Szene aus Amor Fati
Filmplakat von Amor Fati

Amor Fati

102 min | Dokumentarfilm
Szene 1 aus Amor Fati
AMOR FATI sucht nach Teilen, die sich gegenseitig ergänzen. Es sind Porträts von Paaren, FreundInnen, Familien sowie Tieren und ihren BesitzerInnen. Zusammen teilen sie die Intimität des täglichen Lebens, ihre Gewohnheiten, den Glauben, den Geschmack oder auch körperliche Merkmale. In ihren Gesichtern und der Choreographie ihrer Gesten entdecken wir die Geschichte, die sie miteinander verbindet. Gespeist aus dem täglichen Leben, porträtiert der Film einen Chor von Zuneigungen und zugleich das kollektive Gedächtnis eines Landes. In Aristophanes Worten in Platons „Gastmahl“: “Ist es das etwa, was ihr wünscht, möglichst an dem selben Ort miteinander zu sein und euch Tag und Nacht nicht voneinander zu trennen? Denn wenn es euch hiernach verlangt, so will ich euch in eins verschmelzen und zusammenschweißen, so dass ihr aus zweien eins werdet.”
  • RegieClaudia Varejão
  • Dauer102 Minuten
  • GenreDokumentarfilm
  • TMDb Rating10/10 (1) Stimmen

Filmkritik

Wie gebannt steht der kräftige Mann mit den wuscheligen Haaren und dem Nasenring vor seinem neuen Haustier. Umso zutraulicher tapst das Mopsbaby, das bald den Namen Gianni bekommt, auf sein Herrchen zu und knabbert an dessen Finger – der Beginn einer wunderbaren Zweisamkeit. Nachdem Gianni später von seinem Herrchen behutsam gewaschen und geföhnt wurde, sehen die beiden im Fernsehen erstmal Billy Wilders „Boulevard der Dämmerung“ an.

An den Anfang ihres Dokumentarfilms stellt die portugiesische Regisseurin Cláudia Varejão die Feststellung, dass jeder Mensch nach seiner besseren Hälfte sucht. Der Titel „Amor Fati“ spielt auf Nietzsches Vorstellung einer lebensbejahenden Liebe zum Schicksal an. Ohne zu kommentieren oder zu urteilen, widmet sich Varejão einer Reihe von Paaren, die dieses Prinzip verkörpern sollen: zwei Zwillingschwestern etwa, die gemeinsam ein Lokal betreiben und konsequent im Partnerlook auftreten. Einem älteren, weiß gekleideten Mann, der auf seinem Schimmel durch weite Wälder reitet. Einer Mutter, die ihrer Tochter beim morgendlichen Ankleiden hilft. Oder zwei alten, vermutlich verwandten Frauen, die in einem aus der Zeit gefallenen Dorf leben.

Was Menschen zusammenhält

Möglichst alltägliche Momente werden dabei dem Außergewöhnlichen vorgezogen. Die Besonderheit der Beziehungen soll sich allein über die Beobachtung erschließen. So sieht man Vertrautheit, Nähe und eine Routine, die erst bei längerem Hinsehen offenbart, wieviel Zärtlichkeit in ihr steckt. Der ständig zwischen Stadt und Land sowie unterschiedlichen Milieus schweifende Blick versucht dabei verschiedene Merkmale dieses Zusammenseins herauszuarbeiten.

So erinnert ein androgynes Paar mit kurzgeschorenen, blondierten Haaren daran, dass man in Anderen immer auch sich selbst sucht, oder zumindest, dass man sich in Beziehungen mit der Zeit häufig auch im Äußeren annähert. Bei einer Mutter, die den wilden Übermut ihres fast erwachsenen blinden Sohns sanft zu zügeln versucht, deutet sich hinter der Fürsorge auch ein Abhängigkeitsverhältnis an. Und wenn ein Musikerpaar mit seinen Streichinstrumenten probt, wirkt das wie eine Metapher für zwischenmenschliche Beziehungen, bei denen man sorgfältig üben muss, um eine gemeinsame Harmonie zu finden.

Manchmal scheint sich „Amor Fati“ bewusst zu sein, dass sein Thema zugleich schwammig und zu eng gefasst ist. Seine Protagonisten zeigt er teilweise auch außerhalb ihrer Zweisamkeit und versucht nicht zwanghaft, jede Szene zu einer Aussage hinzubiegen. So darf Giannis Herrchen als umjubelte Drag Queen auftreten und das Musikerpaar bei einer Familienfeier demonstrieren, dass man in Wahrheit meist nicht nur einen, sondern mehrere Menschen auf einmal liebt.

Das Verbindende ist eher ein formaler Kniff

Doch selbst solche offeneren Momente lassen das totalitäre Konzept nie ganz vergessen. Die Darsteller sind in „Amor Fati“ überwiegend stumm; in den seltensten Fällen haben sie Namen oder eine Vorgeschichte. Weil man sie ohne Kontext beobachtet und nie wirklich näher kennenlernt, bleibt vieles leer und ohne größere Erkenntnisse. Die Kamera gibt sich dabei zwar zurückhaltend, ist tatsächlich aber ziemlich übergriffig. Sobald sie sich auf ein Paar richtet, wartet man nur noch auf die Bestätigung der anfänglich getroffenen Behauptung.

Wie austauschbar die Protagonisten dabei werden, zeichnet sich besonders gegen Ende ab, wenn verschiedene Paarkonstellationen nur noch als dekoratives Element aneinandergereiht werden. Das Verbindende ist in „Amor Fati“ überwiegend ein formaler Kniff. So folgen auf den blinden Jungen, der im Fußballstadium überwältigt grölt, die beiden Zwillingsschwestern, die sich auf ihrem Smartphone ebenfalls ein Spiel ansehen. Mit so einem Schnitt lassen sich zwar vordergründig unterschiedliche Figuren und Lebenswelten vereinen, doch wirklich zu greifen bekommt der Film mit dieser Strategie wenig.

Erschienen auf filmdienst.deAmor FatiVon: Michael Kienzl (4.10.2022)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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