






Vorstellungen
Filmkritik
Durch den pechschwarzen Raum schweben feine, weiße Teilchen, der Grund funkelt wie ein Meer aus Diamanten. Die beiden Männer in den Overalls, auf die der Lichtschein fällt, sind keine Kosmonauten, auch ist der Raum, in dem sie ihre erschöpften Glieder ausruhen, keine Galaxie. Eng ist es an diesem Ort hunderte Meter unter der Erde, dumpf der Klang.
Viet und Nam lieben sich. In einer Mine im Norden Vietnams arbeiten sie unter Tage, auf ihren Gesichtern klebt dichter Kohlestaub. Das Bergwerk zeigt sich in „Viet und Nam“ jedoch weniger als Schauplatz harter, ausbeuterischer Arbeit denn als allegorischer Raum, eng verbunden mit den nationalen Traumata. In der Erde liegen nicht nur Ressourcen verborgen, sondern unzählige Leichen von Soldaten, die im Krieg verschollen gingen. Namen und Daten der „Märtyrer“ genannten Männer werden im Fernsehen verlesen, vielleicht könnte irgendjemand etwas über ihren Verbleib wissen: Damit die Familien die rastlosen Toten endlich begraben und erlösen können. Auch Nam hat seinen Vater nie gekannt. Seine Präsenz ist dennoch allgegenwärtig. Nachts wandelt er in den Träumen seiner Mutter Hoa umher, anhand der Spuren versucht sie ein Bild des Orts zu konstruieren, an dem er zu Tode kam. Und Nam erscheint der Vater sogar beim Sex mit seinem Geliebten.
Bei Tageslicht geben sie vor, Brüder zu sein
Der „Dark Space“ des Bergwerks ist für Viet und Nam auch ein Ort, an dem sich ihre Körper und Münder verknoten, hier können sie sich ungesehen von der Außenwelt lieben, während sie oben, bei Tageslicht, vorgeben, Brüder zu sein. Und dann ist der Raum unter der Erde noch mit einem weiteren Schwarz verbunden, denn Nam plant, in einem Schiffscontainer das Land zu verlassen und im Ausland ein neues Leben zu beginnen. Ein Mann weist eine Gruppe bei einer Art Probelauf in die gefährliche Unternehmung ein.
In langen, unbewegten Einstellungen und monologischen Passagen entfaltet der vietnamesische Filmemacher Truong Minh Quý eine hypnotische Zwischenwelt. Kohle und Sternenstaub, der Schacht eines Bergwerks und der offene Raum liegen so nah beieinander wie Wirklichkeit, Erinnerung und Traum, Vergangenheit und Gegenwart. Der Titel des Films trennt das Land; auch das Liebespaar, das in der glitzernden Kohle miteinander schläft und sich den verrußten Schmalz aus den Ohren zieht, um ihn sanft in den Mund zu schieben, wird getrennte Wege gehen. „Viet und Nam“, der Film, teilt sich in zwei Hälften.
Zusammen mit Nam und einem einarmigen Veteranen, der Seite an Seite mit ihrem Mann gekämpft hat, macht sich Nams Mutter Hoa auf den Weg in den Dschungel. Auch andere irren auf der Suche nach den menschlichen Überresten ihrer Männer und Väter durchs Land. Sie klammern sich an die Dienste einer Hellseherin im pinkfarbenen Mantel, die aus ihrer Verzweiflung ein gutes Geschäft macht und vorgibt, mit den Toten in guter Verbindung zu stehen. Manchmal wird unter Tränen ein Stück Schlamm begraben, das zuvor einmal Fleisch oder ein Kopf gewesen sein soll.
Vieles wird im Unbestimmten belassen
Geisterfilm, queere Liebesgeschichte, Aufarbeitung der Kriegstraumata und Fluchtgeschichte: „Viet und Nam“, gedreht auf körnigem 16mm-Material, setzt sich aus einer Vielzahl an Elementen zusammen. Truong Minh Quý verknüpft sie durch visuelle wie akustische Analogien, ohne jemals überdeutlich zu werden. Vieles wird im Unbestimmten belassen, nur punktuell streut Minh Quý zeitliche und räumliche Markierungen ein. Bei der Fahrt ins Bergwerk berichtet ein Arbeiter von den Fernsehnachrichten und spielt auf den Anschlag auf das World Trade Center an.
In den engen Bildausschnitten wirken die Figuren isoliert, nur selten gibt es Totalen und Konkretion. Einmal kommt die kleine Gruppe um Nam an das schauerliche Ba Chuc Memorial, das an das gleichnamige Massaker der Roten Khmer an Zivilisten erinnert. In der Grabkammer stapeln sich hinter riesigen Glasflächen unzählige Schädel und Gebeine.
Ständig wird in der Erde geschaufelt, im Bergwerk, auf den Feldern, im Dschungel, nach Kohle, Knochen, Minen. Die lebendigsten und beunruhigendsten Reste aber sind die Erinnerungen, die Jahrzehnte im Gedächtnis verschüttet waren und sich irgendwann an die Oberfläche graben.
