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While the Green Grass Grows

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Szenebild von While the Green Grass Grows 1
Da ist zunächst die Landschaft von Appenzell und der schmelzende Schnee, der die Bäche über die Ufer treten lässt. Dann der Tod seiner Mutter und die Notwendigkeit, Zeit mit seinem Vater zu verbringen. Hinzu kommt eine globale Pandemie. Peter Mettler ist ein seltenes Juwel unter den Filmemachern. In diesem dokumentarischen Meisterwerk (re)konstruiert er das gefilmte Tagebuch seiner intimen Beziehung zur Welt und den Wesen, die sie bewohnen.
  • Veröffentlichung21.11.2024
  • Peter Mettler
  • Schweiz (2025)
  • 195 Minuten
  • Dokumentarfilm
  • FSK 12
  • 6.6/10 (26) Stimmen

Peter Mettlers Mutter hat eine klare Meinung zum jüngsten Filmprojekt ihres Sohnes: „Mach’ keinen Film aus all dem. Du würdest keinen Cent dafür bekommen.“ Gleich zu Beginn von „While the Green Grass Grows“ begegnet man der alten Frau, die das Altwerden hasst, weil es im Leben noch so viel zu tun gäbe. Aber die menschliche Lebenszeit ist begrenzt. Die Mutter stirbt im Verlauf des Films, und ebenso stirbt Mettlers Vater. „While the Green Grass Grows“ ist ein Stück filmische Trauerarbeit – unter anderem.

Diese Trauerarbeit bedient sich der Form des Tagebuchs. Der Film setzt im Jahr 2015 ein und reicht bis in die 2020er-Jahre. Von Tagebuchfilmen, die intime Einblicke in den Alltag der filmenden Person gewähren, unterscheidet sich „While the Green Grass Grows“ allerdings deutlich. Über das Privatleben des Menschen Peter Mettler erfährt man wenig, über die Arbeitsweise des Filmemachers Peter Mettler auch nicht viel mehr. Von der Tagebuchform übernimmt Mettler lediglich die exakte Datierung der einzelnen Kapitel, die sprunghafte, fragmentarische, assoziative Montagepraxis – und insbesondere die „filmische Sprechweise“ in erster Person Singular. Das filmende Ich ist auf vielfältige Weise präsent: im einfühlsamen Blick des Regisseurs auf vertraute Menschen und Orte; in der ruhigen, warmen Stimme des Filmemachers, die mal das Kinopublikum, mal andere Menschen im Film adressiert; und nicht zuletzt in der leiblichen Gestalt Mettlers, der immer wieder selbst im Bild auftaucht, zum ersten Mal als Spiegelung in der Brille seiner Mutter.

Das Leben, das Universum und der ganze Rest

Wenn es nicht ums Private und auch nicht ums Berufliche geht, worum geht es dann? Mit Douglas Adams könnte man sagen: um das Leben, das Universum und den ganzen Rest. Um Familie und Tod, um eine Migrationsgeschichte und ein Leben zwischen zwei Kontinenten, um analoge und digitale Bildwelten, um die Covid-Pandemie, immer wieder ums große Ganze, aber stets auch um kleinste Details, etwa die Schönheit des Schattens, den ein Mensch auf einen Baum wirft. Ganz besonders geht es darum, wie das Kleine mit dem Großen und wie überhaupt alles mit allem zusammenhängt. Wie die Asche, die von einer geliebten Person übriggeblieben ist, in einen Schweizer Bergbach gestreut wird, durch Verdunstung in die Atmosphäre gelangt und womöglich über Kanada, dem langjährigen Wohnort der Verstorbenen, wieder abregnet. Wie in einem ins Blaue hinein formulierten Tagebucheintrag die ganze Menschheits- oder sogar die ganze Naturgeschichte aufscheint.

Außerdem geht es, darauf kommt der Film immer wieder zu sprechen, um eine Redewendung: „The Grass Is Always Greener on the Other Side“ – die grüneren Wiesen sind immer anderswo. Der Film handelt also davon, dass unser Leben allzu oft von der Erfahrung eines Mangels bestimmt wird, der sich nicht beheben lässt – unter anderem weil das menschliche Leben endlich ist. Er erzählt aber auch von oft unklaren, fast unwirklichen Sehnsüchten und Projektionen, die in eine existenzielle Unruhe versetzen und sich zwischen uns und die Welt, in der wir leben, drängen.

Vielleicht ein Auftrag ans Kino

Mettlers Film heißt allerdings nicht „The Grass is Always Greener on the Other Side“, sondern „While the Green Grass Grows“ – während das grüne Gras wächst. In dieser Verschiebung ist, vielleicht, ein Auftrag ans Kino verborgen. Das Kino kann uns, wenn es nur mutig und großzügig genug ist, etwas vom Reichtum der Welt vermitteln, von dem unendlichen Möglichkeitsraum, der sich um uns herum eröffnet. Auf dass wir das Leben in dieser, unserer Welt nicht mehr andauernd unter dem Aspekt des Mangels betrachten müssen.

Das hört sich wahnwitzig an und ist es auch. „While the Green Grass Grows“ ist ein wild-chaotisches Monument von einem Film, ein unbehauener Bewegtbild-Diamant, der sich mal minutenlang in meditativen Pflanzen- und Wasseraufnahmen verliert, mal – wenn es um Covid geht – in Schnellfeuermontage den digitalen Bilder- und Diskurswust der Gegenwart um die Ohren haut. Und der außerdem an einer Philosophie der fragmentierten Ganzheitlichkeit webt, deren Umrisse nicht immer allzu scharf gestellt werden; gelegentlich verliert sich das Ganze auch in einem freilich immer noch ziemlich berauschenden Wabern der Bilder. Knapp drei Stunden dauert der Film – und ist doch selbst vorläufig nur Fragment. „Teil 1 + 6“, lautet der Untertitel. Insgesamt besteht das Projekt aus sieben Teilen und dauert ebenso viele Stunden.

Keine kleinen Brötchen

Peter Mettler ist kein Regisseur, der kleine Brötchen backt. Ähnlich wie Werner Herzog oder Michael Glawogger ist er ein ewig Unbehauster, ein Weltenbummler des Kinos. Außerdem einer jener Dokumentaristen, die sich nicht mit dem schnöden Realismus des Augenscheins zufriedengeben. Mettler möchte hinter die Oberfläche der Dinge blicken, in einer Szene sogar hinter die Oberfläche der Geldscheine, mit denen sein Film finanziert wird. Herzog ist eigenen Angaben zufolge der „ekstatischen Wahrheit“ auf der Spur. Mettler legt in „While the Green Grass Grows“ in diesem Sinne die ersten überreichen Kapitel seines ekstatischen audiovisuellen Tagebuchs vor. Auf die Fortsetzung darf man gespannt sein.

Veröffentlicht auf filmdienst.deWhile the Green Grass GrowsVon: Lukas Foerster (9.10.2025)
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