Szene aus Das Kombinat
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Das Kombinat

90 min | Dokumentarfilm | FSK 12
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Über einen Zeitraum von neun Jahren dokumentiert Moritz Springer in seinem Dokumentarfilm die Entwicklung des Kartoffelkombinats aus der bayrischen Landeshauptstadt München, das sich auf dem Weg befindet, die wohl größte solidarische Landwirtschaftsunternehmung in Deutschland zu werden. Die beiden Gründer treiben mit ihrem Gemüseanbau sogar noch eine viel umfassendere und grundlegendere Vision voran: Sie suchen letztlich nach einer Alternative zur kapitalistischen Produktionsweise. Doch der Weg zu diesem Ziel ist voller Herausforderungen und plötzlich steht das gesamte Projekt kurz vor dem Scheitern.
  • RegieMoritz Springer
  • ProduktionDeutschland
  • Dauer90 Minuten
  • GenreDokumentarfilm
  • AltersfreigabeFSK 12
  • IMDb Rating6.6/10 (5) Stimmen

Filmkritik

Der Begriff der „Langzeitbeobachtung“ wird beim Schreiben über Dokumentarfilm bisweilen geradezu inflationär verwendet. Wenn ein Filmemacher ein Projekt über einen Zeitraum von neun Jahren begleitet, ist der Ausdruck aber durchaus angemessen. Das Projekt ist das „Kartoffelkombinat“ vor den Toren Münchens. Der Name mag ironisch klingen, da er an sozialistische Produktionsgemeinschaften erinnert, aber letztlich geht es auch hier durchaus um ein Gegenmodell zu kapitalistischen Strukturen im Bereich der Landwirtschaft.

Der Film „Das Kombinat“ beginnt allerdings nicht mit fruchtbaren Äckern, sondern mit einem Lichtbildvortrag, in dem Daniel Überall das gigantische Areal von Gewächshäusern im Süden Spaniens zeigt, in denen ein Großteil des in Europa verzehrten Gemüses produziert wird. Gemeinsam mit Simon Scholl beschloss Überall, dieser industriellen Produktionsmethode etwas entgegenzusetzen. 2012 gründeten sie das Kartoffelkombinat. Gemüse und andere Feldfrüchte sollten biologisch angebaut und ohne Transport- und Marketingkosten den Verbrauchern zur Verfügung gestellt werden. Faire Löhne für die Gründer und ihre Mitarbeiter sollten auch gewährleistet sein. Finanziert werden sollte dies in Form einer Genossenschaft, deren Mitglieder einen Mitgliedsbeitrag zahlen und ihre Gemüsekisten an einer der Verteilstellen in München und Umgebung abholen.

Staunende Kinder bei der Ernte

Das Projekt lief gut an. Schnell waren 150 Abnehmer beisammen, die regelmäßig auf dem Hof vorbeischauten. Man kannte sich bald und fühlte sich wie eine große Familie. Der Film fängt die harmonischen Anfänge in stimmigen Bildern ein. Kinder, die staunend Möhren aus dem Acker ziehen, Hoffeste, bei denen sich alle einig sind, für die Natur und sich selbst etwas ungemein Wertvolles zu leisten.

Der chronologisch strukturierte Film ist in Kapitel unterteilt, die jeweils einen Zeitraum von ungefähr zwei Jahren umfassen. Der zweite Abschnitt trägt den Titel „Realitäten“, da sich erste Risse in der Idylle andeuten. Das erste Problem: Der Besitzer des Landes, auf dessen Gartenbaugelände sich das Kombinat eingepachtet hat, möchte entgegen früheren Ankündigungen nun doch nicht verkaufen. Da aber das gemeinschaftliche Eigentum an den Produktionsmitteln nach Überzeugung der beiden Gründer unabdingbare Voraussetzung für ihr Projekt ist, muss ein neues Gelände gesucht werden.

Das gelingt zwar, doch die Umgestaltung macht nicht nur viel Arbeit, sondern verschlingt auch eine Menge Geld. Um künftig rentabel arbeiten zu können, muss die Zahl der Genossenschaftsmitglieder verzehnfacht werden. Überall findet das in Ordnung. Schließlich soll das Kombinat kein kleines Biotop bleiben, sondern langfristig die gesamte Landwirtschaft umkrempeln. Zumindest in Deutschland. Scholl teilt zwar die Vision, spürt aber ein zunehmendes Unbehagen. Die Expansion verlangt nach neuen Strukturen der Arbeitsorganisation. Man kennt die neuen Mitarbeiter kaum noch mit Namen, geschweige denn die 1500 Mitglieder der Genossenschaft. Mit der Professionalisierung droht eine Anonymisierung, die eigentlich unbedingt vermieden werden sollte. Die beiden Gründer sind sich zunehmend uneins, bis es schließlich (vorübergehend) sogar zum Bruch kommt.

In den Arbeitspausen

Die Handlung des Films, der hie und da mit originellen Klängen im Stile bayrischer Volksmusik unterlegt ist, verbleibt weitgehend auf dem Gelände des Kombinats; nur gelegentlich werden die beiden Protagonisten zu Kongressen oder auf Besuchen bei vergleichbaren Kooperativen begleitet. In Arbeitspausen erzählen Überall und Scholl gemeinsam oder allein von ihren Visionen und Hoffnungen, aber auch von ihren Sorgen und Ängsten.

Der Wert dieser filmisch eher unspektakulären Langzeitbeobachtung liegt vor allem darin, dass sie bei aller unverkennbaren Sympathie profunde Einblicke in die komplexen Mechanismen und Risiken solch einer idealistischen Unternehmung gewährt.

Erschienen auf filmdienst.deDas KombinatVon: Reinhard Lüke (27.1.2024)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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