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Filmkritik
Südtirol gehört zu den schönsten und eindrücklichsten Landschaften des Alpenraums. Heute erinnert kaum noch etwas an die militanten Auseinandersetzungen, welche das einst zu Österreich-Ungarn gehörende Gebiet, das 1919 Italien zugesprochen wurde, in den 1950er- und 1960er-Jahren erschütterten. Hintergrund war der Unmut der deutschsprachigen Bevölkerung, die sich trotz eines Autonomiestatuts gegenüber der italienischsprachigen Gruppe benachteiligt sah. Bereits in den 1950er-Jahren bildeten sich kleine Gruppen, die ihre Forderung nach Gleichbehandlung und Gleichberechtigung auch mittels Gewalt durchzusetzen versuchten. Einen Höhepunkt erreichten diese Auseinandersetzungen 1961, als Mitglieder der Untergrundorganisation „Befreiungsausschuss Südtirol“ (BAS) in der Nacht vom 11. zum 12. Juni in der Region Bozen 37 Hochspannungsmasten in die Luft sprengten. Diese als „Feuernacht“ in die Annalen eingegangene Aktion und die sich daraus entwickelnden Ereignisse bilden den Hintergrund des Dramas „Zweitland“ von Michael Kofler.
Der Film beginnt mit einem Ringkampf zwischen zwei Männern. Der Ältere, kampftechnisch etwas Erfahrenere gewinnt, der Jüngere liegt flach. Doch dann, als der Kampf bereits vorbei ist, schlägt der Unterlegene nochmals zu. Sein Gegenüber steckt den Schlag weg und beschwichtigt. Offensichtlich ist es etwas Persönliches zwischen den beiden, die Anton und Paul heißen und Brüder sind.
Die Spannungen entladen sich
Anton Prassler (Laurence Rupp) ist der ältere. Er fühlt sich Südtirol und der deutschen Sprache verbunden und unterstützt die Aktivisten. Vor einigen Jahren hat er den elterlichen Hof übernommen und ist mit der aus Bozen stammenden Anna (Aenne Schwarz) verheiratet; die beiden haben einen Sohn. Anna ist von Beruf Lehrerin, hat aber keine feste Anstellung und packt auf dem Hof mit an. Paul (Thomas Prenn) wohnt bei Anton und dessen Familie auf dem Hof. Er ist ein ganz anderer Charakter als sein Bruder, einfühlsam und wie sein Vater künstlerisch begabt. Er möchte an der Kunsthochschule München Malerei studieren. Das Studiengeld hat er zusammengespart und sich an der Kunsthofschule auch schon beworben, als in einer Juninacht, in der Anton nicht zuhause ist, dumpfe Detonationen die Stille zerreißen. Die bis dahin nur latent schlummernden Meinungs- und Gesinnungsunterschiede beginnen sich fortan zunehmend in bisweilen heftigen Auseinandersetzungen zu manifestieren.
Die Carabinieri sind schnell vor Ort. Sie beginnen zu ermitteln, führen Hausdurchsuchungen durch und verhaften erste Verdächtige. Pauls Warnung verdankt es Anton, dass er sich in letzter Minute nach Österreich absetzen kann. Damit aber zerplatzt Pauls Traum einer Künstlerausbildung. Um die Schwägerin und den Neffen zu unterstützen, bleibt er auf dem Hof und packt mit an. Zum Malen verzieht er sich zwischendurch ins Atelier neben der Scheune.
Es gibt bald weitere Hausdurchsuchungen, Verhaftungen, Verhöre und Versammlungen, bei denen die Meinungen aufeinanderprallen. Und weitere Nächte mit dumpfen Explosionen. Der aus der Umgebung stammende Ermittler Lombardo (Francesco Acquaroli), der nicht nur das Gelände, sondern auch die Einheimischen und auch die Familie Prassler persönlich kennt, besucht Paul und Anna wiederholt auf dem Hof und setzt sie unter Druck. Pauls bester Freund Hans (Fabian Mair Mitterer), der sich seiner Heimat verpflichtet fühlt und das auch lauthals verkündet, wird ins Gefängnis geworfen.
