Szene aus The Farewell
Filmplakat von The Farewell

The Farewell

91 min | Drama, Komödie, Biographie
Jan Schütte beschreibt in diesem Film den letzten Ferientag von Bertolt Brecht kurz vor seinem Tod. Brechts Frauen versüßen und erschweren ihm den Spätsommertag am See seines Landhauses in Buckow. (VA)

Filmkritik

Still ruht der See mit allem, was zur Idylle dazugehört: Ein Haus mit großem Garten, Hühnern, Hunden, Enten und Vögel. Grün ist die dominante Farbe, die auch die Gefühle der seltsamen Urlauber in dem Landhaus umschreibt. Die Urlauber im August 1956 in Buckow, das sind Bert Brecht - dick, alt, herzkrank - und die seltsame Großfamilie des Dichters: seine Frau Helene Weigel, seine Geliebten und Ex-Geliebten Käthe Reichel, Isot Kilian, Elisabeth Hauptmann und Ruth Berlau, sowie Isots Ehemann Wolfgang Harich und Brechts Tochter Barbara. Aus dieser Konstellation hat der Theaterautor Klaus Pohl eine psychologische Studie gemacht - mit Theaterdialogen, als wolle er Brecht nacheifern. „Ich bin noch keine 60 und sehe fünf Jahre älter aus. Wegen dir“, jammert der 58-jährige Brecht seiner Ex-Geliebten vor, der Schauspielerin Ruth Berlau. Die 50-Jährige kontert eifersüchtig: „Wie viele Ziegen hast du eigentlich zurzeit?“ Und später: „ Ich bin die Hure eines Klassikers.“ Der große Streit bleibt aus, irgendwie kommen die Frauen nicht los von ihrem Bertolt.

Ein alternder Macho, der sich von seinem Harem umsorgen lässt, das ist das eigentliche Thema des Films. Jan Schütte inszeniert den letzten Ferientag, bevor die Truppe zur Vorbereitung der neuen Theatersaison nach Berlin zurückfährt, als Skurrilitäten-Kabinett und lässt kein Klischee aus. Der Dichter sitzt hinter der Schreibmaschine und hadert mit sich und seinem Leben; dass Töchterchen Barbara im Garten Feuer gemacht und Papas Lieblingsmütze verbrannt hat, weiß er noch gar nicht, aber die verschwundene Mütze ist für ihn das größte Unglück des Tages. Auch nicht, dass die Berlau sturzbetrunken im Nachthemd durchs nahe Dorf gestiefelt ist. Aber als er sieht, dass Käthe Reichel, die Jüngste im Harem, nackt im See badet, geht er sofort auf sie zu und raspelt Süßholz. Erst als andere dazukommen, ist er peinlich berührt, bringt das Thema auf seine Schriftstellerei und staucht die Reichel zusammen, weil sie beim Vortrag seiner Gedichte seine Fehler stillschweigend korrigiert. Abends dann werden an einer Straßensperre Isot und Wolfgang Harich verhaftet, Brecht fährt weiter, ohne sich umzusehen - er stirbt vier Tage später.

Pohl und Schütte bringen das (wahre) Drama um Wolfgang Harich schon im Film unter. Helene Weigel wird gleich zu Beginn durch die Stasi von der bevorstehenden Verhaftung unterrichtet und gewinnt das Versprechen, Brecht nicht damit zu belästigen, nur gegen das Zweite, Harich nicht zu warnen. So liegt über Brechts letztem Ferientag von Anfang an der Schatten des Verrats. Harich ist immerhin bei aller Freundschaft zu Brecht der Einzige, der es wagt, eigene Gedanken zu formulieren (etwa Ulbricht absetzen zu wollen und die DDR zu reformieren). Doch Brecht ist wohl zu krank oder zu schlau, um darauf einzugehen. Die Politik ist jedoch nicht das zentrale Thema, der Film konzentriert sich auf den Privatmann Brecht und seine Frauen - mit manchen ist er schon über 30 Jahre zusammen. Sie dulden einander und Brechts Launen, freuen sich, wenn er sie anspricht oder sie gar küsst. Das mag wirklich so gewesen sein, diese Zustandsbeschreibung, in der keine der Personen eine Wandlung durchmacht, keine Hintergründe sichtbar oder Motive klar werden, kann freilich allenfalls treue Brecht-Fans bei der Stange halten, so trocken und unbeteiligt hat der einst für seine einfühlsame Milieustudien („Drachenfutter“, fd 26 642; „Winckelmanns Reisen“, fd 28 583) gelobte Jan Schütte dieses Drama gefilmt. Schwermütig liegt John Cales dunkle Musik über der Szene. Auch die Landschaftsbilder sind von erlesener Schönheit, und wenn Brecht einsam auf einer Bank am Ufer sitzt und gedankenverloren auf den See starrt oder wenn er an dem aus vielen kleinen Scheiben zusammengesetzten Fenster steht und, nach draußen blickend, wie ein Gefangener hinter Gittern aussieht, dann hat „Abschied“ auch einige markante Standbilder, die sich einprägen. Ganze Arbeit hat der Maskenbildner geleistet, damit Josef Bierbichler wirklich so aussieht wie der späte Brecht. Über weite Strecken gibt Bierbichler diesen stoischen Mann, der sich oft so bockig und impulsiv verhält wie ein kleines Kind, auch ganz überzeugend. Seine Präsenz trägt den Film, kann ihn aber nicht retten. Mehr als eines jener gepflegt-langweiligen Nationaldichter-Bilder ist nicht herausgekommen.

Erschienen auf filmdienst.deThe FarewellVon: Andrea Dittgen (6.12.2023)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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