Szene aus Wann kommst du meine Wunden küssen
Filmplakat von Wann kommst du meine Wunden küssen

Wann kommst du meine Wunden küssen

111 min | Drama | FSK 16
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Szene 1 aus Wann kommst du meine Wunden küssen
Szene 2 aus Wann kommst du meine Wunden küssen
Vor sechs Jahren, als es zwischen der Schauspielerin Laura (Gina Henkel), dem DJ Jan (Alexander Fehling) und Maria (Bibiana Beglau) zu einem Zerwürfnis kam, haben sich die Wege der Freunde getrennt. Wo die drei vorher unzertrennlich waren und das Berliner Nachtleben aufgemischt haben, herrscht nun Funkstille. Doch als Kathi (Katarina Schröter), die Schwester von Maria, im Sterben liegt, begegnen sich die ehemaligen Freunde wieder.

Filmkritik

Es entfaltet eine besonders menschenfreundliche Komik, wenn tendenziell schwermütige Beziehungsfilme nicht all ihre Last den Dialogen aufbürden, sondern stattdessen die Figuren wie bei einem Mobile nur anstupsen und aufeinander loslassen. In Bildern, die der wackeligen Mechanik des Aneinandervorbei und Voneinanderweg vertrauen und das Ganze ernst, aber nicht zu ernst nehmen.

Mit einem schwindelerregenden Kameraflug über eine Staumauer im düster- verschneiten Schwarzwald beginnt „Wann kommst du meine Wunden küssen“ von Hanna Doose; dazu pulsieren die dunklen Elektro-Klänge des Komponisten David Letellier. Die Wuchtigkeit des Symbols für etwas bedrohlich Aufgestautes lässt noch nicht erahnen, welchen leichtfüßigen, tragikomischen Ton dieser Film anschlägt, der an Dooses Debütfilm „Staub auf unseren Herzen“ erinnert und dessen unerbittlich vor sich hin improvisierten Sound aus Schmerz, Zartheit und fröhlichem Irrsinn.

Drei Schwestern und ihre Beziehung

In den Staumauer-Prolog sind drei Frauen dazwischen geschnitten, die auf unterschiedlichen Fortbewegungsmitteln unterwegs sind, jede mit sich allein in der weiten Landschaft. Ganz in Leder nimmt Maria (Bibiana Beglau) auf einem geliehenen Motorrad die Kurven im Schwarzwald; „ein langer Ritt, elf Stunden“, hatte sie vor dem Aufbruch auf einer Berliner Dachterrasse dem Besitzer der Maschine (Marc Hosemann) westernheldinnenhaft zugeraunt und ihm noch ein paar Drogen, Bargeld und einen Zungenkuss abgerungen. In aller scheinbar bedürfnislosen Coolness, versteht sich.

Ihre Schwester Kathi (Katarina Schröter) streift dagegen zu Fuß durch den Wald, im schweren Lodenmantel und mit einer angeleinten Ziege an ihrer Seite. Wie eine Schamanin hat sie die Augen mit Ruß umrandet und blickt ahnungsvoll in die Ferne. „Maria kommt“, wird sie sagen und die Frage „Woher weißt du das?“ unbeantwortet lassen. Doch mit Mystery hat der Film nichts am Hut. Aber womit dann?

Die dritte Protagonistin, Laura (Gina Henkel), galoppiert in verdreckten Stallklamotten auf einem Rappen durchs tote Gehölz. Das ist kein Freizeitvergnügen, sondern ihr nachhaltiges Verkehrsmittel. Sie hält einen Hof am Laufen, der ihr nicht gehört, und führt womöglich ein Leben, das sie nicht will.

Alle drei Frauen treffen oder besser: prallen nun hassliebend, fürsorglich und angewidert auf jenem abgelegenen Anwesen aufeinander, das Maria und ihrer krebskranken Schwester Kathi gehört. Dort hat sich, umgeben von den vielfach bewegten Frauen, Lauras Freund Jan (Alexander Fehling) in sein Tonstudio zurückgezogen. Während Laura mit grimmiger Kraft versucht, ihren Ziegen etwas Milch abzutrotzen, unterstützt er sie nur halbherzig. Die Ziegen seien eben „unglücklich“, so erklärt er es sich, der Boden sei karg, was soll man tun?

