Szene aus AND THE KING SAID, WHAT A FANTASTIC MACHINE
Filmplakat von AND THE KING SAID, WHAT A FANTASTIC MACHINE

AND THE KING SAID, WHAT A FANTASTIC MACHINE

88 min | Dokumentarfilm | FSK 12
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And the King Said, What a Fantastic Machine ist ein Sprung in das weite Meer der Mediengeschichte. Von der Geburt der Camera obscura zur ersten FilmvorfŸhrung, von der Erfindung der Webcam zum ersten viralen Video jagt der scharfsinnige und nachdenklich stimmende Dokumentarfilm dem Aufstieg der Bildkultur hinterher. Die Collagen aus historischem Archivmaterial, Diktatoren vor jubelnden Mengen, erschŸtternder, Gewalt-ausstellender Pressebilder, Amateurvideos, Live-Streaming-Material und Videoschnipseln von Adrenalinjunkies, die an der Spitze von Wolkenkratzern hŠngen, bilden eine sinnbildliche Studie des Kinos und der von ihm mitgeformten Gesellschaftsgeschichte: Was bedeutet es, den Milliarden Bildern, die um unsere Aufmerksamkeit wetteifern, ausgesetzt zu sein?

Filmkritik

Essayfilm und Videoessay erzählen von der Beziehung zwischen Bild und Individuum. Allerdings aus der Sicht eines konkreten Individuums, das die Bilder arrangieren kann und dessen Perspektive mit der des Films zusammenfällt. Sie waren gerade in den letzten Jahren erfolgreich und wurden auf Plattformen wie YouTube millionenfach aufgerufen, weil sie das Gefühl vermittelten, Bilder wieder verstehen und sogar beherrschen zu können. Unter der Absolutheit des Blicks sollten sie transparent werden.

Von Kameras umstellt

Genau das aber bedingt den zentralen Widerspruch in „And the King Said, What a Fantastic Machine“ von Axel Danielson und Maximilien van Aertryck. Ihr Essayfilm zeigt eine Welt, in der man sich von Kameras und Videos umstellt weiß, von Smartphones, Social Media und Fake News. Anhand von Montagen und Anekdoten soll die Manipulierbarkeit der Bilder und die Manipulierbarkeit der Menschen durch derart geformte Bilder deutlich werden. Nach einer knappen Einführung in die Geschichte der Fotografie (Daguerre, Muybridge, ein Zug erreicht La Ciotat) sieht man Influencer und Reporter bei der täglichen Arbeit, IS-Kämpfer beim Dreh eines Propagandafilms oder Anhänger von Donald Trump bei der Erstürmung des Kapitols. Material aus Dokumentarfilmen und Clips aus allen Ecken des Internets werden zu einer düsteren Drohkulisse geformt. Doch wie erzählt man von einer Form des Kontrollverlusts, wo die Bildermaschinerie sonst doch versprach, durch Wissen zu ermächtigen?

Die Probleme von „And the King Said, What a Fantastic Machine“ sind allerdings grundlegender. Eine frühe Aufnahme zeigt eine lange Kamerafahrt durch einen Zug. Wenig überraschend halten viele der Reisenden ein Smartphone in der Hand. Ist allein das schon ein Skandal oder eine bemerkenswerte Beobachtung? Wissen die Regisseure, ob diese Leute „Candy Crush Saga“ spielen, im Darknet Drogen kaufen, mit Freunden chatten oder auf einer E-Reader-App Dostojewskis „Die Brüder Karamasow“ lesen? Vielleicht ist einer der Reisenden gerade im vierten Kapitel des zweiten Buchs: „Ich liebe die Menschheit, aber ich wundere mich über mich selbst: je mehr ich die Menschen liebe, desto weniger liebe ich den einzelnen Menschen, das Individuum.“

An die Stelle von Analyse tritt in dem Film ein dumpfes Unbehagen. Man kann diesen Impuls durchaus nachvollziehen. Die neue Omnipräsenz des Digitalen und eine zunehmende Virtualisierung des Alltagslebens stellen massive Veränderung der menschlichen Existenz dar. Silicon Valley und der Tech-Sektor sind keine neutralen Werkzeugbastler; sie versuchen vielmehr, die Welt nach ihren Vorstellungen zu gestalten. Doch gerade diejenigen, die Angst vor neuen Affektregimen, vor Überstimulierung und dem Missbrauch von Reiz-Reaktions-Schemata haben, sollten ihnen etwas entgegenzusetzen haben. Die Ludditen des frühen 19. Jahrhunderts waren Experten für die Industrialisierung und wussten oft mehr über die von ihnen zerstörten Maschinen als deren Besitzer.

