Szene aus Jazz am Donnerstag: X-Mas Special mit dem New JazzPort Orchestra
Filmplakat von Jazz am Donnerstag: X-Mas Special mit dem New JazzPort Orchestra

Jazz am Donnerstag: X-Mas Special mit dem New JazzPort Orchestra

105 min | Thriller, Horror, Mystery | FSK 16
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1979 im Süden der USA: Ein Filmteam erreicht ein abgelegenes Bauernhaus im tiefsten Texas, um einen Porno zu drehen. Davon haben Regisseur R.J., seine für den Sound zuständige Freundin Lorraine sowie Schauspieler Jackson Hole und die Stripperinnen Maxine und Bobby-Lynne ihren Gastgeber jedoch nichts erzählt. Dabei handelt es sich um ein isoliertes, älteres Ehepaar, das besonders großen Wert darauf legt, dass es ihren Gästen gut geht. Als jedoch die Nacht hereinbricht, wird das schon leicht aufdringliche Verhalten des Paaren plötzlich zusehends gewalttätig.

Filmkritik

Im fünften Teil der „Scream“-Reihe gibt es eine Hommage an die legendäre Drew-Barrymore-Szene aus dem ersten „Scream“-Film. Darin diskutiert Ghostface mit seinem Opfer am Telefon über Horrorfilme, wobei sich eine ziemlich unterhaltsame Debatte über den sogenannten „elevated horror“ entspinnt. Dieser Begriff hat sich etabliert, um anspruchsvolle oder verkopfte Filme wie „The Babadook“ von Jennifer Kent, das „Suspiria“-Remake von Luca Guadagnino oder Ari Asters Folk-Epos „Midsommar“ zu charakterisieren. In diesen Filmen werden Horrormotive verwendet, um tiefgründige Themen wie Depressionen und Mutterschaft, das Matriarchat oder moralischen Relativismus zu diskutieren; es geht also um mehr als um bloße Angst und Terror. Filmhistorisch lässt sich dabei eine Linie zu Filmen wie „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ (1973) oder „Die Nacht der lebenden Toten“ (1968) ziehen.

Demgegenüber stehen geradlinige, schmutzige und ultrabrutale Horrorfilme, die sich auf die „Tugenden“ des Genres konzentrieren: Thrills and Kills. David Gordon Greens „Halloween Kills“ rekurriert beispielsweise auf diese Tradition, die auf Genreklassikern wie Tobe Hoopers „Texas Chainsaw Massacre“ (1974) oder „Freitag der 13.“ (1980) fußt.

Bei dieser Diskussion geht es um Distinktion. Der Horrorfilm war immer das schmutzige Stiefkind des Kinos: beliebt, aber lange Zeit kulturell nicht wirklich akzeptiert. Noch immer grenzen sich Horrorfilme mit Splatter und Gore vom schnöseligen Arthouse ab und huldigen hemmungslos der Grindhouse-Ästhetik. Für manche mag es sich seltsam anhören, aber es geht im Horrorkino durchaus um Spaß, um schwarzen Humor und die Lust am Exzess.

Regisseur Ti West gelingt in „X“ nun das Kunststück, beide Lager gleichermaßen zu bedienen, und das ist durchaus ein großes Kunststück. Dafür bringt er zwei Genres zusammen, die eine große Ähnlichkeit aufweisen – harten, unerbittlichen Horror und den Pornofilm.

Lust, Prüderie und Schuld

Im Sommer 1979 macht sich ein kleines Filmteam auf dem Weg zu einem abgelegenen Farmhaus, um dort in einem angemieteten Nebengebäude einen anspruchsvollen Porno zu drehen. Das zumindest ist das Ziel des jungen RJ (Owen Campbell). Der Produzent Wayne (Martin Henderson) glaubt jedenfalls an RJs Version. Mit dabei sind RJs Freundin Lorraine (Jenna Ortega), die den Ton macht und zumindest zu Beginn große Schwierigkeiten mit den Sexszenen hat, der schwarze Darsteller Jackson (Kid Cudi) und seine (Film-)Partnerin Bobby-Lynne (Brittany Snow). Die Hauptfigur ist allerdings die junge Maxine (Mia Goth), die dem Stripclub, in dem sie arbeitet, entflieht, um ein Star zu werden – jeder soll ihren Namen kennen.

