7 Years of Lukas Graham
- RegieRené Sascha Johannsen
- Dauer78 Minuten
- GenreDokumentarfilmMusik
- TMDb Rating5.6/10 (5) Stimmen
Filmkritik
1999 schrieb der Pop-Theoretiker Diedrich Diederichsen in „Is was Pop?“: „Auf der künstlerischen Seite von Pop ist Authentizität schon länger bankrott: Mit vermeintlicher ,Authentizität‘ (…) pflastern blöde Bürokraten und kranke Karrieristen ihre Innenausstattung; mit vermeintlich ,synthetischen‘ Produkten der Kulturindustrie (…) wird dagegen noch der eine oder andere Wertewandel, das eine oder andere schwule Coming Out oder ein berechtigter Bruch mit einem blöden Boyfriend angeschoben.“
20 Jahre später spricht der Germanist Erik Schilling hingegen angesichts von Digitalisierung und Globalisierung von einer „Karriere des Authentischen“ und definiert, dass der Begriff „Authentizität“ davon künde, dass die Annahme tragfähig sei, die Beobachtung der Eigenschaften eines Menschen oder eines Objekts erlaube die Rede davon, dass solcherart der objektive Blick auf den „wahren Kern“ eines Menschen oder Objekts fixierbar sei. Die Frage stellt sich: Wie konstruiert und kommuniziert man als Künstler:in seinen „wahren Kern“?
Authentisch angepisst
Vielleicht so wie der dänische Sänger Lukas Forchhammer, der in der dänischen Band „Lukas Graham“ den Songwriter und Leadsänger gibt. Wenn der pausbäckige Musiker mit seinen Fans vor oder nach dem Konzert am Tresen steht, gibt er vorzüglich den „regular guy“, nahbar und offen. Fans rühmen ihm (oder seiner Band?) vor laufender Kamera nach, dass er die Ehrlichkeit in die Musik zurückgebracht habe. Zu dieser Ehrlichkeit gehören neben dem ausgeprägten Selbstbewusstsein Forchhammers aber auch seine Ungeduld, seine Kompromisslosigkeit und sein Ehrgeiz. Als die Band 2016 für drei „Grammys“ nominiert war, aber keinen gewann, verletzt Forchhammer die Branchengepflogenheiten, weil er sich nicht als höflicher Unterlegener zeigte, sondern als angepisster Verlierer.
Im Unterschied zu konventionellen Musikdokus, die sich als Promo-Vehikel oft bei den Porträtierten und deren Fans anbiedern, setzt die Langzeitbeobachtung von René Sascha Johannsen auf Zwischentöne und Widersprüche. So beginnt der Film in einer Phase, als sich das Warner-Brothers-Label für die Band interessiert und zur Produktion eines Albums nach Los Angeles einlädt. Doch die überraschende Gelegenheit, mit den „Big Boys“ des Business zusammenzuarbeiten, wird durch die Arbeitsteiligkeit und die Mainstream-Routine der US-Amerikaner schnell entzaubert. Forchhammer ist nicht in die USA gekommen, um „Katy-Perry-Pop“ zu produzieren oder Justin-Bieber-Coverversionen zu performen. Auch einer der größten Hits der Band – „7 Years“ – wurde entgegen der Expertise der Plattenfirma als Single veröffentlicht und von den Fans weltweit gefeiert, was der Film als „Demokratisierung“ des Business feiert.
Später kämpft Forchhammer darum, seine Karriere und seine neue Vaterrolle miteinander vereinen zu können, was bei manchen Fans auf Unverständnis stößt.
Interessante Gegenläufigkeiten
„7 Years of Lukas Graham“, der vielleicht besser „7 Years of Lukas Forchhammer“ geheißen hätte, hält ein Gleichgewicht aus Nähe und Distanz, montiert Konzertausschnitte mit Proben und Notizen aus dem Bandalltag zwischen Hotel und Tourbus. Zu sehen ist, dass sich Sänger und Bassist Magnus Larsson live auf der Bühne etwas zu häufig „oben ohne“ präsentiert. Ebenfalls etwas zu häufig setzt die Band „demütig“ auf den Mitsing-Effekt des Publikums. Und Forchhammer kommt immer wieder auf den frühen Tod seines Vaters zu sprechen, was ihn bei Interviews schon mal in Tränen ausbrechen, ihn im Gespräch mit Fans aber auch zu einer Art Trauer-Ratgeber werden lässt. Wie überhaupt der autobiografische Gehalt seiner Songs etwas von der Banalität pubertärer Tagebucheinträge hat, was aber bestens zum Soul-Pop der Band passt.
Umso irritierender ist dann die Szene, als die Band bei ihrer offiziellen Begrüßung im Warner-Gebäude vor versammelter Mannschaft „spontan“ eine Arschfick-Fantasie improvisiert. Das ist so eigenwillig wie die Entscheidung, „7 Years of Lukas Graham“, der die wenig glamouröse Mühsal und die Entfremdung von „Stardom“ in der Popkultur dokumentiert, im Vorfeld der anstehenden Herbst-Tournee in die Kinos zu bringen.