90 Minuten Scrollen

„And the King Said, What a Fantastic Machine“ aber bietet kaum verwertbare Thesen jenseits einer grundlegenden Erregung. Der Film ist die Entsprechung eines populärwissenschaftlichen Bestsellers, mit dem sich gestresste Geschäftsleute ihrer Weltanschauung vergewissern, während sie glauben, einen neuen Blick zu entwickeln. Thematisch bezogen etwa auf „Sehen: Das Bild der Welt in der Bilderwelt“ von John Berger, aber eben auf dem Argumentationslevel von „Freakonomics“, dem neuesten Text von Malcolm Gladwell oder einem beliebigen TED Talk. Letzte werden sogar großzügig eingebunden.

Die langen Musikmontagen – blasse Abziehbilder von ähnlich konzipierten Sequenzen aus Filmen von Adam Curtis – lassen sich oft auf eine einzige Empfindung reduzieren: Ist das nicht alles verrückt? Grotesk, dumm, hässlich, angsteinflößend? Die Logik von Sozialen Medien wird korrekt dargestellt: Inhalte von stark variierender Tonalität, Thematik und Qualität werden relativ beliebig nebeneinandergestellt. Auf einen Vortrag von Alain Badiou können auf TikTok zuerst ein Tanzvideo, dann ein kurzer Sketch über Nicki Minaj und dann Kriegsbilder aus der Ukraine folgen.

Seltsam aber ist, dass „And the King Said, What a Fantastic Machine“ ähnlich vorgeht. Zwar kann man Instagram-Models, Reaction-Videos, den Eurovision Song Contest und Material über die Dokumentation des Holocausts sicher in einem einzigen Film unterbringen. Doch hier werden sie gleichwertig nebeneinandergestellt, was eine bloße Beliebigkeit erzeugt. Eine frühe Montage zeigt aufeinanderfolgend Hitler, Stalin, Trump, Putin, Macron, Xi Jinping und Kim Jong-un. Bei aller Kritik am französischen Präsidenten ist das eine Abfolge, die nur bei allergrößter Abstraktion sinnvoll erscheint. Wo ein skeptisches Raunen an die Stelle von Argumenten tritt und die Bilder nicht ins Denken geraten, ist der Film nicht wesentlich klüger als 90 Minuten Scrollen auf TikTok.

Der Titel des Films bezieht sich auf eine Anekdote rund um die Krönung von Edward VII., die Georges Méliès im Studio nachstellen ließ. Woraufhin der König verkündet haben soll: „Was für eine fantastische Maschine die Kamera doch ist! Sie hat sogar eine Möglichkeit gefunden, die Teile der Zeremonie aufzunehmen, die gar nicht stattgefunden haben.“ Ein Statement, das in Zeiten von Deepfakes und KI-generierten Bildern so viel harmlose Naivität ausstrahlt wie 1990er-Jahre-Thesen vom „Pictorial turn“ oder „Iconic turn“. Wieso gibt sich der Film also so aufklärerisch, wenn er doch nur das Offensichtliche feststellt?

Versunken in der Bilderflut

Sein Scheitern lässt sich deshalb leicht beschreiben: „And the King said, What a Fantastic Machine“ nimmt eine Perspektive ein, die leichtfertig glaubt, über der Bilderflut zu stehen, während sie in der Durchführung widerstandslos darin versinkt. Die Regisseure lassen das Kino wie ein kurzatmiges Medium wirken, das mit Gegenwartsbeschreibungen immer nur die Vergangenheit meint. Dabei gelte es doch, die Komplexität sowie die technische und ideologische Vermittlung der Bilder als Einstiegspunkt zu begreifen, nicht als Horizont des Denkens. Eine große Frage aber nimmt man aus „And the King Said, What a Fantastic Machine“ immerhin mit: Was kommt nach Essayfilm und Videoessay?

Erschienen auf filmdienst.deAND THE KING SAID, WHAT A FANTASTIC MACHINEVon: Lucas Barwenczik (14.6.2024)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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