Der alte Farmer Howard (Stephen Ure) und seine Frau Pearl (Mia Goth, in einer Doppelrolle) scheinen zwar unheimlich, aber im Grunde harmlos zu sein. So läuft der Dreh zunächst wie am Schnürchen. Während sich die bedrohliche Atmosphäre wie eine Schlinge um die Gruppe zieht, lässt sich die Lust auf Frischfleisch irgendwann nicht länger zügeln. In der Nacht bricht schließlich unaussprechlicher Terror über die Filmcrew herein.

Eine weibliche Ermächtigungsfantasie

Das Pornografische mag sich zwar eher als Film im Film abspielen, doch die Nacktheit wird für eine US-amerikanische Produktion durchaus selbstbewusst ausgereizt. Im Kontext des eigentlichen Themas macht es durchaus Sinn, sich nicht allzu zugeknöpft zu geben. Schließlich geht es um das Spannungsverhältnis zwischen Lust, Prüderie und Schuld, Vergänglichkeit und Jugend und letztlich um die ironische Verquickung vom „kleinen Tod“ des Orgasmus und dem hemmungslosen Gemetzel; nicht umsonst besteht zwischen dem Cumshot im klassischen Pornofilm und der spektakulären Mordszene im Horrorfilm eine Verwandtschaftsbeziehung – sind dies doch die Szenen, auf die in diesen Genres alles zuläuft.

Wenn in „X“ in einer besonders garstigen Szene das Blut in Fontänen gegen die Scheinwerfer eines Autos spritzt, wird auf die Allsichtbarkeit des Obszönen ebenso angespielt (das Licht, die ausgeleuchteten Körper) wie auf das Sperma beim Samenerguss. Das Morden geschieht einerseits als perverse Ersatzhandlung und ist gleichzeitig das Ausagieren einer Selbstkasteiung. Gerade die weibliche Sexualität wird ja bis heute entweder als uneigentliches, vom Mann abgeleitetes Begehren gesehen oder als urwüchsige Kraft gefürchtet. Diese geschlechterpolitischen Dimensionen nimmt der Film sehr unterhaltsam auseinander und lässt seine weiblichen Figuren nicht zu bloßem Beiwerk verkommen. Ganz im Gegenteil: „X“ ist durchaus eine ziemlich unerschrockene weibliche Ermächtigungsfantasie, die das Horrorkino kräftig aufmischt.

Abgründe gibt es zuhauf

Bei all diesen düsteren Themen nimmt sich der Film dennoch an keiner Stelle allzu ernst. Immer wieder lockert ein schwarzhumorig-satirischer Ton das garstige Geschehen auf. Von einem trostlosen Nihilismus ist der Film eine ganze Kettensägenlänge entfernt. Über Filme, die sich lediglich im konservativen Genrekorsett bewegen, etwa das neueste „Texas Chainsaw Massacre“-Sequel, macht sich „X“ geradezu lustig. Nur die Gewaltspitzen sitzen nicht immer und wirken reichlich eklektisch. Auch hätte man in einem Porno-Setting mehr metaphorischen Tiefgang erwartet. So setzen die Slasher-Szenen mitunter auf Ekel und Splatter, während sie beim nächsten Gewaltausbruch dann ohne Grund gnädig abblenden. Unangenehme Momente gibt es jedoch zuhauf; Regisseur Ti West dürfte überdies eine der unangenehmsten Sexszenen seit „Nekromantik“ (1987) von Jörg Buttgereit gelungen sein. Das Prequel „Pearl“ ist bereits abgedreht, erneut mit Mia Goth; Abgründe gibt es immerhin noch reichlich zu bespielen.

Erschienen auf filmdienst.deJazz am Donnerstag: X-Mas Special mit dem New JazzPort OrchestraVon: Sebastian Seidler (14.1.2023)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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