Kunst oder Gartenarbeit

Doch dann werden ganze Gefühlslandschaften jäh umgepflügt, unter denen es offenbar schon länger brodelte. Denn Jan war früher mit Maria zusammen, damals in Berlin, als sie noch erfolgreiche Filme drehte und Jan als DJ die Technoszene aufmischte. Damals, als Laura noch eine gefragte junge Schauspielerin und Marias Muse war. Doch das autarke Landleben-Idyll, in das man aus der Kreativszene floh, entpuppte sich als weit mühsamer und unfreier als erwartet. Oder, wie Maria es mit vermeintlichem Oberwasser kommentiert: „Kunst ist eben was anderes als Gartenarbeit.“

Mit architektonischer Genauigkeit hat Hanna Doose das Fundament ihrer eigentlich recht banalen Geschichte über zwischenmenschliche Verwerfungen und begrabene Träume gebaut. Das erlaubt ihr und ihren in jeder Sekunde Spannung erzeugenden Schauspielern die größtmögliche Freiheit. Im Mumblecore-Stil improvisieren die Darsteller:innen vor zwei Kameras ihre Dialoge um Lebensentwürfe und alte Kränkungen und konterkarieren diese immer wieder mit abrupten Gesten der Zuneigung.

Konzentration auf wechselnde Rollen

Das präzise Gefüge des Stofflichen, Begrenzenden und Situativen, mit all den knarzenden Dielen und umherzuschleppenden Matratzen, reduziert die Charaktere nicht auf festgelegte Typen, sondern erlaubt eine Konzentration auf die wechselnden Rollen, die sie füreinander einnehmen. Auf diese Weise gesteht die Inszenierung den Figuren Ambivalenzen und Übergängigkeiten zu, und es entsteht eine Dynamik, die das Stockende der Lebensläufe erst in seiner ganzen absurden Pracht aufscheinen lässt.

An der Wand von Jans Studio hängt wie ein Mahnmal des verblassten Ruhms eine Goldene Schallplatte, neben seinem Bett ein fast aufdringlich oft ins Bild kommendes Plakat mit der Aufschrift „ALLES!“. Wohin mit den Resten einstiger Unbedingtheit? „Hier wird nichts weggeworfen“, sagt Laura und meint damit nicht nur die Butterbrote, die Kathi nicht anrührt. Mit „Input von außen“, erklärt Jan Maria einmal, würden die Ziegen wohl mehr Milch geben, aber man wolle ja mit dem klarkommen, was da sei. Da ist es ein schöner und folgerichtiger Witz, dass die von ihm vernachlässigte Laura sich ihrerseits solchen Input von außen holt, in Form einer fruchtbaren Affäre mit dem Gastwirt (Godehard Giese) von nebenan.

Zwischen Schlagerschmalz und tiefer Hölle

Oft schneidet die Montage von André Nier auf natürliche Oberflächen, auf bemooste Steine, knackende Äste und gurgelnde Wasserfälle, denen Jan den Sound für seine Kompositionen ablauscht. Und die Kamera von Markus Zucker überfliegt die Bäume immer wieder von oben, als beobachte von dort aus eine Instanz das Treiben der Unglücklichen, vielleicht jene, die sich zu Beginn des Films beinahe die Staumauer hinunterstürzte. Die beiden Schwestern haben den Selbstmord ihrer Mutter, einer Künstlerin, nicht verwunden und hadern mit Schuldgefühlen, auch was die Verantwortung für ihre eigene Schaffenskraft betrifft. Maria versucht ihre Trauer filmend zu verarbeiten; sie will auf dem Hof „ein paar Bilder abgreifen“. Für die anderen ist das eine Übergriffigkeit, ganz ähnlich Marias sonstigem Gebaren, das aber immer fragiler und hilfloser wirkt.

Die Kamera hält dabei die Balance zwischen Unruhe und Statik, verfällt nicht ins manieriert Unbeholfene, sondern hält lakonisch drauf, wenn die Unwuchten ihre destruktive, letztlich aber doch heilsame Schwungkraft entfalten. Es ist eine diebische Freude, diesen bis in die letzte Faser glaubwürdigen Figuren bei ihrem Ringen um Liebe und Selbstakzeptanz zuzusehen.

Dein ist mein ganzes Herz

Das ironisch gebrochene Pathos spiegelt sich auch im impliziten musikalischen Bogen des Films, der mit einer Zeile aus dem Falco-Song „Out of the Dark“ überschrieben ist und immer wieder Zuflucht findet in Franz Lehárs Operette „Das Land des Lächelns“. Das daraus entnommene Liebeslied „Dein ist mein ganzes Herz“ schmettern die drei Frauen buchstäblich am Rande des Abgrunds in gebotener Schiefheit als kathartische Perfomance, zwischen Schlagerliebesschmalz und Hölle.

Erschienen auf filmdienst.deWann kommst du meine Wunden küssenVon: Cosima Lutz (12.1.2023)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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