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Filmplakat von Arboretum

Arboretum

80 min | Thriller | FSK 16
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Ein kleines Städtchen mitten in Thüringen Anfang der 2000er. Die Teenager Erik (Oskar Bökelmann) und Sebastian (Niklas Doddo) werden in der Schule gemobbt und im Dorftreff werden sie von Neonazis verprügelt. Die innere Wut die unter der Oberfläche brodelt, versuchen sie mit Zocken zu unterdrücken und indem sie mit dem Gewehr im Wald ballern. Die junge Punkerin Elli (Anna Jung) gibt Erik Hoffnung, treibt jedoch auch ein Keil in die Freundschaft zu Sebastian. Bald reifen Gewaltphantasien, um Rache, Vergeltung und Gerechtigkeit in Erik. Er wird dabei von Horror Visionen geplagt und die Stimme aus dem Sumpf treibt ihn mit: "Tu es!" an. Es ist der 11. September 2001...
  • RegieJulian Richberg
  • ProduktionDeutschland
  • Dauer80 Minuten
  • GenreThriller
  • AltersfreigabeFSK 16

Filmkritik

Unheil liegt in der Luft. Es ist mit Händen zu greifen, wenn der Autofahrer in voller Fahrt am Waldrand entlang mit diversen Tonträgern hantiert, um grobschlächtigen Nazi-Rock zu hören. Wenn ein Junge beim Anblick eines toten Vogels sein Messer zieht, um neugierig in einem Kadaver herumzustochern.

Wenn dann plötzlich Wind aufkommt, könnte man meinen, dass der Junge vom Wald her beobachtet wird. Oder vielleicht sogar vom Wald. Später erhebt der Wald sogar seine Stimme. Oder, genauer, eine gehörnte Kreatur, die irgendwann aber einräumt, dass sie nur das sagt, was das Gegenüber hören will.

Mystery meets History

Es ist der Sommer 2001, irgendwo im Off der thüringischen Provinz. Aus dem Radio dringen Nachrichten von den gewaltsamen Ausschreitungen am Rande des G8-Gipfels in Genua. Später sieht man Fernsehbilder aus New York, die von einem Anschlag auf das World Trade Center erzählen. Doch man muss gar nicht in die Ferne schweifen; auch in der deutschen Provinz herrschen gewaltträchtige Verhältnisse. Junge Nazis und junge Punks schlagen sich, in den Küchen sitzen überlebende, aber verstummte NS-Täter und reuig-hadernde Mauerschützen. Man tut, was man eben tut. Die Schuldfrage klärt man im Zwiegespräch mit dem Wald.

Hier sind die besten Freunde Erik und Sebastian zuhause, wenn man dieses Wort wählen will. In der Schule werden sie gemobbt. Insbesondere Sebastian hadert damit, dass er hier im Hinterland an der Konsole die Zeit damit verdaddelt, darauf zu warten, dass mal etwas passiert oder die Welt von ihnen Kenntnis nimmt. „Ich brauch’ halt mal ’n bisschen Action!“ Am Abend auf dem Schützenfest ist damit eher nicht zu rechnen. Der endet für Erik mehr feucht als fröhlich.

Schwebezustand am Rande der Welt

Frustriert, gemobbt, verhöhnt und gelangweilt entstehen so Gewaltfantasien, die einen Weg aus der Opferrolle versprechen. Die beiden Außenseiter beginnen mit Schießübungen im Wald. Wozu hat Eriks Vater, der an seiner Verantwortung als Mauerschütze zerbrochen ist, eine alte Waffe im Schrank?

Eine eher überraschende, aber im Kontext eines Coming-of-Age-Films durchaus erwartbare Alternative bietet die Begegnung mit der jungen, selbstbewussten Elli, die zwar aktuell eher mit den Punks abhängt, aber so bald wie möglich die trostlose Gegend verlassen will. Die Begegnung mit Elli führt zu Spannungen zwischen Erik und dem eifersüchtig reagierenden Sebastian. Allerding scheint für Erik ein Wegzug aus der Gegend nicht sehr verlockend, als Elli ihn darauf anspricht.

Man ahnt, dass es Julian Richberg (Regie und Drehbuch) bei seinem sichtbar niedrig budgetierten Langfilmdebüt um das Atmosphärische eines Schwebezustands gegangen ist, dessen inspirierende Fluchtpunkte einerseits „Donnie Darko“, andererseits aber vielleicht „Elephant“ gewesen sein mögen. Die Gegend, in der „Arboretum“ spielt, ist einerseits ein provinzielles Abseits, andererseits aber geradezu mustergültig über Generationen hinweg mit Frustration und Gewalt aufgeladen. Doch das ästhetisch Überzeugende, aber letztlich bloß Dekorative oder Ornamentale der filmischen Mystery-Ebene (Kamera: Elias C.J. Köhler, Musik: Christoph Stahlhauer) verstellt gerade die Momente der Coming-of-Age-Geschichte, deren Verstörungen sie metaphorisch indizieren sollen oder zumindest wollen. Scheinbar nebenher beobachtete Alltagsdialoge wechseln mit ostentativ schwergewichtiger Reflexion, was weniger zu psychologischer Dichte, eher zu unfreiwilligem Humor führt. Das seltsame Duo, das die beiden Freunde mobbt, wirkt eher dämlich als bedrohlich, zumal angesichts deutlich limitierter Artikulationsfähigkeit. Hier mobben Doofe Kids, die ihnen haushoch überlegen sind und sich dessen augenzwinkernd auch versichern. Das die Bullys allgemein beliebt sind, wird behauptet, aber nicht gezeigt. Auch Eriks Abgründe, die der Film andeutet, überfordern den Darsteller derart, dass viel zu früh als ausgemacht gelten muss, dass die Gefahr eher von Sebastian ausgeht, wobei diese Figur ihrerseits unterbelichtet bleibt.

Das Scheitern einer Freundschaft

So bleibt „Arboretum“ wenig mehr als eine Anhäufung von Motiven wie Frustration, Schuld, Langeweile und Überdruss, angereichert mit alten und neuen Nazis, überforderten Ex-Mauerschützen, die manchmal gerne in NVA-Uniform im Keller herumstehen und einem plötzlichen Geständniszwang nachgeben. Das Geraune von der Sehnsucht nach etwas „Action“ und „Bedeutung“ suggeriert eine psychologische Verbindlichkeit, die bloße Behauptung bleibt, collagiert aus Versatzstücken, die sich nicht zueinander fügen. Was Mystery oder mehr sein könnte, ist letztlich das etwas pathetisch in Szene gesetzte, aber doch intime Scheitern einer Jungenfreundschaft.

Erschienen auf filmdienst.deArboretumVon: Ulrich Kriest (25.1.2024)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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