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Filmplakat von Willkommen in Siegheilkirchen

Willkommen in Siegheilkirchen

86 min | Komödie | FSK 12
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Siegheilkirchen, eine kleine Stadt im österreichischen Hinterland, ist in den 1960er Jahren von reaktionären und ultrakatholischen Einstellungen geprägt. Der Sohn eines fleißigen Gastwirts und seiner Frau, der von allen nur Rotzbub genannt wird, ist mit der engstirnigen Enge seiner Heimatstadt nicht einverstanden. Doch sein unaufhaltsames Talent zum Zeichnen gibt ihm ein Ventil für seine Unzufriedenheit.

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Filmkritik

„A Rotzbub!“, sagt die Hebamme, als sie das frisch geborene Bübchen mit dem Kopf nach unten in die Höhe hält und zum ersten Atemzug animiert. Einen bürgerlichen Namen bekommt der Protagonist nicht. Im Gegenteil: Im Original führt die deutsch-österreichische Produktion den Ausdruck „Rotzbub“ sogar im Titel; in Deutschland kommt der Film allerdings als „Willkommen in Siegheilkirchen – Der Deix Film“ und in der Schweiz als „Rotzbub – Willkommen in Siegheilkirchen“ in die Kinos.

Erzählt wird von einer Jugendzeit in der österreichischen Provinz der 1960er-Jahre. Das Dorf Siegheilkirchen ist ländlich und relativ klein, die Bevölkerung gibt sich bieder-brav und scheint etwas bigott. Während das Wirtschaftswunder anderswo schon begonnen hat, lässt es in Siegheilkirchen noch auf sich warten. Erste Zeugen einer die dumpfen Nachkriegsjahre ablösenden Zeit des Wandels aber sind die neu eröffnete Café-Bar „Jazzy“ mit ihrer Jukebox sowie der Umstand, dass der Bürgermeister die mit Emblemen des Zweiten Weltkriegs verunstaltete Fassade des Rathauses neu gestalten lässt.

Daumenkino mit der feschen Nachbarin

Nach dem Intro, das vom Heranwachsen des Protagonisten im Mutterleib sowie seinen wehrhaften Kampf gegen das Geboren-Werden schildert, springt der Film in die Jugendzeit von Rotzbub. Der ist der Sohn des Dorfwirts. Sein Vater hat im Krieg einen Arm verloren, seine Mutter ist eine im Grunde sanftmütige Frau, die ab und zu aber tatkräftig dafür sorgt, dass ihr Sohn anständig erzogen wird. Rotzbub besucht das letzte Schuljahr. Er muss im Wirtshaus mitanpacken, weiß sich aber auch Freiheiten herauszunehmen. Leichter als das Schreiben von Aufsätzen oder Rechnungsaufgaben fällt ihm das Zeichnen.

An dem Abend, an dem er als Hausaufgabe auf zwei Seiten seinen Berufswunsch formulieren und sein künftiges Leben schildern soll, träumt er sich aus seinem Kinderzimmer fort. Mit Blick ins Fenster des Nachbarhauses fertigt er Bleistiftskizzen an, welche zum Daumenkino montiert die fesche Nachbarin beim Sich-Ausziehen zeigen. Rotzbub möchte Zeichner und Maler werden, doch das ist in den Augen seiner Eltern kein anständiger Beruf. Überhaupt sei das, was Rotzbub strichelnd zu Blatte bringt, keine Kunst sondern „pure Sauerei“, wie es die Frau des Bürgermeisters formuliert, als ihr eine seiner Zeichnungen in die Hände fällt. Mit dieser Einschätzung steht sie nicht allein da.

Die Meinungen über Rotzbubs Talent und seine zeichnerische Kunstfertigkeit klaffen im Dorf weit auseinander. Was die prüden Erziehungsberechtigte abstößt und dazu führt, dass Rotzbub Hausarrest erhält, vermag dem männlichen Teil der Dorfbevölkerung durchaus zu gefallen. Seine Schulkameraden sind von seinen flinken Skizzen derart erregt, dass sie sich damit gerne auf die Toiletten des Schulhauses verziehen. Denn der Junge zeichnet vor allem das, was ihn am meisten interessiert: die Rundungen und Formen weiblicher Körper. Seine Bilder sind halbnackte Akte, nicht selten überlebensgroß in blühende Landschaften hineinkaschiert.

Warnung vor einem dreisten Zeichner

Wer die Karikaturen des österreichischen Karikaturisten Manfred Deix kennt, kann vielleicht die Schamesröte erraten, die manchen bei deren Betrachtung in den 1970er-Jahren ereilte. Ebenso die Aufregung in der Stimme der Eltern, die vor dem dreisten Zeichner warnten, der mit pointiertem Humor die Menschen und ihre Umwelt etwas überspitzt so zeichnete, wie sie tatsächlich sind. Heute würde man das anders erklären. Heute würden Rotzbubs Kameraden seine Zeichnung auch nicht mehr durchpausen oder sich ihrer Vervielfältigung eines Wachsmatrizen-Gerätes bedienen, sondern diese via Social Media verbreiten, so sie ihnen überhaupt Beachtung schenken.