Ein erschütterndes Familiendrama
Es wäre ein Leichtes gewesen, diesen hochexplosiven und zunehmend wieder aktuellen Stoff um (militante) sozialpolitische Auseinandersetzungen als packenden Historienthriller oder geschichtsklitterndes Heldenepos zu erzählen. Doch Michael Kofler, der selbst im Südtirol aufgewachsen ist und sich schon als Jugendlicher wunderte, wieso es „tabu“ war, über die Ereignisse rund um die „Feuernacht“ zu sprechen, trug sich bereits 2011 mit der Idee, darüber einen Film zu drehen. Die dabei angewandte Gewalt – es wurden nicht nur Hochstrommasten in die Luft gejagt, sondern auch Menschen zu Tode gebracht – interessierten ihn aber sehr viel weniger als die Frage nach der (sozial-)politischen Verantwortung jedes Einzelnen. Kofler treibt die Frage um, ob und wie man sich engagiert und wie weit man gehen kann, um dieser Verantwortung gerecht zu werden, ohne Grenzen zu überschreiten und sich eines Vergehens schuldig zu machen. „Zweitland“ ist deshalb weder Heldenepos noch Historienthriller, sondern ein erschütternd handfestes, ans Herz gehendes Familiendrama.
Kofler erzählt nahe an den Figuren, an den Körpern und Gesichtern der Schauspieler:innen. Der Film spielt weitgehend auf dem Hof der Prasslers und im nächsten Dorf, insbesondere in der Dorfwirtschaft, wo sich die Wege von unbescholtenen Einheimischen, Aktivisten und den aus Bozen und Mailand stammenden Carabinieri kreuzen und nicht selten ein deutsch-italienisches Sprachgewirr herrscht. Die Handlung spielt in einem engen, auch beengenden Raum, in die Ereignisse von außerhalb oft nur in Gestalt von Boten oder durchs Tal hallender Geräusche gelangen. Einmal begibt sich Paul auf die Suche nach seinem Freund Hans, der im Gefängnis in Bozen gefoltert wird. Ein anderes Mal fahren Paul und Anna mit dem Auto über die Grenze, um Anton zu treffen, weil sie von Lombardo so sehr unter Druck gesetzt werden, dass sie nicht mehr weiterwissen.
Die Handlung baut sich um die drei zentralen Figuren und einige ihnen nahestehende Personen auf, die für unterschiedliche (sozial-)politische Haltungen stehen. Während Anton den flammenden Aktivisten gibt, ist Paul der sozial engagierte, aber politisch zurückhaltende Bürger. Pauls Freund Hans ist ein vorlauter Mitläufer der Aktivisten, und Annas Freundin Lucia (Catarina Gabanella), die wie sie aus Bozen stammt, eine hilfsbereite Gutmenschin. Die spannendste Figur des Films ist Anna, die im Dorf noch immer als Fremde gilt, obwohl sie seit Jahren mit Anton verheiratet ist. Sie schlägt der Schulleitung und auf Versammlungen innovative Ideen vor, etwa zur Lösung des Zweisprachproblems in der Schule, stößt damit aber immer wieder auf Widerstand und manövriert sich darüber zunehmend ins Abseits.
Wenn nicht sympathisch, so doch menschlich
In der Darstellung der politischen Ereignisse des Unabhängigkeitskampfes bleibt „Zweitland“ unscharf; weder der Film noch der Regisseur beziehen politisch Position. Sehr genau aber wird die durch diesen Kampf ausgelöste tragische Spirale skizziert und deren Auswirkungen auf die Menschen und ihre psychischen (und physischen) Befindlichkeiten. Das gelingt vor allem durch die ausdrucksstarken Darsteller:innen, denen es gelingt, ihre Figuren unabhängig von deren politischen Ansichten wenn nicht gerade sympathisch, so doch menschlich erscheinen zu lassen.
