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Americana

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Cal Starr schaut manchmal vielleicht ein bisschen zu viel Fernsehen. Besonders Western haben es ihm angetan – und zwar ziemlich. Denn mittlerweile ist der Junge aus irgend einmal Grund felsenfest davon überzeugt, die Reinkarnation des Ende des 19. Jahrhunderts erschossenen Sitting Bull, dem Stammeshäuptling der indigenen Lakota, zu sein. In diesem Glauben klaute er sogar ein sogenanntes Ghost Shirt, das eng mit einem indigenen Glauben verbunden ist. Das ist eine saftige Million Dollar wert – und liegt jetzt im Auto von Cals Mutter Mandy, die sich damit aus dem Staub vor ihrem gewalttätigen Freund Dillon machen will. Aber Cal denkt gar nicht daran, sich mitnehmen zu lassen. Denn er ist immer noch im Glauben, als Sitting-Bull-Reinkarnation wieder zu „seinem" Volk finden zu müssen...
  • Veröffentlichung11.12.2025
  • Tony Tost
  • Vereinigte Staaten (2023)
  • 107 Minuten
  • ActionThrillerWesternKrimi
  • FSK 16
  • 5.9/10 (5037) Stimmen

Lefty Ledbetter (Paul Walter Hauser) übt seinen Heiratsantrag. Er sei ein einfacher Mann, einer, der nicht viel zu bieten hat: keine Country-Club-Mitgliedschaft, keine Reichtümer. Aber eben doch ein schönes Haus und ein großes Herz. Die Welt da draußen sei brutal und grausam, doch niemand solle allein bleiben. Also: Würdest du mich heiraten? Penny Jo (Sydney Sweeney) ist diejenige, die den Antrag als Erste hört. Sie merkt an, dass Lefty seine Rede wenigstens auswendig lernen könnte, um sie nicht von kleinen Kärtchen ablesen zu müssen. Sichtlich entzückt ist die junge Kellnerin aber dennoch. Die Frau, für die der Antrag eigentlich gedacht ist, hingegen weniger. Denn Leftys Freundin erinnert sich schnell daran, dass dies erst das dritte gemeinsame Date ist. Ihrer Vermutung, dass er diese Rede öfter hält, stimmt Lefty unumwunden zu, womit er an Ort und Stelle zum Ex-Freund wird. Zurück bei Penny Jo, findet Lefty Trost und erhält, wie sie zwischen ein paar betont niedlichen Stotterern herausbringt, auch die Chance auf ein Date.

Das magische Shirt der Lakota

Bevor das Landei der Dorfschönheit den nächsten Heiratsantrag machen kann, kommt der eigentliche Plot von „Americana“ dazwischen. Den tritt der Hehler Roy Lee Dean (Simon Rex) los, ein wandelndes Cowboy-Klischee, der den taffen Dillon (Eric Dane) damit beauftragt, den örtlichen Besserverdiener (Toby Huss) auszurauben. Er soll ihm ein „Ghost Shirt“ stehlen, ein altes Artefakt, das wie das Land selbst längst nicht mehr den Lakota gehört. Dass der Teil von South Dakota, auf dem alle drei Handlungsstränge des Films, die „Americana“ allmählich zusammenführt, für den Sioux-Stamm noch immer heiliges Land ist, lässt sich in der Gegenwart nur noch von der hastig besprühten Rückseite eines Straßenschilds ablesen.

Der kleine Junge Cal (Gavin Maddox Bergman) glaubt dennoch oder gerade deswegen daran, die Reinkarnation von Sitting Bull, dem wohl berühmtesten aller Lakota, zu sein. Seine Mutter Mandy (Halsey) nimmt das ebenso wenig ernst, wie die tatsächlichen Nachfahren des Häuptlings, die von einem Mann namens Ghost Eye (Zahn McClarnon) angeführt werden und in einem aussichtslosen, wenngleich entschlossenen Kampf gegen die damaligen und heutigen Unterdrücker verstrickt sind.

Im Verlauf der Gangsterkomödie ist es dann aber Cal, der den entscheidenden Twist vorgibt. Denn einer seiner Pfeile tötet Dillon, den Freund seiner Mutter, der gerade erst zum Räuber des Ghost Shirts geworden ist. Seiner Mutter, die sich mit dem Artefakt davonmachen und ein besseres Leben beginnen will, will sich Cal aber nicht anschließen. Er verkündet stattdessen, dass er bei seinem Volk bleiben wolle, auch wenn ihm Ghost Eye klarmacht, dass dies nicht unbedingt das beste Zeitalter für eine „kulturelle Appropriation“ als Maske der eigenen Traumata sei.

Auf dem Weg zur Westernkomödie

Als dann auch noch Lefty und Penny Jo auf das Artefakt aufmerksam werden und sich damit das Startkapitel für einen Neustart zu sichern glauben, ist „Americana“ endgültig auf Kurs, jener Western zu werden, den Filmemacher Tony Tost im Gewand einer verschachtelten 1990er-Gangsterkomödie zumindest konzeptionell auf die Leinwand bringen will. Leicht von der Hand geht das dem Regisseur und Autor nicht. „Americana“ ist ambitioniert genug, der antiquierten, aber nie ganz ausgestorbenen Genre-Dekade der 1990er-Jahre das Konstrukt der Frontier-Erzählung aufzusatteln, um das verwaiste, aber geschichtsträchtige South Dakota in Richtung eines blutigen Westernmythos zurückzudrängen.

So stehen bald die Weißen, die Cowboys, die Karrieremacher oder schlicht die Gierigen an, um sich das zu nehmen, was ihnen nicht zusteht, während die Indigenen und Entrechteten das vor ihnen zu schützen versuchen. Der Weg dahin bringt genügend Stoff für unzählige weitere Erzählungen und auch das eine oder andere Schmuckstück hervor. So strahlen die Interaktionen zwischen Cal und Ghost Eye, die zwischen Misstrauen, väterlichem Verständnis, Mitleid und Gnadenlosigkeit wechseln, vor allem durch die Präsenz von Zahn McClarnon etwas aus, das dem Film sonst gänzlich fehlt.

Alles hängt in der Luft

Wo McClarnon als Lakota-Aktivist glaubhaft die Narben der Vergangenheit präsentiert, seine Identität aber ebenso glaubhaft mit sanft ironischem Bezug zur zeitgenössischen Popkultur in der Gegenwart verortet – der Name Ghost Eye ist von Jim Jarmuschs „Ghost Dog“ und dem Rapper Ghostface Killah abgeleitet –, findet der Film selbst kein Zentrum. „Americana“ tut sich schwer, an irgendetwas anzuknüpfen, was den unterschiedlichen Formen einer spezifisch mittelamerikanischen Sinnsuche etwas Gewicht verleihen könnte. Die Country singende Kellnerin Penny Jo, der einfältig-einsame Veteran Lefty, der ewige Cowboy Roy Lee, der taffe Dillon, die alleinerziehende Mutter Mandy, die das Trauma einer Misshandlung mit sich durchs Leben schleppt: Sie alle treten eher als die Behauptung ihrer selbst auf. Eine Behauptung, die ähnlich wie die eingängige Liebeserklärung eigentlich nichts hat, worauf sie aufbauen könnte.

Veröffentlicht auf filmdienst.deAmericanaVon: Karsten Munt (12.12.2025)
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