha (gespielt von Badia Obaid) vertrieben wurde. Selbst die Hinrichtung von Saddam Hussein bringt für Sara und die Menschen in ihrer Nachbarschaft keine erlösende Nachricht. Die Zukunft bleibt weiterhin ungewiss, aber Sara und ihre Mitstreiter lassen sich ihre Hoffnung nicht nehmen.

Filmkritik

In ihrem ersten langen Spielfilm blickt die irakische Drehbuchautorin und Regisseurin Maysoon Pachachi auf den Winter 2006 in Bagdad zurück. Drei Jahre nach dem Einmarsch der sogenannten „Koalition der Willigen“ unter Führung der US-Streitkräfte, die zum Sturz des Diktators Saddam Hussein führte, steckt der Irak in einer tiefen Krise. Angriffe gegen die ausländischen Truppen, Bombenanschläge von Extremisten, Gefechte zwischen schiitischen und sunnitischen Milizen, Ausgangssperren, Entführungen und Gewaltakte halten die Bevölkerung in Atem.

Die Atmosphäre einer permanenten Bedrohung prägt auch den Alltag der alleinerziehenden Schriftstellerin Sara (Darina Al Joundi). Sie lebt mit ihrer achtjährigen Tochter Reema, ihrer Mutter Nermeen und ihrem Bruder Yahya zusammen, der als Baugutachter tätig ist. Sara, die über US-amerikanische Literatur promovierte, leidet unter einer Schreibblockade, weil sie keine passenden Wörter findet, um den Horror und die Traumata des Krieges zu beschreiben. Anstelle dessen schreibt sie Briefe für die Nachbarn auf Englisch an die US-Armee in Bagdad.

Enge Kontakte zur Nachbarschaft

Die warmherzige Frau pflegt enge Kontakte und Freundschaften zu ihrer Nachbarschaft. So etwa mit der Christin Sabiha (Badia Obaid), die gerade einen Weihnachtsbaum aufgestellt hat und deren Tochter Nour mit Saras Tochter Reema befreundet ist. Auf der anderen Straßenseite lebt der Taxifahrer Kamal (Basim Hajar), ein ehemaliger Kriegsgefangener, der sich gefälschte Dokumente beschafft, um als Buchhalter zu arbeiten. Mit ihm wohnen seine hochschwangere Frau Mona, ihre Mutter Nermeen und ihr Bruder Kareem (Zaydun Khalaf). Der spielt regelmäßig Schach mit dem wortgewandten Nabil (Sami Al-Ali), der an einen Rollstuhl gefesselt ist. Nabils verbitterte Schwester Dijla (Meriam Abbas) ist wiederum eine Vertraute von Sara.

Die ruhige Kamera von Jonathan Bloom bleibt meist nahe an den Figuren und folgt ihnen auf ihren Wegen durchs Viertel, auf denen sie ständig mit zerstörten Häusern, Autowracks oder manchmal auch mit Toten konfrontiert werden. Die Gewalt wird in der Regel nur indirekt gezeigt; so hört man eine Bombenexplosion und sieht Splitter, Qualm und Feuer. Über den Häusern sind in der Ferne häufig Rauchsäulen zu erkennen, die weitere Gefechte anzeigen. US-amerikanische oder britische Soldaten erscheinen nicht im Bild; ihre umstrittene Anwesenheit erschließt sich aber dadurch, dass im Radio von Beschwerden der Bürger über das Vorgehen der US-Armee zu hören ist.

Durch scheinbar beiläufige Beobachtungen erfährt man, wie stark die Korruption das Alltagsleben in Bagdad beeinträchtigt. So arbeitet Kareem in einer Bäckerei, die nur geöffnet bleiben kann, weil er Schutzgelder zahlt. Und Yahya quittiert schließlich seinen Job als Bauprüfer, weil seine Kollegen einen Neubau genehmigen, der mit minderwertigen Materialien erstellt wurde und wahrscheinlich schon in einigen Monaten einstürzen wird.

Sarkasmus, Humor, Widerstandsgeist

Die 1947 geborene Filmemacherin Maysoon Pachachi studierte Regie an der London Film School. Seit 1994 realisierte die Tochter des irakischen Politikers Adnan Pachachi zahlreiche Dokumentarfilme und unterrichtete Regie und Schnitt in England und Palästina. Die politisch engagierte Filmemacherin thematisiert in „Unser Fluss… Unser Himmel“ extremistische Ideologien, die mit Intoleranz und Hassbotschaften gegen Andersgläubige das Leben im Irak vergiften. Sie porträtiert aber auch Sarkasmus, Humor und Widerstandsgeist, mit denen die Bevölkerung den Zumutungen begegnet. Als Reema ihrer Mutter berichtet, dass sie in der Schule gefragt wurde, ob sie Sunnitin oder Schiitin sei, rät die Mutter: „Sage immer, dass du Irakerin bist."

Eines Morgens entdeckt Sara Drohbotschaften, die an ihr Haus geschmiert wurden. Ein namenloser Fährmann zieht nicht zum ersten Mal eine tote junge Frau aus dem Tigris, deren Gesicht und Arme mit Schriftzeichen übersät sind. Und der alte Abu Haider wird darauf aufmerksam gemacht, dass sein Sohn verdächtige Päckchen transportiere – ob für kriminelle Banden oder Terrormilizen, bleibt offen.

Angesichts der nervenaufreibenden Bedrohungslage stehen nicht nur Sabiha und Yahya, sondern auch Sara und ihrer Tochter vor der Frage, ob sie den Irak verlassen sollen. Bei einer Bootsfahrt auf dem Tigris wird Sara sich aber auch der Schönheit ihrer Heimat und der schmerzlichen Verluste bewusst, die ein Weggehen mit sich bringen würde.

Lebhaftes Drama mit vielen Figuren

Pachachi gestaltet „Unser Fluss… Unser Himmel“ als lebhaftes Multi-Figurendrama auf den Spuren von „Short Cuts“ (1993), ohne die Verbindungen zwischen den Figurengruppen so eng und kunstvoll wie Robert Altman in seinem stilbildenden Klassiker zu zeichnen. Sie verknüpft die einzelnen Episoden nur lose und behält stets eine gewisse Distanz zum Geschehen, dessen Bedeutung auch nicht immer aufgelöst wird. Es fällt auch nicht immer leicht, den Überblick über die mehr als 15 Protagonisten zu wahren.

Erschienen auf filmdienst.deUnser Fluss ... Unser HimmelVon: Reinhard Kleber (21.11.2023)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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