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Filmkritik
Die Ikone des ersten „Knives Out“-Films war ein Kreis aus Messern, der zweite bescherte den Zuschauern die titelgebende „Glass Onion“. Das symbolträchtige Kernstück des aktuellen dritten Falls für Detektiv Benoit Blanc (Daniel Craig) ist ein Kreuz. Oder besser gesagt: kein Kreuz. Nur das leere Abbild einer Stelle, an die eigentlich ein Kreuz gehören sollte, als geisterhafter kreuzförmiger Schatten in die Wand einer Kirche gebrannt. Und unter dieser sinnbildlichen Leerstelle ein zorniger Prediger, dessen alttestamentarische Weltwut Woche für Woche auf seine Gemeinde herabregnet. Die radikalen Ansichten von Jefferson Wicks (Josh Brolin) und die kontroversen Methoden, mit denen er seine Kirchengemeinde führt, lassen schnell ahnen, dass es mit ihm kein gutes Ende nehmen wird.
Als der drakonische Gottesmann, ausgerechnet an einem Karfreitag, aus dem Leben gerissen wird, sind die Umstände seines Todes derart absonderlich, dass einige Gemeindemitglieder an einen göttlichen Eingriff glauben. Das perfekte Rätsel für Meisterdetektiv Benoit Blanc! Doch ehe er die Bühne betritt, dauert es eine ganze Weile. Wie in den vorigen Filmen ist Blanc zwar der Motor, der die Geschichte am Laufen hält, doch das Herz ist eine andere Figur, mit der er sich das Rampenlicht teilt. In diesem Fall der unkonventionelle Priester Duplenticy (Josh O'Connor), um dessen Glaubenskrise sich eine ausschweifende Geschichte voller Schuld und Sühne entspinnt.
Glaubensgrundsätze der US-Politik
In jedem bisherigen „Knives Out“-Film schwang ein gewisser politischer Kommentar mit, und in „Wake Up Dead Man“ ist er sogar noch lauter als bisher. Wenn man die zornigen Reden des Monsignore Wicks hört, braucht es keinen Detektiv, um zu erkennen, dass die Zeichnung der Kirchengemeinde ein Seitenhieb auf die MAGA-Bewegung ist. Unter ihren Mitgliedern befinden sich ein Autor (Andrew Scott), der sich seiner Redefreiheit beraubt fühlt, ein Vlogger (Daryl McCormack), dessen Geschäftsmodell Hass gegen marginalisierte Gruppen ist, und ein einsamer Arzt (Jeremy Renner), der sich von der Frauenwelt verraten fühlt. Ehe es überhaupt zum Mord kommt, skizziert der Film, warum sich eine Gruppe von gläubigen Christen durch Hassreden radikalisieren lässt. Den Gegenentwurf dazu bildet der neue Priester Duplenticy, dessen Vorstellungen von Nächstenliebe und Akzeptanz durch das vergiftete Klima in der Gemeinde untergraben werden.
Die Spaltung der US-Gesellschaft in diesem Glaubenskrieg abzubilden ist ein Schachzug, der wunderbar aufgeht. Es stehen sich alttestamentarische Vorstellungen von Wut und Rache und neutestamentarische Ansätze von Vergebung und Milde gegenüber – und in der Mitte Benoit Blanc, der mit kühler Logik den eskalierenden Konflikt entzaubern will. Obwohl Regisseur Rian Johnson dabei klar Stellung gegen einige Positionen bezieht, wird er nie selbst zum Prediger. Stattdessen lässt er genügend Raum für eigene Meinungen und findet geschickt Wege, um die Motive des Mordfalls mit den unterschiedlichen Weltansichten zu verweben.
Lügen, um die Wahrheit zu erzählen
Es gelingt „Wake Up Dead Man“ in großen Teilen, seinen selbstgesetzten Ansprüchen gerecht zu werden und sowohl ein Kriminalfall als auch eine Gesellschaftskritik zu sein. Um beides auszubalancieren, müssen jedoch einige Kniffe angewandt werden. Das hochkarätig besetzte Ensemble soll einerseits als Vorlage für den thematischen Diskurs herhalten, muss aber andererseits mit Mordmotiven ausgestattet werden. Um beides schnellstmöglich greifbar zu machen, werden viele der Rollen auf Archetypen reduziert und geben selbst Darstellern wie Andrew Scott, Kerry Washington und Jeffrey Wright nur bedauerlich wenig zu tun.
Außerdem soll tunlichst vermieden werden, dass das Publikum zu früh selbst den Fall aufklärt. Benoit Blanc macht sich an einer Stelle selbst Gedanken darüber, wie man eine spannende Geschichte konstruiert, und gibt Schreibempfehlungen, die sich wie Dogmen für Johnsons Drehbuch anhören: Immer nur das Interessanteste erzählen, immer die Story in Bewegung halten, kein Detail auslassen. Später fügt er hinzu, dass eine Geschichte immer dann besonders ehrlich bleibt, wenn man die unehrlichen Teile einfach auslässt. Mit dieser Maxime im Hinterkopf wird bei „Wake Up Dead Man“ teilweise etwas geschummelt: Schnitte sind absichtlich verwirrend gesetzt, subjektive und objektive Momente werden miteinander vermischt und die Figuren drücken sich bewusst umständlich aus, um Missverständnisse zu provozieren. Das große Rätsel ist somit nie komplett lösbar, aber es bietet genug kurze Etappen, um kleine Erfolgserlebnisse zu haben.
Popcornkino statt TV-Krimi
Mit imposanten Bildern und viel Aufwand bringt Rian Johnson einen unterhaltsamen Film auf die Leinwand, der zwar viele spannende Fragen aufwirft, aber am Ende doch Popcornkino sein möchte. Ganz nach Blancs Wünschen ist es immer in Bewegung und rast damit an einigen wichtigen Themen vorbei. Seine wendungsreiche Geschichte ist dabei enorm kurzweilig, orientiert sich aber nur in Ansätzen an der zurückhaltenden Eleganz seiner großen Vorbilder. Er rebelliert gegen traditionelle Erzählmuster, ohne sie völlig abzuschaffen, hinterfragt Genrekonventionen, ohne sie komplett zu brechen, und ist frecher, aktueller und selbstreferenzieller als die Konkurrenz. Rian Johnson hat zwar die alten Bücher gelesen und die alten Filme gesehen, weigert sich aber, an ihrem Altar zu beten und sich von ihren Traditionen einsperren zu lassen.
„Wake Up Dead Man“ findet irgendwo zwischen den Mordfällen von Agatha Christie und den überdrehten Genresatiren wie „Cluedo“ eine eigene Identität. Ob diese beim Publikum ankommt, ist eine ganz eigene Glaubensfrage. Johnson zeigt klar, dass er mit „Knives Out“, selbst wenn er von Netflix finanziert wird, keinen TV-Krimi, sondern ein Kinoerlebnis schaffen will, mit allem, was dazugehört. Auf verspielte Art macht er dem Publikum ein Angebot, wie es aussehen kann, ein vom Aussterben bedrohtes Genre in die Gegenwart zu holen und von den Toten auferstehen zu lassen.