„Willkommen in Siegheilkirchen“ ist ein aufmerksam, sorgfältig gezeichneter Historienfilm, der die Zuschauer als hübsch animierter CGI-Film durch seine moderne Machart allerdings in die Irre zu führen droht. Denn die gesellschaftlichen Zustände, die in Siegheilkirchen herrschen, sind nicht hinterwäldlerischer, prüder oder verlogener als anderswo. Aber sie stammen nicht aus der Gegenwart, sondern spiegeln den Geist der 1960er-Jahre. Das nationalsozialistische Gedankengut war damals noch nicht aus allen Köpfen verschwunden, die sexuelle Revolution noch nicht vollzogen und der Feminismus noch nicht wieder auf dem Vormarsch. Man schaute auch nicht hin, was Kleriker oder Pädagogen mit Kindern und Jugendlichen anstellten und wie Erzieher mit Schutzbefohlenen umsprangen. Dass Rotzbub von seinen Eltern bloß durch Hausarrest gemaßregelt wird, könnte man fast schon als „Geschichtsklitterung“ bezeichnen.

Wirt, Fleischhauer, Fliesenleger

Abgesehen von der bildlichen Vorlage, dem sarkastischen Witz und dem pointiert-derben, aber auch liebevollen Humor steckt ziemlich viel von Deix’ Biografie in „Willkommen in Siegheilkirchen“. Seine Eltern betrieben in dem Dorf Böheimkirchen ein Wirtshaus und wünschten sich für ihren Sohn, dessen zeichnerisches Talent schon in Kinderjahren offen zutage lag – das Daumenkino mit der sich entblößenden Frau soll Deix bereits als Neunjähriger gezeichnet haben –, dass er den Beruf eines Wirts, Fleischhauers oder Fliesenlegers ergreife, aber nicht den eines Künstlers.

Deix, der in den Credits als „Künstlerischer Direktor“ (Art Director) geführt wird, war in die Anfänge des Filmprojekts involviert; das in 3D animierte Biopic über die Jugend des Künstlers (das vielerorts nur in 2D gezeigt wird, aber darin fast überzeugender wirkt) hat eine lange Entstehungszeit. Es reicht bis ins Jahr 2013 zurück; Deix soll das von Martin Ambrosch geschriebene Drehbuch vor seinem Tod im Jahr 2016 noch abgesegnet haben. Marcus H. Rosenmüller und der Co-Regisseur Santiago López Jover wurden von Produzent Josef Aichholzer erst später an Bord geholt.

„Willkommen in Siegheilkirchen – Der Deix Film“ ist Rosenmüllers erster Animationsfilm, der von der Zusammenarbeit mit dem erfahrenen Animator Lopez Jover profitiert. Was den aus Oberbayern stammenden Rosenmüller als Regisseur für den im ländlichen Niederösterreich spielende Pubertätsfilm prädestinierte, ist seine Affinität zum österreichischen Film und der Umstand, dass er mit seinem Debütfilm „Wer früher stirbt ist länger tot“ (2006) das Revival des neuen deutschen Heimatfilms maßgeblich mit anschob. Das Dörfliche, die engen gesellschaftlichen Verhältnisse und der etwas derbere Humor sind ihm vertraut, selbst wenn die Figuren breites Österreichisch parlieren.

Gegenwärtig und brennend aktuell

„Willkommen in Siegheilkirchen“ ist deshalb ebenso sehr ein „Rosi“- wie ein Deix-Film. Als pointiert-humorvolle Coming-of-Age-Komödie erzählt er von einem Jungen, der nicht so recht in die Gesellschaft passt, in der er lebt. Er verliebt sich in das Roma-Mädchen Mariolina, das mit seinem Clan in einer Wagenburg außerhalb des Dorfes lebt. Durchs Fenster seines Kinderzimmers beobachtet er seine Nachbarin und deren Lover, landet irgendwann im „Café Jazzy“ und findet in dessen weitgereistem Wirt, der im Geiste ein Jazz- und Rockmusiker ist, einen weltoffenen Erwachsenen, der ihm zum Vertrauten und Freund wird. Die von Gerd Baumann komponierte, sich ins Ohr schmeichelnde Filmmusik lehnt sich an die Sounds der 1960er-Jahre an und trägt viel zum Zeitkolorit und der Stimmung des Films bei.

Rotzbub wächst in seiner Verliebtheit über sich hinaus. Er interessiert sich nicht nur für Mariolina, sondern engagiert sich auch für die Roma, als im Dorf der latente Fremdenhass auszubrechen droht. Wo „Willkommen in Siegheilkirchen“ politisch wird und gegen braune Narrative, die Bigotterie der Gesellschaft und die (nur angedeuteten) Skandale der katholischen Kirche positioniert, wird der Film plötzlich gegenwärtig und brennend aktuell. Die Hommage an den Künstler Manfred Deix und seine Sicht der Welt richtet sich als zeitgeistige und gesellschaftskritische Animationskomödie damit weniger an Kinder als an Jugendliche und Erwachsene.

Erschienen auf filmdienst.deWillkommen in SiegheilkirchenVon: Irene Genhart (24.1.2023)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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